Repression in der Türkei: Mit Corona gegen die Opposition
Präsidentenbeleidigung und Fake-News-Vorwürfe: Die türkische Regierung nutzt die Coronakrise, um gegen Kritiker vorzugehen.
Fatih Portakal, beliebtester TV-Moderator des Landes, wurde von Recep Tayyip Erdoğan wegen Beleidigung des Präsidenten angezeigt. Portakal hatte in einem Tweet über die Sammelaktion gelästert und angedeutet, bald könnten auch Bankkonten beschlagnahmt werden.
Portakal ist das Aushängeschild von Fox-TV. Andernorts ein stockkonservative Murdoch-Sender, ist Fox-TV in der Türkei derzeit der bekannteste Oppositionssender. Jeden Abend um 19 Uhr geht Portakal auf Sendung, sein News-Programm wird laut Rating-Agenturen von mehr Leuten gesehen als die aller regierungsnahen Fernsehsender zusammen.
Während auf anderen Kanälen nur noch Regierungspropaganda stattfindet, werden auf Fox-TV Informationen verbreitet, die die Regierung am liebsten unter den Teppich kehren würde. So wurde schon früh berichtet, dass viele Mediziner die Corona-Statistik des Gesundheitsministeriums anzweifeln und die Zahl der Infizierten in der Türkei höher sein könnte. Viel Raum nimmt seit Tagen nun die Debatte über staatliche und kommunale Hilfsaktionen ein.
Istanbul will härtere Maßnahmen
Schon Tage bevor der Gesundheitsminister zugeben musste, dass in Istanbul die Zahl der Erkrankten weit höher ist als im Rest des Landes, hatte Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu von der oppositionellen CHP Alarm geschlagen. Seit klar ist, dass mehr als 60 Prozent der mehr als 30.000 Corona-Infizierten des Landes in Istanbul leben, fordert İmamoğlu härtere Maßnahmen für die Stadt, zuletzt sogar eine komplette Ausgangssperre, was die Regierung in Ankara aber ablehnt.
Um Hilfsbedürftige zu unterstützen, setzte İmamoğlu Wasserrechnungen und andere Zahlungen aus, die normalerweise über die Kommune laufen. Gleichzeitig richtete er Spendenkonten ein, über die in einzelnen Stadtteilen für Bedürftige gespendet werden konnte. Ähnlich aktiv war sein Kollege in Ankara, Bürgermeister Mansur Yavaş, ebenfalls CHP.
Aus Sicht Erdoğans haben beide aber den Makel, Vertreter der CHP zu sein. Durch Innenminister Süleyman Soylu ließ Erdoğan die Spendenkonten in den von der CHP regierten Kommunen sperren und richtete landesweite, staatliche Spendenkonten bei den drei großen staatlichen Banken in Ankara ein. Demonstrativ spendete Erdoğan selbst mehrere eigene Monatsgehälter; seine Minister und andere Prominente mussten nachziehen. Ansonsten ist bislang nur wenig Geld eingegangen.
Das Geld fließt nicht
Seit Tagen kursieren auf oppositionellen Websites wie T24 Meldungen, dass Staatsangestellten und Mitarbeitern von Firmen, die von staatlichen Aufträgen leben, eine „Spende“ vom Gehalt einbehalten wird. Wer das nicht will, muss protestieren und setzt sich so automatisch auf die Kündigungsliste.
Diese Geschichten sind es, die in Portakals Sendung auf Fox-TV diskutiert werden. Wenn die Staatsanwaltschaft sich beeilt, kann der Moderator schon bald wegen Beleidigung des Präsidenten verurteilt werden.
Portakal wäre nicht der erste, der wegen Beleidigung Erdoğans ins Gefängnis geht: Allein in den letzten beiden Märzwochen wurden laut Innenministerium knapp 500 Ermittlungsverfahren wegen angeblicher „irreführender“, sprich regierungskritischer, Behauptungen in den sozialen Medien eingeleitet, die unter anderem auch zu Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung führen können.
Auch an anderer Stelle macht die Regierung klar, dass sie die Virus-Krise als Gelegenheit sieht, politische Gegner abzustrafen. Am Dienstag diskutierte das Parlament ein Amnestiegesetz für einen Teil der fast 300.000 Insassen türkischer Gefängnisse, die der Ansteckungsgefahr oft hilflos ausgeliefert sind.
Rund ein Drittel der Gefangenen soll amnestiert oder in einen Hausarrest überführt werden. Ausdrücklich ausgenommen von der Amnestie sind Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und andere, die wegen Kritik an der Regierung im Knast sitzen. Der Entwurf soll in den nächsten Tagen als Gesetz verabschiedet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“