Reporter ohne Grenzen zu Assange: „Vierte Gewalt unter Druck“
Der Wikileaks-Gründer Julian Assange ist frei. Ein Sieg für die Pressefreiheit? Katharina Weiß von Reporter ohne Grenzen ist skeptisch.
taz: Ist die Freilassung von Julian Assange ein Sieg für die Pressefreiheit oder für die US-Justiz, Frau Weiß?
Katharina Weiß: Für Reporter ohne Grenzen steht an diesem Tag die Freilassung im Vordergrund. Julian Assange war seit zwölf Jahren kein freier Mann mehr, zuletzt war sein Gesundheitzustand sehr besorgniserregend. Die Freilassung ist nur mit einem Schuldeingeständnis zustande gekommen. Es ist vorstellbar, dass die Situation ihn so mürbe und krank gemacht hat, dass so ein Zugeständnis an die US-Justiz möglich und nötig wurde. Wir können über Details nur spekulieren. Aber es schmerzt uns, dass das notwendig war.
ist Journalistin, Autorin und Sprecherin für die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen.
Hätte man diesen Deal schon früher haben können?
Aus unserer Perspektive kommt der Deal zu spät. Assange hätte gar nicht inhaftiert werden dürfen. Jeder Tag, den er im Gefängnis war, ist ein Tag zu viel. Aber so weit wir wissen, gab es die Möglichkeit zu so einem Deal in der Vergangenheit noch nicht.
Welchen Vergehens soll Assange sich konkret schuldig bekennen?
Es geht um Verstöße gegen den Espionage Act der USA, ein Gesetz aus dem Jahr 1917. Offiziell soll Assange sich bei der Verhandlung am Mittwoch der Verschwörung zur unrechtmäßigen Beschaffung und der Verbreitung von Dokumenten schuldig bekennen. Und damit wird das Gesetz weiter als Gefahr über den Köpfen von investigativen Journalist:innen schweben – und das nicht nur in den USA.
Welche konkreten Folgen kann dies für die Arbeit anderer Journalist:innen haben?
Der Fall sendet nun schon seit vielen Jahren ein gefährliches Signal an investigative Journalist:innen weltweit. Das Gesetz kann verhindern, dass sie sich befähigt fühlen, über Menschenrechtsverletzungen oder unrechtmäßige Machenschaften westlicher Regierungen zu berichten, weil sie überall auf der Welt dafür festgesetzt werden können.
Weil die USA auf viele Staaten Druck machen können, damit sie Haftbefehle auch gegen Nicht-US-Bürger durchsetzen?
Assange war da ein Präzedenzfall. Er wäre der erste Journalist, der nach diesem sehr alten Gesetz verurteilt worden wäre. Und natürlich haben die USA mehr Macht als etwa Eritrea.
Steht der Fall Assange für einen allgemeinen Trend hin zu einer verstärkten staatlichen Verfolgung von Journalist:innen?
Auf der einen Seite gibt es den neuen European Media Freedom Act, der die Rechte von Medienschaffenden jüngst gestärkt hat. Andererseits gibt es Entwicklungen wie in der Slowakei, wo die Regierung den als unbequem empfundenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk abwickeln will, oder wie in Italien, wo die Regierung von Giorgia Meloni den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf Regierungslinie zu bringen versucht. Das ist in der Tat ein Kennzeichen unserer Zeit. In der EU ist man dabei noch sehr privilegiert. Es leben nur noch ein Prozent aller Menschen in Ländern, in denen die Pressefreiheit uneingeschränkt als solide geschützt gelten kann.
Was bedeutet das für Europa?
Hier gerät vor allem die Wertschätzung der Bevölkerung, der Respekt für und das Vertrauen in die vierte Gewalt unter Druck. Das Bewusstsein dafür, dass Medien sehr schützenswert sind, geht stellenweise verloren. Und so beobachten wir etwa am Rande von verschwörungsideologischen oder auch propalästinensischen Demos eine zunehmend aggressive, aufgeheizte Stimmung gegen Reporter:innen.
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