Repression gegen Linke: Die Adbuster kleben zurück

Eine Adbusterin legt Rechtsmittel gegen eine Hausdurchsuchung ein. Sie kritisiert überzogene Strafverfolgung linker Aktionsformen.

Aktivist:innen kleben ein Plakat auf eine Bushaltestelle. Darauf steht: "Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe"

Achtung, Linksterrorismus: Anschlag vor dem Kriminalgericht Foto: dpa

BERLIN taz | Mit Klebestreifen ist ein falsches Plakat an einer Bushaltestelle vor dem Kriminalgericht Moabit befestigt. Es ist optisch an eine auffällige Plakatkampagne der Bundeswehr angelehnt. Nur dass auf diesem Poster „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe“ steht – statt des Originalspruchs „Dienst an der Waffe geht auch ohne Waffe“. Das Poster ist ein Adbusting. Das englische Wort bezeichnet das Zerstören oder Verfremden eines Werbeplakats, um damit politische Botschaften zu verbreiten, Staats- oder Konsumkritik zu üben oder Sicherheitsbehörden lächerlich zu machen.

Vor dem Plakat steht am Mittwochvormittag Frida Henkel (echter Name ist der taz bekannt) und erzählt, warum ihr dieses Poster sehr viele Probleme bereitet hat. Das Originalplakat hatte sie im Mai 2019 mit einer Freundin als Adbusting in Neukölln aufgehängt. Dafür hatte sie mit einem modifizierten Rohrsteckschlüssel aus dem Baumarkt einen Werbekasten an einer Bushaltestelle geöffnet – und wurde dabei von zwei Zivilpolizisten erwischt.

Das Ergebnis: Das verfremdete Poster brachte ihr ein Ermittlungsverfahren wegen schweren Diebstahls ein. Im September 2019 durchsuchten dann ein halbes Dutzend Poli­zist:innen mit einem vom Ermittlungsrichter unterzeichneten Durchsuchungsbeschluss ihre zwei Wohnsitze bei ihren Eltern und die Wohnung ihrer Freundin.

Sie kamen, um nach mehr Beweismaterial zu suchen, und stellten fünf weitere Plakate bei Henkel sicher. Für eine Anklage war dieser Aufwand dann allerdings nicht genug: Das Verfahren wurde im Dezember 2019 wegen Geringfügigkeit eingestellt.

„Besonders schwerer Diebstahl“

Gegen die aus ihrer Sicht unverhältnismäßige Hausdurchsuchung hat Henkel nun eine Beschwerde beim zuständigen Gericht eingelegt. Sie sagt: „Die Durchsuchung hat mein Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und auf Meinungsfreiheit verletzt.“

Bei der Verfolgung sei es der Polizei nicht um ein geklautes Poster gegangen, sondern um die linke Kritik darauf. „Dass die Bundeswehr lächerlich machen ein Straftatbestand ist, wäre mir neu“, sagt sie. Es sei lediglich so scharf verfolgt worden, weil die Kritik von links komme. Sie möchte, dass der Beschluss auch rückwirkend für rechtswidrig erklärt wird. Mit ihrer Beschwerde will sie erreichen, dass auch künftig die Hürden für unverhältnismäßige Strafverfolgung erhöht werden.

Auf taz-Anfrage hat die Staatsanwaltschaft die Wohnungsdurchsuchung mit dem Verdacht auf „besonders schweren Diebstahl“ gerechtfertigt. Schwerer Diebstahl sei es bereits, wenn man eine Sache entwende, die sich in einem verschlossenen Behältnis befunden hätte.

Adbusting Mit Adbusting bezeichnen Aktivist:innen das bewusste Verfremden, Überkleben oder Verfälschen von Werbeplakaten und -postern. Ein weiterer Begriff für Adbusting ist Culture Jamming, eine sich mit Werbung und Logos beschäftigende Kunstform. Dabei werden Werbestrategien und -formen übernommen und karikiert – häufig mit konsumkritischer Absicht.

Kommunikationsguerilla Adbusting sieht sich häufig in der Tradition der Kommunika­tionsguerilla, in der durch Information, Desinformation oder subversive Kommunikation versucht wird, etablierte Denkstrukturen zu durchbrechen. Häufig wird etwa eine Tradition zu den antiautoritären Spontis der 70er hergestellt, ebenso gibt es eine Nähe zu Hackerkultur oder anarchistischen oder situationistischen Ansätzen. Heute aktive Gruppen sind etwa das Peng!-Kollektiv oder das Zentrum für Politische Schönheit. (gjo)

Fadi El-Ghazi, Anwalt und Ini­tiator des Volksbegehren Berlin Werbefrei, sieht das deutlich anders: „Die Hausdurchsuchung ist ein strukturelles Versagen der Justiz“, sagt er. Von schweren Diebstahl könne keine Rede sein. Der Preis eines Werbeplakats bei großen Kampagnen liege unter 5 Euro, sagt El-Ghazi.

