Rezepte gegen Rezession: Klima-Schecks und Steuernachlässe
Die Bundesregierung will der lahmenden Wirtschaft mit Hilfen für einzelne Branchen entgegenwirken. Experten kritisieren das. SPD-Linker Schreiner fordert Erhöhung der Hartz-IV-Sätze.
BERLIN taz Die direkten Folgen der Finanzkrise für die Realwirtschaft sind noch nicht ganz absehbar, aber eins steht bereits fest: Die deutsche Wirtschaft lahmt. Im zweiten Quartal 2008 war sie erstmals seit knapp vier Jahren wieder geschrumpft und auch für das dritte sind die Aussichten düster, wie die Bundesbank am Montag prognostizierte.
Angesichts der schwierigen weltwirtschaftlichen Lage und der Bankenkrise werde die Wirtschaftsleistung stagnieren.Die Bundesregierung will daher der Konjunkturflaute entgegenwirken. Die Frage ist nur: Wie?
Ein gesamtwirtschaftliches Konjunkturprogramm, also Investitionen in Milliardenhöhe in die Infrastruktur und den Wohnungsbau, dürfte an der Angst vor neuen Schulden scheitern. Stattdessen wolle die Koalition in den nächsten vier Wochen branchenspezifische Vorschläge machen, ließ der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg am Montag wissen.
Im Gespräch ist etwa ein gezielter Impuls für die schwächelnde Autoindustrie. "Die Käufer sind in der Branche zurückhaltend", heißt es im Wirtschaftsministerium. Um die Verbraucher zum Kauf von Autos zu bewegen, könnte etwa die Kraftfahrzeugsteuer neu geregelt und könnten Käufer schadstoffarmer Neuwagen steuerlich begünstigt werden.
SPD-Chef Franz Müntefering sprach sich dafür aus, alle öffentlichen Einrichtungen zu sanieren, um ihren Energieverbrauch zu senken. Dies schaffe Arbeit und komme der Umwelt zugute. Eine weitere Idee, die Vergabe von Einmalgutscheinen, brachte seine Stellvertreterin Andrea Nahles ins Spiel. Sie plädierte für "Klimaschecks" für Ökokühlschränke, um die Nachfrage der Privathaushalte anzukurbeln.
Das Umweltministerium hat zudem vor, Gutscheine für klimafreundliche Geräte aller Art zu verteilen, wenn sich Verbraucher vorher eine Energieberatung einholen. "In den Gutscheingenuss sollen aber nur Bedürftige kommen", heißt im SPD-geführten Umweltministerium.Solche Vorschläge stoßen allerdings auf Kritik - bei Wirtschaftsinstituten und in der Politik.
So hält Stefan Kooths, Konjunkturexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), ein branchenspezifisches Vorgehen für problematisch. "Das führt zu Strohfeuereffekten in einzelnen Bereichen, bringt aber gesamtwirtschaftlich nichts." Diese Vorschläge seien eher das Ergebnis einer guten Lobbyarbeit. "Dem muss die Bundesregierung aber standhalten, sonst läuft sie Gefahr, vor dem Hintergrund der Finanzkrise von industriepolitischen Einzelinteressen vereinnahmt zu werden.
"Die beste Konjunkturhilfe sei ohnehin das Bankenrettungspaket: "Wenn eine Kreditklemme für die Realwirtschaft abgewendet wird, ist ein wichtiges Risiko für die Investitionstätigkeit ausgeschaltet." Deshalb müsse man zunächst die Wirkungen des Rettungspakets abwarten, ehe man "hektisch neue Konjunkturspritzen" diskutiere.
Auch der SPD-Sozialexperte Ottmar Schreiner sieht die Ansätze skeptisch. Er hält der Regierung vor, an der falschen Stelle zu investieren, und fordert, mit viel Geld die öffentlichen Infrastruktur zu modernisieren und so die Bauwirtschaft und den Mittelstand zu stützen.
Mit Blick auf das schrumpfende deutsche Exportgeschäft komme es vor allem darauf an, die Binnenkonjunktur und den Konsum in Gang zu bringen, und zwar durch angemessene Löhne: "Niedriglöhne müssen zurückgedrängt werden und die Hartz-IV-Sätze erhöht werden."
Auf welche Maßnahmen sich das Kabinett letztlich einigt, wird sich wohl erst Anfang November zeigen. Dann, so Regierungssprecher Steg, könnten die Eckpunkte mit den Fraktionen besprochen werden.
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