„Querdenker“ in der Justiz: Richter mit politischer Mission
Zwei Amtsrichter verfolgen während der Pandemie eine politische Agenda gegen Coronamaßnahmen. Die Dienstaufsicht schwankt zwischen Härte und Toleranz.

Denn der hat juristische Geschichte geschrieben: Im November 2024 hat der Bundesgerichtshof seine Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Erfurt verworfen, das ihn wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verurteilt hatte. Mit diesem Urteil verlor der 61-jährige Dettmar auch alle Pensionsansprüche.
Sein richterliches Engagement gegen die Maskenpflicht in Schulen, Abstandsgebote und PCR-Tests an zwei Thüringer Schulen hatten ihn in eine Sackgasse getrieben. Dettmar hatte 2021 gezielt ein Verfahren wegen Kindeswohlschutz initiiert, damit er in der Pandemie an Weimarer Schulen die Maskenpflicht untersagen konnte. In der deutschen Rechtsgeschichte ist es das erste Urteil wegen einer politisch motivierten Rechtsbeugung.
Laut Urteil des Bundesgerichtshofes standen Dettmar und Guericke während des gesamten Verfahrens in „regem Austausch“. Nach taz-Informationen aus Justizkreisen soll Letzterer sogar eine Art Mentor für den Verurteilten gewesen sein. Nach den Feststellungen des Landgerichts Erfurt soll Dettmar seinen ehemaligen Kollegen Guericke immer wieder um Rat gebeten und ihn über das Verfahren auf dem Laufenden gehalten haben – unter anderem über das „phantastische Gutachten von Frau Kappstein“, über das er schrieb: „Der Fall geht nun über das Rechtsstaatliche hinaus, aber das war von Anfang an meine Absicht.“
Disziplinarrechtliche Gefahrenzone
Dass die beiden Amtsrichter dabei in eine disziplinarrechtliche Gefahrenzone geraten konnten, war ihnen bewusst. Das geht aus einem Protokoll des „Netzwerks Kritischer Richter und Staatsanwälte“ hervor, das Guericke mitgegründet hatte. Dettmar war ihm beigetreten. Die Ziele des Netzwerkes: richterlicher Widerstand gegen die staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen und „dienstrechtlicher Schutz“ seiner Mitglieder, also Unterstützung bei möglichen Disziplinarmaßnahmen. „Bisher besteht für jeden Einzelnen die konkrete Gefahr dienstrechtlicher Repressalien und Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf das zu beachtende Mäßigungsgebot“, hielten sie im Protokoll fest.
Amtsrichter Guericke hatte zuvor als Privatmann schon zweimal vergeblich gegen die Maskenpflicht geklagt, bevor er einen Coronasünder freigesprochen hat, wobei er die Thüringer Maskenpflichtverordnung für verfassungswidrig und nichtig erklärte. Das Urteil brachte ihm ebenfalls ein Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung ein. Das stellte die Staatsanwaltschaft Gera zwar ein, weil sie ihm keine vorsätzliche Rechtsverletzung nachweisen konnte, versah aber den Einstellungsbeschluss mit einem vernichtenden Kommentar: „Die rechtlichen Mängel des Urteils legen einen schwerwiegenden Rechtsverstoß in objektiver Hinsicht nahe.“ Auch Richter Guericke entging also nur knapp einer Anklage wegen Rechtsbeugung, er agierte offenbar geschickter.
Dettmar hingegen hatte Kindeswohlverfahren von Anfang an als Teil einer politischen Kampagne inszeniert: Er hatte an den sogenannten „Corona-Spaziergängen“ teilgenommen, ohne Maske verhandelt und geplant, seine Gerichtsentscheidung zu veröffentlichen, um „den Druck für künftige gerichtliche Entscheidungen zu erhöhen“. Diese Mission bezahlte Dettmar mit seinem beruflichen Aus. Der Bundesgerichtshof warf ihm zahlreiche „elementare Verfahrensverstöße“ vor. Unter anderem hatte er Eltern dazu bewogen, Kindeswohlverfahren gegen die Maskenpflicht einzuleiten – für die er selbst zuständig war. Zudem wählte Dettmar nur Gutachter aus, die seine Außenseitermeinung zu den Pandemiegefahren teilten. Diesen Hintergrund habe dieser in den Akten zum Teil „verheimlicht und verschleiert“. Damit habe er die „ihm als Richter von der Verfassung zugewiesene Machtposition missbraucht“.
Dettmar und Guericke gehören zu einer kleinen Gruppe von Anti-Corona-Richtern, die ab 2021 ihre richterliche Unabhängigkeit zweckentfremdet haben, um mit ihrer Rechtsprechung eine politische Agenda gegen staatliche Eindämmungsmaßnahmen zu verfolgen. Viele Juristen halten das für eine verhängnisvolle Politisierung der Rechtsprechung, die neben Coronaverfahren seit einiger Zeit auch in Prozessen mit politischem Hintergrund zu beobachten sei – wo wiederum rechtspopulistische oder rechtsextreme Richter und Staatsanwälte mitgewirkt haben.
