Richtungsdebatte: Die Linke klaut das Erbe der Grünen
Die Linke ist nicht nur die wahre Ökopartei sein. Jetzt soll sie auch noch die Nachfolge der grünen Bürgerrechtspolitik antreten.
![](https://taz.de/picture/422857/14/linke_05.jpg)
BERLIN taz Das Papier ist 50 Seiten dick und hat es in sich. Seine Überschrift lautet: "Zeit für eine neue Bürgerrechtsbewegung". Es ist die Fortsetzung von Oskar Lafontaines Angriff auf die Grünen mit anderen Mitteln. Lafontaine, Partei- und Fraktionschef der Linken, hatte auf dem Gründungsparteitag Mitte Juni behauptet, die neue Linkspartei sei die wahre Partei der ökologischen Erneuerung. Jan Korte, Abgeordneter der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied des Bundesvorstandes, erklärt in seinem umfangreichen Thesenpapier die Linke jetzt auch noch zur legitimen Erbin der einst erfolgreichen grünen Bürgerrechtspolitik. Die Linkspartei könne hier "ein deutliches Alleinstellungsmerkmal aufweisen und erarbeiten", schreibt Korte in dem Dokument, das der taz vorliegt. "Die Grünen haben sich während ihrer Regierungszeit (1998 bis 2005) nicht nur sozial, sondern auch innenpolitisch vollständig diskreditiert."
Der 30-jährige Korte gehört zur Gruppe jüngerer Realos innerhalb der Linken, der die alleinige Ausrichtung ihrer Partei auf die soziale Frage zu wenig ist. Korte kommt aus Hannover und war in den 90er-Jahren selbst Mitglied der Ökopartei. Schon im September 2006 hatte er die damalige PDS in einem taz-Interview dazu aufgefordert, in linksliberale, grüne, postmaterielle Milieus einzudringen. In seinem jetzt vorgelegten Diskussionspapier rät er der Linken, neben der sozialen Gerechtigkeit die Frage der politischen Grundrechte zu ihrem zweiten "Markenzeichen" zu entwickeln.
Das erfordere jedoch, kritisiert Korte seine eigene Partei, den Zusammenhang von sozialer Frage und politischen Grundrechten viel stärker als bisher herauszustellen. "Für die Linke sind soziale und politische Rechte zwei Seiten einer Medaille. Nur wer sozial abgesichert ist und damit ein würdiges Leben bestreiten kann, der ist auch in der Lage, seine politischen Rechte intensiv wahrzunehmen." Als Beispiel nennt der Linkspolitiker die Hartz-IV-Gesetzgebung. Die Betroffenen würden damit nicht nur in Armut getrieben, sondern verlören durch die Ausforschung ihrer privaten Lebensführung auch noch ihre politischen Rechte. Diese Dialektik von Freiheit und Gerechtigkeit müsse in der Linkspartei einen höheren Stellenwert bekommen. Dann sei die Innenpolitik auch eine "Option zur strategischen Erweiterung" der neuen Linken. Sie könne dazu beitragen, in gesellschaftlichen und politischen Milieus, die ihre Heimat bei den Grünen verloren haben, neue Bündnispartner zu gewinnen. Gelänge dies, könne die Linke "Motor" einer "neuen Bürgerrechtsbewegung für eine soziale und demokratische Gesellschaft" sein. Die Partei müsse dabei jedoch einen ihrer typischen Reflexe vermeiden: die eine Option, Freiheit, gegen die andere Option, Gerechtigkeit, abzuwägen. "Hier muss die Linke das eine tun und das andere nicht lassen." Korte attestiert den Grünen, in den 80er- und 90er-Jahren "progressive und bürgerrechtsorientierte Politikansätze" vertreten zu haben. Mit dem Regierungsantritt 1998 hätten sie ihre eigenen Positionen jedoch verraten. Die "Abkehr vom liberal-demokratischen Rechtsstaat zum präventiven Sicherheitsstaat" sei unter Rot-Grün begonnen worden. Die große Koalition könne problemlos darauf aufbauen. Das "antiterroristische Denksystem" habe nach den Anschlägen vom 11. September 2001 "nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche" erfasst. Grundrechte und andere, ursprünglich zur Begrenzung staatlicher Macht gedachte verfassungsmäßige Grundsätze würden uminterpretiert in Aufforderungen, sie zu unterlaufen. Der Bruch des Rechts werde mithin selber zum Gesetz. Aufgabe der Linken sei es, die Grund- und Bürgerrechte aus ihrer "antiterroristischen Fesselung" zu befreien. Polizei- und Geheimdienstgesetze sowie die Strafprozessordnung müssten dringend einer Generalrevision unterzogen werden. Die Antiterrorgesetze sollten nach den Maßstäben der Urteile von Landes- und Bundesverfassungsgerichten sowie dem Bundesgerichtshof gemessen und revidiert werden. Die Bundespolizei sei strukturell abzurüsten. Ihre Auslandseinsätze in der Grauzone zwischen Polizei- und Militäreinsätzen müssten abgebrochen werden. O-Ton Korte: "Ziel bleibt für uns die Auflösung der Geheimdienste."
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