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Repressionen in RusslandTeenagerin aus der U-Haft in den Hausarrest

Die 19-jährige Russin Daria Kosyrewa soll die heimische Armee diskreditiert haben. Im Falle einer Verurteilung drohen ihr bis zu fünf Jahre Haft.

Polizisten in Sankt Petersburg: Öffentliche Kritik ist in Russland kaum mehr möglich Foto: Peter Kovalev/imago

Moskau taz | Vier Zeilen standen auf dem Zettel, den Daria Kosyrewa in einem Park im Norden von Sankt Petersburg mit Paketband an dem Sockel eines Denkmals für den ukrainischen Dichter Taras Schewtschenko befestigt hatte. Es war der 24. Februar 2024, der zweite Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine.

„Begrabt mich und erhebt euch, Sprengt eure Ketten, Und mit bösem Feindesblute, Möge sich die Freiheit röten“, so hatte Schewtschenko im 19. Jahrhundert geschrieben, auf Ukrainisch. Auf Ukrainisch war auch Kosyrewas Zettel. Damit soll die damals 18-Jährige die russische Armee „diskreditiert“ haben, sagt die willfährige russische Justiz.

Fast ein Jahr verbrachte Daria Kosyrewa dafür in U-Haft. Seit wenigen Tagen ist sie wieder zu Hause, aber nicht frei. Mit einer einstweiligen Verfügung hat ein Petersburger Gericht sie in den Hausarrest entlassen. Die 19-Jährige darf nachts das Haus nicht verlassen, nicht mit Jour­na­lis­t*in­nen sprechen und weder Telefon noch Internet benutzen. Ein Urteil gegen sie steht aus. Ihr drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Russlands Repressionen treffen jegliche Regimegegner*innen, die ihre Meinung offen äußern. Und seien sie noch so jung. Schätzung russischer Men­schen­recht­le­r*in­nen zufolge sind etwa 130 Kinder und Jugendliche in Haft. Jegor Balasejkin war 17, als er zu sechsjähriger Lagerhaft verurteilt wurde – wegen „Terrorismus“. Balasejkin hatte aus Protest gegen den Krieg einen selbst gebauten Molotowcocktail gegen eine Einberufungsbehörde in der Stadt Kirow, in der Nähe von Sankt Petersburg, geworfen. Das Geschoss entzündete sich nicht, es gab keine Verletzten.

Fünfeinhalb Jahre Kolonie

Der 15-jährige Arseni Turbin aus Liwny in der Region Orjol wurde vergangenen Juni zu fünfeinhalb Jahren Erziehungskolonie verurteilt – wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“. Der Jugendliche hatte Flugblätter in Briefkästen geworfen, auf denen stand: „Brauchst du einen solchen Präsidenten?“ Bei der Urteilsverkündung sagte er: „Ich habe wirklich nicht gewusst, dass ich irgend etwas verletze. Verzeih, Mama.“

Daria Kosyrewa war 18, als sie zum ersten Mal festgenommen wurde. Da hatte die Studentin die zwei aufgestellten Herzen auf dem Platz vor der Eremitage in Sankt Petersburg „beschädigt“. Eine Installation aus Kunststoff, die die Städtepartnerschaft zwischen Petersburg und Mariupol symbolisieren sollte. Das ukrainische Mariupol, das die russische Armee dem Erdboden gleich gemacht hatte.

„Mörder, ihr habt es zerbombt“, hatte sie in Schwarz darauf geschrieben. Kurz darauf bestraften sie die Behörden für einen Antikriegspost bei Vkontakte, dem russischen Facebook. 30.000 Rubel, umgerechnet 3.000 Euro für die eigene Meinung.

Kosyrewa wurde der Universität verwiesen, in Petersburg hatte sie Medizin studiert. Sie verlor vieles, aber eines blieb: Das Lächeln und die Überzeugung, ein „reines Gewissen“ zu haben, wie sie aus der U-Haft geschrieben hatte. „Ich saß nicht untätig da, ich versuchte, etwas zu tun.“

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