Rentenreform in Frankreich: Debatte per Verfassung verboten
Die französische Opposition will über die Erhöhung des Rentenalters debattieren, aber Präsident Macron verhindert das. Wie demokratisch ist das Land?
Den letzten Beweis dafür liefert zuletzt die Vorsitzende der Nationalversammlung, die Macronistin Yaël Braun-Pivet. Sie hat am Mittwoch erklärt, es sei verfassungswidrig, nun im Rahmen eines Gesetzesantrags der oppositionellen Fraktion LIOT auf die Frage des Rentenalters zurückzukommen. Darüber dürfe weder debattiert noch abgestimmt werden. Sie beruft sich auf den Artikel 40 der Verfassung, der besagt, dass ein Antrag aus dem Parlament nicht mit einer zusätzlichen Finanzlast den Staatshaushalt gefährden dürfe. Das sei der Fall, wenn das auf 64 Jahre angehobene Rentenalter wieder auf 62 gesenkt würde.
Pikant daran ist, dass dieselbe Macronistin noch vor drei Wochen den LIOT-Antrag für zulässig erklärt hatte. Offenbar hat sie seither Anweisungen bekommen. Sie wende bloß die geltenden Regeln an, sagt Braun-Pivet – ungerührt von den Protesten der Opposition und auch der Gewerkschaften, deren letzte Hoffnung, im Rahmen der Institutionen auf Macrons unsoziale Reform zurückzukommen, damit zunichte gemacht wird.
Im ganzen Verlauf des Rentenkonflikts hat die Staatsführung diese Verfassung, die in jedem Fall die Exekutive gegenüber den Parlamentariern als Volksvertretung stärkt, sehr elastisch und einseitig ausgelegt. Dabei wäre es möglich und normal gewesen, dass die Abgeordneten und Senatoren über eine so kontroverse Änderung mitentscheiden.
Das aber wollte Macron nicht, weil er eine Niederlage in der Nationalversammlung befürchten musste, in der er seit seiner Wiederwahl vor einem Jahr keine Mehrheit mehr hat. Alle Finten und Hintertürchen waren darum recht, um bis zum Schluss eine parlamentarische Mitbestimmung zu sabotieren.
Für die Abgeordneten ist der Entscheid von Braun-Pivet ein „Maulkorb“, für die Gewerkschaften ein arrogante Absage an einen Dialog. Daran ändert nun auch die Ankündigung eines Misstrauensantrags der Opposition nichts mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“