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Resolut und undramatisch

„Deep End“ erinnert an jene Melodramen der 40er-Jahre, die gerne als „women’s pictures“ abgewertet wurden

Lake Tahoo. Schwarz, lethargisch, tief und so glatt, dass man noch einmal mit dem Gedanken spielt, dies und der Rest der Welt könnte vielleicht doch eine Scheibe sein. Ein See wie ein Zustand. Ein reingeworfener Stein, schon eine Sensation. Und als eines Nachts ein Mann hineinfällt, dabei mit der Brust in einem Anker landet und nie wieder aufsteht, kann man ahnen, welche Wellen dieser Vorfall machen könnte.

In diesem kleinen Ort, in dem die Frauen sich beim Tennis und die Töchter beim Ballett treffen. Frauen wie Margaret Hall. Zugehörige einer PC-verklemmten, liberale Mittelklasse. Nicht spießig, aber besorgt. Margaret Hall hat nichts gegen Andersdenkende oder Schwule, sie ist auch keineswegs pingelig. Als sie in dem Toten am Ufer den heimlichen Geliebten ihres Sohnes Beau erkennt, krempelt sie die Ärmel hoch, hievt den Anker aus dem Torso und die Leiche ins Boot, um sie im Lake Tahoo neben vielen anderen Mythen zu versenken. Resolut und undramatisch. Ein mütterlicher Dienst, damit der zarte Sohn unschuldig bleibt und sich seine Zukunft nicht mit schmuddeligen Schlagzeilen versaut. Viel Zeit zum Verschnaufen bleibt Mrs Hall nicht. Erpresser bringen noch mehr Ärger ins Haus, ihr Schwiegervater ist herzkrank und ihr Gatte, ein Marineoffizier, schon seit Wochen auf hoher See.

„Deep End“, der zweite Spielfilm von Scott McGehee und David Siegel, ist eine wunderbare, eigensinnige Remineszens an all jene Melodramen oder Thriller der 40er-Jahre, die leichtfertig abwertend als „women’s pictures“ in die Rezeptionsgeschichte eingingen. Geschichten von Frauen, die trotz aller Ordnungsliebe zwischen die moralischen Fronten geraten und sich fern des bürgerlichen Regelwerks bald auf niemand anderen mehr verlassen können als auf sich selbst.

„In ihrem Herzen trug sie das Bild des Hauses, das sie bewachen, dessen Bewohner sie beschützen musste“, heißt es in der Romanvorlage „The Blank Wall“ von Elisabeth Sanxay Holding, die zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in The Ladies Home Journal zwischen Rezepten und Berichten über orthopädisches Schuhwerk veröffentlicht wurde. Hitchcock soll den Stoff zu seiner „Lieblingslektüre“ erklärt haben und Max Ophüls verfilmte ihn bereits 1949 unter dem Titel „The Reckless Moment“.

Filme wie dieser präsentierten dem kriegsmüden Publikum krisenfeste Frauen, die sich keineswegs damit begnügten, ihren Männern Blumen auf den Weg zu streuen, wenn sie von den Schlachtfeldern der Welt heimkehrten, sondern unterdessen selbst Heim und Familie vor äußeren Feinden verteidigten. Nicht zufällig verkörpert die „neue“ Margaret Hall eher die Qualitäten einer Chefcontrollerin als die eines vor Fürsorge dampfenden Muttertiers. Tilda Swinton unterfüttert ihre Protagonistin dazu mit einer gut dosierten Mischung aus äußerer Wehrhaftigkeit und wachsender innerer Verzweiflung.

Swinton ist es auch, der der Film einen Großteil seiner Spannung, seiner Ambivalenz verdankt. In ihrem Gesicht finden unbedingter Ordnungswille und moralische Orientierungslosigkeit nebeneinander Platz. Da kann die Kamera aus dem Vollen schöpfen. Close-up an Close-up. Eine Einstellungsgröße, die in Hollywood aus Sehnsüchtigen Göttinnen macht. Hier wird das Bild zur Studie einer Einsamen. Es gibt niemanden zum Reden. Nichts zum Verhandeln. Keinen Spielraum, keine Chance, ohne Schaden davonzukommen. Nur zweimal hören wir sie schluchzen. Am Anfang, nachdem sie noch einmal in die eiskalte Tiefe tauchen muss, um der Leiche die Autoschlüssel abzunehmen. Und am Ende, als alles vorbei ist. Auch Margarets Chance für eine neue Liebe, eine bloß sekundenlange Spekulation auf ein anderes Leben. BIRGIT GLOMBITZA

„Deep Ende – Trügerische Stille“. Regie: Scott McGehee/David Siegel. Mit Tilda Swinton, Goran Visnjic, u. a., USA 2001, 99 Min.

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