René Pollesch ist gestorben: Nichts ist okay
Er war Intendant der Berliner Volksbühne, vor allem aber Autor und Regisseur: René Pollesch. Mit 61 Jahren starb der Virtuose des Diskurstheaters.
Dass sein letztes Stück den Titel trug „Ja nichts ist ok“ wirkt jetzt wie eine Ansage. Nichts ist okay, groß ist der Schock. Die Berliner Volksbühne hat ihren Intendanten verloren. Mit nur 61 starb am Montag René Pollesch unerwartet, wie das Theater am Abend mitteilte.
René Pollesch hat mit seinen pointenreichen Diskurstheaterstücken als Autor und Regisseur ein eigenes Genre erfunden. Er war zwar nicht der einzige Protagonist des postdramatischen Theaters, das Figuren und Handlung über Bord warf, und stattdessen theoretische Gedanken zum Tanzen bringt, aber er hatte damit den größten Erfolg, seit inzwischen mehr als zwanzig Jahren.
Viele seiner Stücke gingen aus Lektüren hervor, über Kapitalismus, Philosophie, Kunsttheorie. Mit den Schauspielern diskutierte er die Thesen, sie waren seine brothers and sisters in crime. Sophie Rois, Kathrin Angerer, Caroline Peters, Martin Wuttke, Fabian Hinrichs entwickelten mit ihm die Texte auf den Proben. Nicht die Eindeutigkeit einer Botschaft war das Ziel, sondern das ständige weiterdenken, entwickeln neuer Zweifel an der gerade gefassten Erkenntnis. Das hatte nicht selten etwas zugleich Verzweifeltes und Komisches.
Bildungshunger
René Pollesch wurde 1962 in einer Kleinstadt in Hessen geboren. Sein Bildungshunger, der sich durch seine Stücke zog, brachte ihn an die Universität Gießen, an den Fachbereich Angewandte Theaterwissenschaften. Die Entwicklung des Postdramatischen Theaters wurde dort theoretisch vorbereitet. Mit einer dreiteiligen Soap um „Heidi Hoh“, die das Leben im Netzkapitalismus reflektiere, begann 1999 sein Erfolg.
Lange war er Regisseur an der Volksbühne unter Frank Castorf, inszenierte aber auch in am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, am Burgtheater in Wien, und vielen anderen Häusern. Als Chris Dercon Nachfolger von Frank Castorf werden sollte, gehörte Pollesch zu denen, die laut Protest einlegten. Er kämpfte um die Identität des Berliner Theaters, dem er sich sehr verbunden fühlte. Seine Zeit als Intendant der Volksbühne ab 2021 war indes nicht einfach. Doch hat er mit den Choreografinnen Constanza Macras und Florentina Holzinger zwei starke Künstlerinnen ins Boot geholt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!