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Repression gegen Wissenschaftler7 Jahre Knast wegen 1 Dollar

Ein amerikanisch-türkischer Mitarbeiter der NASA muss ins Gefängnis. Vorwurf: CIA-Agent und Gülen-Anhänger. Die NASA sieht das anders

Haben Sie eine Dollarnote einstecken? Vorsicht, die türkische Justiz könnte sie als Terrorist verdächtigen! Foto: dpa

Im Sommer 2016 reiste Serkan Gölge wie jedes Jahr mit seiner Ehefrau und den zwei Kindern von Houston in die Türkei, um seine Familie im südosttürkischen Hatay zu besuchen. Doch in diesem Jahr war nichts wie sonst. Nach dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juli 2016 war bei der Polizei eine Anzeige gegen Gölge eingegangen. Jemand hatte ihn beschuldigt, ein Agent der CIA und ein verdeckter Gülen-Anhänger zu sein. Gölge wurde am 23. Juli 2016 inhaftiert. Nach über 1,5 Jahren wurde der Mitarbeiter der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA nun zu sieben Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Die Polizei hatte das Haus durchsucht, in dem Gölge zu Gast war, und protokollierte den Fund einer Ein-Dollar-Note. Eigentlich kein besonderer Fund, wäre da nicht die Annahme der türkischen Behörden, dass die Ein-Dollar-Note auf eine Mitgliedschaft in der ‚Fetullahistische Terrororganisation‘ (FETÖ) hinweist. Die Banknote wollen die Behörden auch bei hochrangigen Offizieren, die am Putsch beteiligt waren, gefunden haben, ebenso bei Polizisten, Richtern, Akademikern, Geschäftsleuten und Lehrern, die beschuldigt werden, der Gülen-Sekte anzugehören. Türkische Behörden glauben auch, dass die Seriennummern auf den Banknoten auf den Rang der Mitglieder innerhalb der „Fetullahnistischen Terrororganisation“ hinweisen.

Kübra Gölge, die Frau von Serkan Gölge, lebt seit 19 Monaten in Hatay, weil sie in der Türkei bleiben muss – wegen eines Notstandsdekrets, das Ehepartnern von verdächtigten Personen verbietet, das Land zu verlassen. Ihr Haus in Houston hat die Familie bereits verkauft. Ein Kind des Paares, das bei Urlaubsbeginn erst drei Monate auf der Welt war, ist jetzt zwei Jahre alt.

Steile wissenschaftliche Karriere

Serkan Gölge ist 37 Jahre alt. Mit einem Stipendium des türkischen Hochschulrats (YÖK) studierte er an der Fatih Universität in Istanbul und schloss dort vor 15 Jahren ab. Die Universität wurde nach dem Putschversuch geschlossen, weil sie Verbindungen zur Gülen-Sekte pflegte. 2003 ging Gölge in die USA und absolvierte dort seinen Doktor in Physik. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel in wissenschaftlichen Publikationen. Als Wissenschaftler begann er 2013 für die US-Behörde für Raumfahrt und Flugwissenschaft, die NASA zu arbeiten.

Bis zu seinem Urlaub in der Türkei im Sommer 2016 arbeitete er dort an einem Projekt, das Menschen auf den Mars schicken will. Gölge untersuchte, wie sich Strahlungen im Weltall auf die menschliche Gesundheit auswirken.

Neben einer türkischen besitzt der Wissenschaftler auch eine US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Mitarbeiter der US-amerikanischen Vertretung in der Türkei besuchten ihn im Oktober 2017 in der Haftanstalt.

Türkischer Nachrichtendienst MIT: „Arbeite für uns“

Im Gerichtsprozess von Gölge wurde bekannt, dass es ein Verwandter von Gölge war, der ihn bei der Polizei anzeigte. Der Verwandte sagte vor Gericht aus, dass er dem Ruf des Präsidenten gefolgt sei, verdächtige Personen zu melden. Er habe Gölge in seinem bisherigen Leben nur ein paar Mal gesehen und hätte keine Beweise in der Hand, außer seiner Vermutung, Gölge könnte für die CIA arbeiten, “weil er ins Ausland gegangen war und in den USA arbeitete“.

