Rettung der Hypo Real Estate: Der kollektive Irrtum
102 Milliarden Euro Rettungshilfe bekam die Bank. Der Untersuchungsausschuss fragt, warum das sein musste. Ackermann und Mirow äußern sich.
BERLIN taz | Auf diesen Augenblick hat der Untersuchungsausschuss zur Hypo Real Estate (HRE) lange gewartet: Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann erscheint. Und deeskaliert. Er schüttelt erst mal allen Abgeordneten die Hand. Wenig später macht er dann klar, wie er seine eigene Rolle sieht: Er hat die deutsche Wirtschaft gerettet. Er empfindet sich als Agent des Volkswohls, nicht der Deutschen Bank. "Wir waren bei der Hypo Real Estate nur mit wenigen hundert Millionen engagiert." Aber leugnet nicht, dass er die zentrale Figur war, als es um die Rettungsaktion für die HRE im vergangenen Herbst ging.
Die Hypo Real Estate war in eine dramatische Schieflage geraten, weil ihre irische Tochter Depfa langfristige Staatsdarlehen kurzfristig refinanziert hatte. Dieses riskante Geschäft brach zusammen, als die Finanzmärkte kollabierten, nachdem die US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 ihre Pleite melden musste. Plötzlich war keine Bank mehr bereit, noch einer anderen Bank Geld zu leihen. Die HRE geriet in einen fatalen Liquiditätsengpass.
Es kam zu einem dramatischen Rettungswochenende vom 26. bis 28. September, wo Banken und Regierung versuchten, eine Lösung für die HRE zu finden, noch bevor die Börse in Tokio am Montagmorgen wieder öffnete. Am Ende wurden Garantien in Höhe von 35 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Doch schon drei Tage später stellte sich heraus, dass weitere 15 Milliarden Euro gebraucht würden. Inzwischen belaufen sich die Garantien auf 102 Milliarden Euro.
2003: Die HypoVereinsbank spaltet ihr gewerbliches Immobilienfinanzierungsgeschäft ab, und die Hypo Real Estate (HRE) entsteht. Sie geht noch im gleichen Jahr an die Börse und schafft es zwei Jahre später in den DAX.
2007: Die HRE schluckt die in Irland angesiedelte Depfa-Bank für 5,7 Milliarden Euro. Die Depfa ist weltweit auf staatliche Projekte spezialisiert.
28. September 2008: Es wird bekannt, dass der HRE ein Zusammenbruch droht und bereits Rettungsbemühungen laufen.
29. September 2008: Die Bundesregierung und private Banken einigen sich auf ein Rettungspaket von 35 Milliarden Euro für die HRE. Die Bundesregierung übernimmt davon 26,6 Milliarden Euro.
Die HRE-Aktie verliert um bis zu73,91 Prozent und fällt auf 3,52 Euro.
30. September 2008: Die Bundesbank und die Finanzaufsicht Bafin bringen eine Zerschlagung der HRE als Möglichkeit ins Spiel.
5. Oktober 2008: Die HRE erhält zusätzlich Kredite über 15 Milliarden Euro - insgesamt jetzt also 50 Milliarden.
7. Oktober 2008: HRE-Chef Georg Funke tritt ab. Die Bundesregierung fühlte sich während der Verhandlungen über das Rettungspaket vom Management falsch informiert und hatte ihre Empörung mehrfach auch öffentlich geäußert.
12. Dezember 2008: Die Staatsanwaltschaft München durchsucht die Büroräume der Bank.
11. Februar 2009: Der Bankenrettungsfonds Soffin sagt der HRE Hilfen von 52 Milliarden Euro zu - die Hilfe für die HRE steigen auf insgesamt 102 Milliarden Euro.
18. Februar 2009: Das Kabinett verabschiedet das "Rettungsübernahmegesetz", das die Enteignung der Altaktionäre der HRE erlaubt.
20. März 2009: Der Bundestag billigt das Gesetz.
28. März 2009: Der Bund erwirbt 8,7 Prozent HRE-Anteile über eine Kapitalerhöhung.
3. April 2009: Der Bundesrat stimmt dem Rettungsübernahmegesetz zu.
7. Mai 2009: Mit einem Übernahmeangebot an die Aktionäre sichert sich der Bund 47,31 Prozent der HRE-Anteile. Der New Yorker Großaktionär Christopher Flowers lehnt das Angebot von 1,39 Euro pro Aktie ab.
