Residenzpflicht: Behördenterror für Asylbewerber
Wenn Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt jemanden besuchen wollen, muss der Gastgeber sein Gehalt melden. Auch viele andere Städte haben zum Teil absurde Auflagen.
BERLIN taz | Der Landkreis Jerichower Land in Sachsen-Anhalt hat ein ganz besonderes detailliertes Interesse an den Kontakten seiner Asylbewerber zu Freunden und Bekannten im Bundesgebiet. Um den Landkreis verlassen zu dürfen, werden Daten verlangt, die über die Angaben weit hinausgehen, die andere Landkreise verlangen.
Auf einem Formular, das der taz vorliegt, muss ein Asylbewerber, der zu einem kurzen Besuch nach Berlin, Bremen oder Hannover fahren will, genau angeben, wen er besuchen will. Verlangt werden die Anschrift des zu Besuchenden, dessen Geburtsdatum, der Anlass des Besuchs, die Beziehung des Gastgebers zum Asylbewerber. Darüber hinaus muss der Gastgeber eine Meldebescheinigung und eine Kopie seines Passes oder Personalausweises sowie einen aktuellen Einkommensnachweis an die Ausländerbehörde Jerichower Land schicken.
Die Berliner Sozialwissenschaftlerin Beate Selders dokumentierte das Formblatt im Rahmen ihrer kürzlich erstellten Studie "Keine Bewegung! Die Residenzpflicht für Flüchtlinge - Bestandsaufnahme und Kritik". Selders sagt: "Dass eine Behörde eine Meldebescheinigung des Gastgebers sehen will, wodurch dem Gastgeber ja ein zeitaufwändiger Behördengang und Kosten entstehen, ist selten. Dass ein Einkommensbescheid verlangt wird, ist bundesweit einmalig." Beim Jerichower Land handle es sich laut Selders um eine besonders restriktive Ausländerbehörde.
Für Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge hat Deutschland ein Bild, das dem aus den Zeiten der Kleinstaaterei ähnelt: Es besteht aus 413 Kreisen und kreisfreien Städten, dessen Grenzen Asylsuchende nur mit behördlicher Genehmigung und oft auch erst nach Zahlung von "Wegezoll" in Form von Gebühren an die Ausländerbehörde übertreten dürfen.
Selders berichtet von Fällen, wo Kinder nicht an eigentlich kostenlosen Ferienfreizeiten teilnehmen konnten, weil die Eltern nicht die Gebühren für den Antrag auf das Verlassen des Landkreises aufbringen konnten. Die Sozialwissenschaftlerin dokumentierte ein paar besonders absurde Geschichten: Asylsuchende aus dem Enzkreis in Baden-Württemberg dürfen zwar in die kreisfreie Stadt Pforzheim fahren, um dort die für sie zuständige Ausländerbehörde aufzusuchen. Jeder andere Aufenthalt in dieser Stadt sowie auch die Durchreise durch sie in das weitere Kreisgebiet ist aber genehmigungspflichtig. Und auf dem Bahnhof wird kontrolliert.
Asylsuchende aus Hennigsdorf in Brandenburg, die in das nahe Berlin wollen, müssen zuerst in die entgegengesetzte Richtung nach Oranienburg fahren, um dort die Genehmigung einzuholen. Nach Selders Recherchen wird die Genehmigung für Bildungsaufenthalte in Berlin so gut wie nie gewährt. "Es ist nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien viele Landkreise die Genehmigungen erteilen und verweigern." Sie dokumentiert Fälle, wo die Genehmigung zuerst verwehrt wurde. Sobald ein deutscher Einladender anrief oder der Asylbewerber auf einen rechtskräftigen Ablehnungsbescheid bestand, wurde die Genehmigung erteilt.
Henry Liebe, Sprecher des Landkreises Jerichower Land, hält die Angaben auf dem Fragebogen für notwendig und mit dem Datenschutz vereinbar. "Es soll sichergestellt werden, dass der Ausländer für Behörden und Gerichte sowie zur Durchführung der Ausreise erreichbar ist." Der Bogen mit Gehaltsangaben des Einladenden werde inzwischen aber nicht mehr verwendet. Er wird demnächst im Landtag von Sachsen-Anhalt durch die Linke hinterfragt werden. "Nach meiner Überzeugung ist das grob datenschutzwidrig und auch unsinnig", sagt deren Abgeordnete Dolores Rente.
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