: Rhythmusländereien
■ Mit 808 State zeigen Elektro-Veteranen aus Manchester ihr altes Handwerkszeug
Keine Zweifel, 808 State sind nach Popmaßstäben alte Hasen. Bereits 1987 gründeten Graham Massey, Darren Partington und Andrew Parker ihren elektromusikalischen Staat und benannten diesen nach einer Drummachine. Der Roland 808 war aber nicht einfach ein weiteres Modell von Rhythmusmaschinen. Denn anders als seine Vorgänger war dieser Kasten in der Lage, die Drumloops nicht nur zu reproduzieren, sondern sie zu verändern. Außerdem war der Roland 808 wohl die erste erschwingliche Rhythmusmaschine, die ihre Patterns über Midi versendete. Das bedeutete nicht weniger als einen Sprung von analoger in digitaler Klangerzeugung.
Inwiefern dieser Kasten also einen Quantensprung darstellte, ist jedoch heute nur noch schwer nachvollziehbar – sind seine Vorzüge doch längst auch bei den billigsten Produkten Standard. Doch in Manchester 1987 begann das Trio, mit seinem technologischen Vorsprung Rave und Acid House langsam das Wasser abzugraben und mit Stücken wie „Cubik“ und „Pacific“ Initiationsriten in elektronische Musik zu entwerfen. Insbesondere der Aufbau ihrer Stücke, in denen auf vierfache Wiederholungen allerlei Veränderungen folgen, erschloß 808 State für ein song-orientiertes Publikum, das solcherlei Abfolgen ja bestens kennt. Gleichzeitig gehörten 808 State zu den ersten, die Schicht um Schicht anhäufelten und wieder abtrugen, um damit gleichzeitig ihre Produktionsweise offenzulegen und Elektro-Pop in der Tradition von Kraftwerk herzustellen.
An Kraftwerk orientierte sich auch ihr einziger Hamburg-Auftritt im Schiffsbauch der Cap San Diego. Dort stand das Trio ungerührt vor den Maschinen und bebilderte Marshall McLuhan. Ihre Musikmaschinen gerieten zu Extensionen der menschlichen Organe und die Maschinen so menschlich wie der Mensch maschinell. Doch ihr technischer Vorsprung gerät heuer zum Hinkefuß. Denn immer noch hacken 808 State sphärische Klänge in ein inzwischen hoffnungslos veraltetes Material. Bei ihrem aktuellen Tonträger Don Solaris bewegen sie sich, wie zuvor bei der Zusammenarbeit mit Björk, durch die Stimmen von James Dean Bradfield (Manic Street Preachers), Dougty (Soul Coughing) und Louise Rhodes (Lamb) deutlich in Richtung Song. Dabei haben sich die Ohren von Elektro-Aficionados durch den Dauerbeschuß mit Nu-Techno oder Drum'n'Bass längst so verfeinert, daß man weit mehr wagen und dennoch Pop sein kann. So haben sich 808 State zwar kaum verändert, das völlig umgegrabene Umfeld macht sie allerdings tatsächlich zu alten Hasen. Volker Marquardt mit Spooky: Sa, 23 November, Markthalle, 21 Uhr
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