2. Juni 2009: Der Bund setzt eine Kapitalerhöhung durch, mit der er 90 Prozent an der HRE erhält.
28. Juli 2009: Vor dem Untersuchungsausschuss, der die Vorgänge rund um den Beinahe-Zusammenbruch der HRE klären soll, werden der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und Ex-Finanzstaatssekretär Thomas Mirow befragt.
Was noch fehlt: Ihre Quartalsbilanz will die HRE am 7. August veröffentlichen, eine Woche später will der Bund den US-Investor Christopher Flowers und alle übrigen Aktionäre auszahlen. TAZ
"Es war ein wirklich interessantes Wochenende", sagt auch Ackermann, der anschließend mit hörbarer Freude in die Details des Pokers zwischen Bundesregierung und Banken einsteigt. In nächtlichen Telefonaten machte er Finanzminister Peer Steinbrück und Kanzlerin Angela Merkel klar, dass die Finanzbranche unmöglich mehr als 8,5 Milliarden Euro an möglichen HRE-Verlusten tragen könne. "Eine staatliche Lösung war nötig." Am Ende hatte er die Bundesregierung überzeugt. Es seien "ernste, konstruktive und freundliche Gespräche" gewesen.
Wie kann es sein, dass die HRE innerhalb so kurzer Zeit immer mehr Garantien benötigte? Davon war auch Ackermann überrascht. Ab dem 1. Oktober untersuchte dann ein Team der Deutschen Bank die Bücher der irischen Depfa. Dort stellten sie fest, dass das "Liquiditätsmanagement nicht gut war". Bei Swapgeschäften, Derivaten und auch Fälligkeiten von Krediten herrschte Chaos. "Wir waren relativ ungehalten."
Aufklärung erhoffte sich der Untersuchungsausschuss auch von Axel Wieandt, der früher bei der Deutschen Bank für die Konzernentwicklung zuständig war und jetzt HRE-Vorstandschef ist. Besonders ergiebig waren diese Fragestunden nicht, obwohl Wieandt als enger Vertrauter von Ackermann gilt. Entweder zog sich Wieandt darauf zurück, dass er nicht am ersten Rettungswochenende teilgenommen hatte - oder aber dass er erst seit dem 13. Oktober 2008 bei der HRE amtiert. "Dazu kann ich aus eigener Anschauung keine Aussage machen" war denn auch der Satz, der von Wieandt am häufigsten zu hören war. "Das kann ich nicht genau beziffern" war der andere Klassiker, wenn er nach Zahlen gefragt wurde. Offenbar war als Rollenverteilung vorgesehen, dass sich nur Ackermann zur HRE-Rettung äußern sollte.
Inzwischen ist die HRE verstaatlicht und der Bund trägt fast alle Verlustrisiken, während die Banken davon profitieren, dass sie garantierte Kredite an die HRE vergeben können. "Sie kassieren 1 Prozent über dem Libor", erregt sich der linke Finanzexperte Axel Troost. Der Libor ist der Zinssatz, der normalerweise bei Krediten zwischen Banken verlangt wird.
Wie überrascht die Politik vom Zusammenbruch der HRE war, zeigte sich bei der Befragung von Thomas Mirow (SPD), der bis Juni 2008 der zuständige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium war und heute Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ist. So erhielt Mirow im Januar 2008 einen Brief vom Chef der Bundesfinanzaufsicht Bafin, doch dort warnte Jochen Sanio nicht vor den Liquiditätsengpässen, an denen die HRE später zugrunde gehen sollte. Stattdessen sah Sanio die möglichen Gefahren ganz woanders: Die Bafin hatte ermittelt, dass die HRE rund 560 Millionen auf US-Ramschhypotheken würde abschreiben müssen. "Das sind hohe Summen", gibt Mirow zu, doch sah er damals keinen Grund, gleich an der Existenzfähigkeit der HRE zu zweifeln. Denn kurz zuvor hätte die Bank noch Milliardengewinne ausgewiesen.
Süffisant erinnerte sich Mirow an eine Sitzung des Finanzausschusses im Bundestag am 28. Mai 2008: "Die HRE hat keine Rolle gespielt, auch nicht bei den Fragen der Opposition." Stattdessen hätten alle Parteien eine "gewisse Beruhigung der Finanzmarktkrise" festgestellt. Ein kollektiver Irrtum, wie man nun weiß.
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