Er vertrete mehrere Verfahren in Sachen Adbusting und sei erschreckt angesichts des überambitionierten Ermittlungseifers in verschiedenen Verfahren – zumal es sich häufig weder um Sachbeschädigungen noch Diebstahl handele. Adbuster:innen überhängen laut El-Ghazi Plakate häufig nur – der Originalzustand sei also leicht wieder herzustellen und zerstört werde dabei in der Regel auch nichts.

Insofern sei es verwunderlich, dass Ermittlungsrichter:innen unverhältnismäßige Durchsuchungsbefehle abnickten, findet Fadi El-Ghazi: „Der Richtervorbehalt wurde ad absurdum geführt.“ Für ihn ist das ein strukturelles Problem: strukturell deshalb, weil es auch an fehlendem Personal in Gerichten liege. Die Hausdurchsuchung sei allein schon deshalb rechtswidrig, weil sie auf frischer Tat ertappt wurde.

Tatsächlich reiht sich die Hausdurchsuchung in eine Reihe von Repressionen ein, die sich, vor allem ausgehend von der Berliner Polizei, gegen linke Ad­buster:innen richteten. Vergangenen Herbst war sogar ein Mann erstmals wegen Adbustings (etwa „Nazis essen heimlich Falafel“) angeklagt. Auch wenn das Verfahren eingestellt wurde, war dabei auffällig, wie viel Zeit und Energie die Polizei und Staatsanwaltschaft in die Ermittlungen steckten.

Eine parlamentarische Anfrage dazu von Niklas Schrader (Linke) ergab, dass an dem Fall drei Beamte über vier Jahre lang ermittelt hatten. In anderen Fällen wurden DNA-Tests an Postern durchgeführt – auch weitere Hausdurchsuchungen wegen offenkundig harmloser Kommunikationsguerilla-Aktionen hat es im vergangenen Jahr gegeben (taz berichtete).

Die Polizei räumte gleichzeitig auf Linken-Anfrage ein, dass ähnliche, aber unpolitische Formen der Sachbeschädigung oder des Diebstahls nicht beim für Adbusting zuständigen Staatsschutz landeten, sondern in den zuständigen Polizeiabschnitten ermittelt würden. Ausgehen kann man demnach auch davon, dass linke Kritik auf Werbepostern härter verfolgt wird als jeder Fahrraddiebstahl.

Verfassungsschutz spricht von Gewaltorientierung

Auch zur Solidarisierung mit Betroffenen und um Gegenöffentlichkeit herzustellen, gründete sich nach dem Adbusting-Prozess die „Soli-Gruppe Plakativ“, die seither auf überzogene Repressionen hinweist und zu den Fällen recherchiert.

Hintergrund für die Repres­sionswelle könnte auch die Legitimation durch den Verfassungsschutz sein. Der Geheimdienst nämlich hat Adbusting in seinem Bericht von 2018 im Kapitel gewaltorientierter Linksextremismus eingeordnet. Heraus kam nach einer Linken-Anfrage im Bundestag auch, dass das Gemeinsame Terrorabwehr-Zentrum von Bund und Ländern in mehreren Fällen zu linken Adbustings tätig war – gegründet wurde das ursprünglich nach der Selbstenttarnung des NSU, um terroristische Anschläge im Vorfeld zu verhindern.

Mittlerweile – und dass ist wohl auch den kritischen Anfragen und Öffentlichkeit für die Fälle zu verdanken – ist Adbusting aus dem kürzlich veröffentlichten Verfassungsschutzbericht 2019 wieder verschwunden. In einem neueren von Plakativ geschilderten Fall von 2020 lehnte die Staatsanwaltschaft dann auch einen Durchsuchungsbeschluss ab.

Wenn Henkels Beschwerde nun dennoch zurückgewiesen wird, kann sie noch eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Anwalt Fadi El-Ghazi signalisierte bereits, dass er bereit wäre, sie in diesem Fall zu unterstützen.

Dass sie damit nicht mal schlechte Chancen hätte, attestiert ihr auch der Staatsrechtler Andreas Fischer-Lescano. Er argumentiert auf seinem Verfassungsblog dafür, dass Adbustings sogar von der Meinungsfreiheit als Protestform für grundgesetzlich geschützt seien – zumindest solange nichts zerstört oder geklaut wird.

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