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Richtige Neger und falsche Philosophen

■ Eine neuaufgelegte polemische Göttinger Schrift aus dem Jahre 1790 „über die Natur der Afrikanischen Neger“ legt einige Wurzeln des heute wieder modischen Kulturrelativismus frei

Die europäische Aufklärung des 18. Jahrhunderts bewegte sich trotz ihres Universalanspruchs in engen kulturellen Grenzen. Die Philosophen Kant, Hegel und Hume hielten Schwarze für minderwertig. Daniel Defoe und der Baron de Montesquieu hingegen führten den „rohen“ Zustand der ihnen bekannten Afrikaner auf das Elend zurück. Beide Geisteshaltungen haben fatale Folgen: Die erste ist einfach rassistisch; die zweite führt schnurstracks zum humanitären Kolonialismus.

1790, als der Göttinger Populärhistoriker Christoph Meiners sein Pamphlet „Über die Natur der Afrikanischen Neger, und die davon abhängende Befreyung, oder Einschränkung der Schwarzen“ zuerst veröffentlichte, war der Streit zwischen diesen beiden Denkrichtungen bereits virulent. Soeben waren die Französische und die Amerikanische Revolution passiert, und das von Meiners beklagte „Geschrey der hitzigen Freyheits-Freunde“ mit seinem „fieberhaften Enthusiasmus für eine eben so unmögliche, als ungerechte Gleichheit aller Stände und aller Völker“ hallte durch die Welt mit der Frage: Sind Neger – damals den Weißen nur als Sklaven bekannt – gleichberechtigt? Meiners sagt: Wenn „die Neger alle die angebornen Vorzüge der menschlichen Natur besitzen, die den Europäischen Völkern eigen sind“ und „alle Unterschiede zwischen beyden sich aus der Verschiedenheit der äussern Lagen und Umstände erklären lassen“, dann müssen Schwarze dieselben Rechte haben wie Weiße – aber sollte sich herausstellen, daß Neger „nicht durch dieselbigen Bewegungs-Gründe zum Guten können angetrieben, und vom Bösen können abgehalten werden, so muß man auch zugeben, daß andre Gesetze und Einrichtungen noth-wendig sind, um sie ihrer Natur gemäß leben“ zu lassen.

Das ist leider eine erstaunlich zeitgemäße Fragestellung, die sich von den Debatten der heutigen Kulturrelativisten höchstens in der Wortwahl unterscheidet. Dies herauszustellen, ist auch der Wert der Neuauflage dieser kleinen Schrift. Seit 1790 haben sich höchstens die Antworten geändert, nicht die Frage. Es überrascht ja nicht, daß Meiners nach aufwendigem Studium der vorliegenden Reiseliteratur der zweiten Hypothese den Vorzug gibt. Kein Klischee wird ausgelassen, um die Minderwertigkeit des „richtigen“ Negers zu beschreiben. Wie könne man, so Meiners am Schluß, „so gefühllosen, so reitzbaren und schlaffen, so dummen und übelartigen Menschen“ Freiheit zugestehen?

So etwas sagt heute keiner mehr. Aber bis heute gibt es keine Einigkeit über die Frage, die Meiners klären wollte, nämlich „ob und wie ferne man in und ausser Europa den Zustand von Völkern, die bisher weniger Rechte als ihre Beherrscher hatten, verbessern müsse“. Dominic Johnson

Christoph Meiners: „Ueber die Natur der Afrikanischen Neger“. Mit einem Nachwort; hrsg. von Frank Schäfer. Wehrhahn Verlag, Hannover 1997, 80 S. 20 DM

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