Über die Ein-Dollar-Note sagte Gölge, dass sie ihm nicht gehöre. Gölges Anwalt Ali Bilgin vermutet, dass der Geldschein von der Polizei in der durchsuchten Wohnung untergebracht wurde. Der Anwalt berichtet, dass sein Mandant während der Haft manchmal in der Nacht geweckt wurde und sechs “illegale Befragungen“ mit ihm durchgeführt wurden. Bei diesen Gesprächen hätten Personen, die sich als Mitarbeiter des Nachrichtendienstes MIT ausgaben, Gölge gesagt, er sei amerikanischer Staatsbürger und könne überall hin, um Informationen zu besorgen. Sie hätten gesagt: „Arbeite für uns“. Anwalt Bilgin sagt: „Wir wissen nicht, aber wir fragen uns, ob diese Dollar-Note in der Wohnung untergebracht wurde, damit mein Mandant Informationen sammelt, damit er in eine schwierige Situation kommt.“

Fragliche Beweise

Der Staatsanwalt forderte bei ihrem Plädoyer vor Gericht eine Haftstrafe für Gölge. Als Beweismittel führte sie neben der Ein-Dollar-Note auch an, dass Gölge mit drei Personen telefoniert habe, die auf ihrem Telefon die vermeintliche Gülen-App „By Lock“ installiert hätten. Auch führe Gölge ein Konto bei der Bank Asya. Bereits im Februar 2015 setzten türkische Behörden einen neuen Vorstand bei der Bank ein, das dem Netzwerk von Gülen angehörte.

In der 35-seitigen Anklageschrift gegen Gölge finden sich fast ausschließlich allgemeine Informationen über die vom Staat als ‚Fetullahistische Terrororganisation‘ bezeichneten Gülen-Sekte. Nur eine Seite der Anklageschrift bezieht sich direkt auf den angeklagten Gölge.

Dazu kommt, dass ein weiterer Prozess gegen Gölge eröffnet wurde, wegen eines Telefonats, das er aus der Haft mit seiner Ehefrau geführt hatte. Bei der Verhandlung vor dem Strafgricht in Hatay fasste der Richter dieses Gespräch zusammen: Die Ehefrau Kübra Gölge habe bei dem Gespräch erzählt, dass sie mit dem ehemaligen US-Botschafter in der Türkei, John Bass, einem Journalisten und zivilgesellschaftlichen Organisationen gesprochen habe. Dieser zweite Prozess wurde mit dem ersten zusammengeführt, dessen Ergebnis nun ein Urteil ist, das eine Haftstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten vorsieht.

In seiner Verteidigung sagte Gölge, dass in dem Telefongespräch keine strafbaren Aussagen gefallen seien und dass man von diesem Gespräch nicht auf die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation schließen könne. Gölge betonte, dass er keiner Terrororganisation angehöre, und dass es keine konkreten Beweise für diesen Vorwurf gebe.

Unglauben über Urteil

Kübra Gölge reagierte mit Unglauben auf das Urteil: „Ich kann nicht glauben, dass dieses Urteil gesprochen wurde.“

Bei einer Pressekonferenz am Tag des Urteils sagte Heather Nauert, die Sprecherin des US-Außenministeriums, dass die USA „tief besorgt“ seien über die „Verurteilung des US-Staatsbürgers Gölge wegen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation ohne glaubwürdige Beweise“. Die USA werde seinen und die Fälle anderer angeklagter US-Bürger in der Türkei weiterhin verfolgen.

Nauert äußerte Bedenken über die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit in der Türkei während des Ausnahmezustands, die Einhaltung verfassungsmäßig gesicherter Rechte, darunter das individuelle Recht auf einen fairen Prozess. Nauert rief die türkische Regierung auf, den Ausnahmezustand zu beenden und willkürlich verhaftete Personen freizulassen.

Die wissenschaftlichen Vereinigungen „Concerned Scientist Committee“ und „Endangered Scholars Worldwide“ veröffentlichten Erklärungen, in denen sie den Wissenschaftler Gölge als Opfer einer Hexenjagd in der Türkei bezeichneten. Die US-Raumfahrtbehörde NASA hält Gölges Stelle weiterhin offen – obwohl zu diesem Zeitpunkt nicht klar ist, ob und wann die Familie in die Vereinigten Staaten von Amerika zurückkehren kann.

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