Zwar sind das bisher nur Einzelfälle, aber diese schaden der Glaubwürdigkeit der Justiz: In Gera ist ein AfD-naher Staatsanwalt aufgefallen, weil er alle Ermittlungsverfahren gegen AfD-Mitglieder und rechte Eiferer eingestellt hat, während er linke Beschuldigte hartnäckig verfolgt hat. Bei einem rechten Verwaltungsrichter in Gera hatten Asylbewerber aus Afrika kaum Chancen.

Dienstaufsicht blieb untätig
Was man künftig von einigen rechtspopulistischen Robenträgern möglicherweise erwarten kann, hat der rechtsextremistische ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Ex-Landrichter Jens Maier angedeutet: „Wenn Angeklagte AfD-Richter fürchten, haben wir alles richtig gemacht.“ Damit heißt Maier eine von seiner Gesinnung geprägte Ausübung des Richteramtes gut. Seitdem die AfD in den Richterwahlausschüssen in Thüringen und Brandenburg über eine Sperrminorität verfügt, hat die Partei langfristig genug Erpressungspotenzial, um Justizjuristen ihrer politischen Couleur durchzudrücken.
Umso wichtiger wird künftig die richterliche Dienstaufsicht durch Gerichtspräsidenten, Justizministerien und Richterdienstgerichte. Bei Richtern ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit durch das sogenannte „Mäßigungsgebot“ und das „Gebot politischer Neutralität“ eingeschränkt. Nach dem Deutschen Richtergesetz hat sich ein Richter „innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird“.
Unvereinbar mit diesen Grundsätzen und disziplinarrechtlich von Belang ist damit jede politisch motivierte Prozessführung, worauf die Dienstaufsicht mit Vorhalten, Verweisen, Geldbußen und sogar Entlassungen reagieren kann.
Die damalige Landgerichtspräsidentin und Disziplinarvorgesetzte Renate Schwarz hat auf Guerickes Polemik disziplinarisch allerdings nicht reagiert. Dabei argumentierte dieser politisch und subjektiv, als er einen Coronasünder freisprach: Der Lockdown beruhte für Guericke auf „Schreckensszenarien“, ein „Strategiepapier“ des Bundesinnenministeriums nannte er in seiner Urteilsbegründung „Science-Fiction“ und die „Politik des Lockdowns“ war für ihn eine „katastrophale politische Fehlentscheidung“.
Schon 2020 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass „die persönliche Meinung eines Richters, die für die eigentliche Rechtsfindung ohne Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen eines Urteils nichts zu suchen“ hat.
Klare Verstöße
Die Staatsrechtler Michael Brenner und Christian Hillgruber sehen hier ein Versagen der Dienstaufsicht, wie taz-Anfragen ergeben haben. Für Brenner hat Guericke mit der Kritik an der Anti-Corona-Politik der Bundesregierung als „katastrophale politische Fehlentscheidung“ die „Grenzen richterlicher Zurückhaltung bei Weitem überschritten“. Auch für den Bonner Staatsrechtler Hillgruber ist klar, dass sich ein Richter in diesem Fall nicht „auf Grundrechte berufen“ kann.
Umso drängender wird die Frage, wie die Dienstaufsicht künftig mit solchen Fällen umgeht: Denn Guericke mäßigte sich nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes nicht. Im Gegenteil: Auf der Homepage des „Netzwerkes Kritischer Richter und Staatsanwälte“ beklagte er das „nahezu flächendeckende Versagen der Justiz in der Coronakrise“ und befand, dass diese bis auf ein paar Ausnahmen den „Verfahren mit politischer Relevanz nicht gewachsen“ sei. Richter seien „unfähig“, dem „Konsensdruck der politisch Mächtigen“, den „Erwartungen der politmedialen Öffentlichkeit und dem ubiquitären Hang zum Konformismus innerhalb der Justiz zu widerstehen“.
Guericke warf seinen Kollegen „Missachtung des juristischen Handwerks“ und „sprachlos machende Ignoranz gegenüber unerwünscht erscheinenden Tatsachen und Argumenten“ vor.
Nach Meinung des Jenaer Staatsrechtlers Brenner „überschreiten“ auch diese „Passagen“ wegen „ihres pauschalen, undifferenzierten und teilweise auch diffamierenden Charakters die richterlichen Gebote der Mäßigung und Zurückhaltung bei Weitem“. Für den Bonner Verfassungsrechtler Hillgruber enthält Guerickes „Kommentar“ „Pauschalurteile an einer willfährigen, opportunistischen, politisch allzu folgsamen Justiz“, die „in dieser Form maßlos übertrieben sind und jede Mäßigung vermissen lassen“. Auch hier sehen die beiden Verfassungsrechtler klare Verstöße gegen das richterliche Dienstrecht.
Eine offizielle Anfrage bei seiner Dienstvorgesetzten, der Präsidentin des Landgerichts Erfurt, Kerstin Lossin-Weimar, ob sie gegen Guericke disziplinarische Maßnahmen ergriffen habe, beantwortet sie nicht: Alle „Richterinnen und Richter haben Anspruch auf Fürsorge und Schutz vom Dienstherrn“, schreibt sie nur. Inoffiziell ist bekannt, dass sie bislang nicht gegen Guericke disziplinarisch vorgegangen ist. Viele Juristen halten das für falsche Toleranz, während Richter wie Guericke die Politisierung der Justiz weiter vorantreiben.
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