Revolution der Frauenmode: Das modische 20. Jahrhundert
Unterhaltsam, gelehrt und voll großartiger, amüsanter Bilder: Harriet Worsleys bündelt „100 Ideas That Changed Fashion“.
Mit den online alle hui gezeigten Fotostrecken, in denen zu sehen ist, wie Susan Sarandon, Kirsten Dunst, Rihanna oder Miley Cyrus nach einem Langstreckenflug in lässigem Outfit und ohne jede Knitterfalte aus dem Terminal spazieren, bedienen die einschlägigen Life-Style-Magazine die Berichterstattung über den sogenannten Airport Style. Ein Genre, von dem sich die Modepresse vor hundert Jahren nicht hätte träumen lassen.
Stellt man sich eine Frau um 1910 vor, wie sie etwa Jacques-Henri Lartigue im Pariser Bois de Boulogne fotografierte und schaut sich dann an, wie Harper’s Bazaar Bella Hadid in zerrissenen Jeans und Sneakern unter die „26 Celebrities with Amazing Airport Style“ rechnet, dann hat man eine Ahnung davon, welche Revolution das 20. Jahrhundert, die Moderne, für die Frauen und ihre Kleidung bedeutet haben.
Lartigues Damen trugen noch Korsett, aufgebauschte, den Fußknöchel bedeckende Kleider und weit auskragende Hüte. Aber als er seine Freundin 1930 an der Côte d’Azur fotografierte, sah er sie schon nackt sonnenbaden. Nicht nur die Formen, sondern auch das Tempo, in dem sich die weibliche Mode im 20. Jahrhundert veränderte, waren einmalig und nicht wiederholbar. Kaum war das Korsett abgeschafft, gab es den Minirock und Flugreisen. Und damit auch die Birkin Bag von Hermès.
Jean Birkins idealer Weekender
Harriet Worsley: „100 Ideas That Changed Fashion“. Laurence King Publishing. London 2019, 216 Seiten, Englisch, 18 Euro
Sie verdankt sich dem zufälligen Zusammentreffen des Geschäftsführers der Firma, Jean-Louis Dumas, mit der Sängerin und Schauspielerin Jane Birkin auf einem Flug von London nach Paris. Er half ihr den Inhalt ihrer gerissenen Tasche aus Strohgeflecht aufzusammeln und kam mit ihr ins Gespräch. Birkin beklagte, keine Tasche für den Wochenendausflug zu finden, und beschrieb ihm ihre ideale Tasche. Daraufhin soll Dumas einen ersten Entwurf auf eine Serviette gezeichnet haben, der schließlich zu dem nach ihr benannten Modell führte.
Die Birkin Bag gehört nicht zu den „100 Ideas That Changed Fashion“, die die Modejournalistin und Modehistorikerin am Central Saint Martins College of Art & Design in London, Harriet Worsley, ausfindig und in einem großzügig illustrierten Handbuch zugänglich gemacht hat. Dafür gehört aber die Status Handbag als Nummer 95, also als erst jüngst aufgekommene Idee, dazu. Denn Worsley hat die Innovationen in ihrem Crashkurs in Modegeschichte chronologisch geordnet.
Das funktioniert gut, weil sie den Kontext der Neuerung stets genau in den Fokus nimmt. Das T-Shirt zum Beispiel war die längste Zeit seiner Geschichte einfach ein Männerunterhemd. Aber als 1951 Marlon Brando in „A Streetcar Named Desire“ im zerrissenen T-Shirt auftrat, wurde es sofort zum Klassiker rebellischer jugendlicher Kleidung. Ab den 1960er Jahren wurde es auch ein Standard der weiblichen Garderobe. Und wurde nun – lange nach der Idee Nr. 17 Sunbathing – von Worsley unter der Nummer 56 registriert und seine weitere Geschichte notiert.
Die Farben der Suffragetten
Dass politische Ereignisse genauso wie ökonomische Veränderungen und technische Erfindungen dabei zur Sprache kommen, versteht sich von selbst. Mit der Idee Nr. 12 Protest Dress etwa kommt natürlich 1968 ins Spiel, hier mit Angela Davis, aber auch die drei Farben Lila, Grün und Weiß der Suffragetten kommen zur Sprache, genauso wie Punk oder der Protest, der sich auf dem T-Shirt der Modedesignerin Katherine Hamnett artikulierte, als sie Maggie Thatcher traf: „58% Don’t Want Pershing“.
Mögen Ideen wie Nr. 32 Bold Prints vielleicht diskutabel sein, gilt dies nicht für so grundstürzende Neuerungen der Frauenmode wie die Erfindung des Reißverschlusses (Nr. 21 The Zip) und der Kunstfaser (Nr. 44 Nylon) oder die Möglichkeit, im Sommer Tennis zu spielen und im Winter Ski zu fahren (Nr. 29 Sport).
Gerade bei den komplexeren Themen ist es dann schade, dass Harriet Worsley auf Fußnoten ganz verzichtet und auch die bibliografischen Angaben sehr knapp gehalten hat. Das ändert aber nichts daran, dass man auf rund 200 Seiten selten so gut und deshalb auch so unterhaltsam über Mode und Zeitgeschichte informiert wird.
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