Rettungsdienste: Streit in der Notaufnahme
Ein Lübecker Krankenhaus soll sich gegen die Aufnahme zweier alter Patientinnen gesträubt haben. Später starb eine von ihnen dort.
HAMBURG taz | Der Vorwurf wiegt schwer: Die Notaufnahme der Sana-Klinik in Lübeck soll sich gegen die Aufnahme zweier über 90 Jahre alter Intensivpatientinnen gesträubt haben. Erst nach einigen Diskussionen mit dem Rettungsdienst sollen sie aufgenommen worden sein. Doch damit nicht genug: Auch dem Hinweis eines Notarztes, dass eine der Damen künstlich beatmet werden müsse, soll nicht nachgekommen worden sein. Das behauptet der Lübecker Rettungsdienst, der von der dortigen Feuerwehr organisiert wird. Wenig später starb die Frau.
Daraufhin sprach die Leitung der Berufsfeuerwehr Lübeck die Verfügung an alle Rettungsdienste aus, keine Intensivpatienten mehr in die Sana-Klinik zu fahren. Die Lübecker Nachrichten (LN) zitieren aus der Anordnung: „Aus gegebener Veranlassung ist von einer Beförderung intensivpflichtiger Patienten in die Sana-Kliniken Lübeck abzusehen.“ Nach einem Gespräch mit dem Klinikum nimmt die Feuerwehr die Anweisung wieder zurück – acht Stunden nach dem Ausspruch. Die Todesursache der Frau soll nun in einer Obduktion geklärt werden.
Der stellvertretende Chef der Berufsfeuerwehr, Bernd Neumann, will den Fall nicht weiter kommentieren und sagt nur: „Das wird nun von Polizei und Staatsanwaltschaft überprüft.“
Recht: Notaufnahmen haben keine Berechtigung, Patienten abzulehnen. Marco König vom Deutschen Berufsverband Rettungsdienst: "Es ist eine reine Goodwill-Aktion der Dienste, wenn sie auf Bitten des Krankenhauses hin woanders hinfahren."
Zusammenarbeit: Krankenhäuser setzen sich bei extremer Auslastung mit der Leitstelle der Feuerwehr in Verbindung und bitten darum, einige Stunden nicht angefahren zu werden.
Grundversorgung: Jeder Patient, der in die Notaufnahme gebracht wird, muss dort behandelt werden, bis er wieder stabil ist.
Klinik-Chef Klaus Abel hingegen wies sämtliche Vorwürfe zurück. „Kein Patient wird abgewiesen“, teilte er in einer Stellungnahme mit. Alle Vorwürfe seien zudem mit den Beteiligten ausgeräumt. „Eine interne Fallprüfung hat ergeben, dass es hier zu keinem Fehlverhalten gekommen ist.“ Auch den Vorwurf der mangelnden Versorgung der alten Dame bestritt Abel vehement: „Die Behandlung aller Patientinnen und Patienten erfolgt stets nach den höchsten medizinischen Standards.“ Alle anderen Behauptungen zu diesem Fall seien falsch.
Marco König vom Deutschen Berufsverband Rettungsdienst hält den Anfahrtsstopp der Feuerwehr in Lübeck für überzogen. „Das ist für mich nicht nachvollziehbar, ohne dass alle Parteien dazu angehört wurden“, sagt er. „Mir ist nicht bekannt, dass die Versorgung zu irgendeinem Zeitpunkt nicht gewährleistet war.“ Krankenhäuser seien grundsätzlich verpflichtet, jeden Patienten zumindest bis zur Stabilisierung zu versorgen. „Manchmal sind die Notaufnahmen aber auch einfach überlastet.“ Auch der stellvertretende Feuerwehrchef Neumann bestätigt allgemein, dass „im Gesundheitssystem die Notfall-Kapazitäten runtergefahren werden“. Das sei allerorts so, und betreffe auch die Rettungsdienste.
Ingo Schaffenberg (SPD), Lübecker Bürgerschaftsabgeordneter, wies angesichts des Vorfalls auf die finanziellen Probleme des Krankenhauses hin. „Es kann nicht sein, dass Menschen darunter leiden, dass die Sana-Klinik seit Jahren unter Finanzdruck steht“, sagt er den LN.
Klinikleiter Abel verbat sich hingegen ausdrücklich einen Kausalzusammenhang zwischen wirtschaftlichen Zwängen und medizinischer Versorgung.
Am kommenden Mittwoch soll es nun ein klärendes Treffen zwischen Feuerwehr und Krankenhaus geben. Erst nach dem Gespräch und den Polizei-Untersuchungen will die Lübecker Stadtverwaltung offiziell Stellung beziehen – sie ist für den Rettungsdienst verantwortlich. „Wir warten das Gespräch zwischen der Feuerwehr und dem Krankenhaus sowie die polizeilichen Ermittlungen ab, erst dann bilden wir uns eine offizielle Meinung“, sagte Wirtschafts und Sozialsenator Sven Schindler (SPD) der taz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch