piwik no script img

■ Repression: Grüne streiten über ihren ersten PolizeipräsidentenVor dem Ende einer Adoleszenzkrise

Es war ein langer Weg. Und nun ist die vormalige Anti-Parteien-Partei dort angekommen, wo sie niemals hinwollte: im Zentrum des Repressionsapparats. Die Bündnisgrünen und ihre Sympathisanten streiten über ihren ersten Polizeipräsidenten und seine Rolle bei der Durchsetzung von Atomtransporten ins Zwischenlager Ahaus. Anlaß zur Häme ist diese Identitätsdebatte nicht. Beängstigend wäre es, wenn nicht gestritten würde.

Als die alternative Protestszene Ende der siebziger Jahre das Für und Wider eigener Wahllisten debattierte, gaben die Befürworter, die späteren grünen Realos, eine hübsche Karikatur in Druck. Sie zeigte einen Abrißbagger, ausgestattet mit einer mächtigen Stahlkugel, die gerade gegen das Bonner Parlamentsgebäude geschleudert wurde. Unterschrift: „Man wird ja wohl mal anklopfen dürfen!“ Das überzeugte viele, nicht nur die Realos selbst. Den Staat übernehmen, um ihn zu zerstören, Parlamentarier werden und Anarchist bleiben. Derart paradox anmutende Vorstellungen konnten nur gedeihen vor dem Hintergrund einer bipolaren Welt, in der jede einigermaßen gewichtige Sachfrage – zum Beispiel die der Atomenergienutzung – zur Systemfrage stilisiert wurde.

Die Welt hat sich verändert und mit ihr die Grünen. Die bipolare Übersichtlichkeit ist Geschichte, die Systemfrage wird immer seltener gestellt und noch seltener beantwortet. Das hat durchaus beruhigende Wirkung auf die Modalitäten gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Das parlamentarisch-repräsentative System – und mit ihm seine Konfliktregelungsmechanismen – steht auf absehbare Zeit nicht grundsätzlich zur Disposition. Sachfragen werden nicht länger als Systemfragen wahrgenommen, sondern als das, was sie sind: Machtfragen. Die werden – nicht nur, aber vor allem – in den staatlichen Institutionen entschieden. Diese Einsicht ist der tiefere Grund dafür, daß die Bündnisgrünen den Bagger mit der Abrißbirne abgestellt haben. Sie wollen regieren, auch im Bund und mit allen Konsequenzen.

Die liegen auf der Hand: Wer in Bonn (oder im konkreten Fall: in Düsseldorf) Gesetzgebungsfunktion ausübt oder anstrebt, kann sich nicht länger drücken, wenn es um deren Umsetzung geht. Weglaufen gilt nicht. Der grüne Polizeipräsident läutet nur die Endphase einer Adoleszenzkrise ein. Wie im richtigen Leben geht das nicht ohne Schrammen ab.

Die Frage, die sich nach der offensichtlich verpatzten Premiere auf münsterländischen Bahngleisen stellt, ist die nach der Differenz. Gibt es eine grüne Repression? Darf es sie geben? Und wenn ja, unterscheidet sie sich von den Ritualen bisheriger Polizeieinsätze? Solange die grüne Partei die Tatsache eines grünen Polizeiführers allein als mißliches Resultat des Erwachsenwerdens wahrnimmt, besteht wenig Hoffnung, daß vorhandene Spielräume für eine zivilgesellschaftliche Konfliktregelung konsequenter genutzt werden als bisher. Dann werden es einzelne Leute bleiben, die sich, im eigenen Lager ungeliebt und isoliert, im Dauerspagat zwischen Legalitätsprinzip und Protestlegitimität üben.

Doch auch hier gilt eine jener schönen Parolen, unter denen die Protestbewegung einst aufbrach: „Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.“ Repression als Chance? Die Atomkraftgegner, die die grüne Polizei jetzt bei Ahaus wie eh und je über Feld und Flur trieb, können das nur als Zynismus verstehen. Dabei beweist dieser Vorgang nur eins: Apparate funktionieren schwerfällig, Polizeiapparate allemal. Es reicht nicht aus, an der Spitze einen Kippschalter umzulegen, und dann vergessen die Behelmten den Knüppel im Köcher. Deeskalationsstrategien zu entwickeln, die diesen Namen verdienen, ist auch eine Frage von Phantasie und Erfahrung. Wer hätte da mehr zu bieten als die Grünen, die selbst mehrheitlich in einer Protestkultur sozialisiert wurden?

Das mag blauäugig klingen, aber billiger ist grüne Machtteilhabe nicht zu haben. Am Ende sorgt die Polizei, da kann sie noch so grün sein, für die Einhaltung der Gesetze. Im übrigen: Warum sollte das nicht auch einmal ein Atomenergie-Abwicklungsgesetz sein? Gerd Rosenkranz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen