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Remis zwischen Wales und die SchweizFavoriten kicken woanders

Beim 1:1 von Wales gegen die Schweiz offenbart die EM schon früh die Tristesse eines vollgepackten Turnierplans. Doch das Drumherum ist spannend.

Der lange Schatten der Fußballkultur: David Brooks (Wales, re.) führt den Ball gegen die Schweiz Foto: Baker/dpa

Es ist ein beklemmendes Bild, das sich vor dem erst 2015 eröffneten Nationalstadion von Baku auftut. Die gesamte Strecke zum Stadion ist von Polizei flankiert. Ganze Kohorten in Schwarz marschieren auf, als handele es sich um ein Hochrisikospiel, nicht um Wales gegen die Schweiz. Unter den Augen der Polizei spielen offensichtlich angeheuerte Fan-Trompeter und -Trommler immer wieder dieselben drei Rhythmen.

Viel Stimmung kommt nicht auf. Vielleicht dreißig SchweizerInnen finden sich letztlich im Stadion ein, WaliserInnen sind es deutlich mehr. Den größten Anteil stellen die Einheimischen. Sie kommen im Casual Chic, vorwiegend gut gekleidete junge Männer in Slim Jeans, T-Shirt, Sonnenbrille, auch ein paar Frauen im postsowjetisch-liberalen Look. Man holt sich Chips und Getränke und schaut ein bisschen EM. Ihre Fußballbegeisterung ist echt, die Begeisterung über die Partie eher nicht. Das Stadion bleibt still.

Dass beide Tore nach Standard­situationen fallen, sagt viel, aber nicht viel Gutes

Dass die aserbaidschanische Hauptstadt Baku der umstrittenste Spielort dieser EM ist, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Wenngleich das Prädikat „Oberbösewichte“ auch ein wenig naiv ist; Putin und Orbán sind ja nicht weniger Demokratieverächter. Die Uefa versteht sich prima mit Baku. Ab dem Jahr 2013 bis zuletzt ließ sie sich vom aserbaidschanischen staatlichen Ölkonzern Socar sponsern. Der Konzernchef, Rövneq Abdullayev, ist zufällig auch Präsident des aserbaidschanischen Fußball-Verbandes.

Die Liste der Menschenrechtsverbrechen in Aserbaidschan ist lang. Nach ARD-Angaben sitzen derzeit über 60 politische Gefangene in Haft, missliebige JournalistInnen bekommen Willkürjustiz zu spüren; laut Human Rights Watch wird straffrei gefoltert, die Wahlen von Diktator İlham Aliyev sind alles andere als frei, und über allem liegt noch der Krieg gegen Armenien. Nun soll es nur Fußball sein.

Immerhin ein paar sehenswerte Kombinationen

Das Spiel selbst ist schnell erzählt. Man sagt ja gern, die Vorrunde sei dazu da, um zu gucken, wer zum engeren Favoritenkreis gehört, und nach diesem 1:1 ist jedenfalls klar, dass das weder die Schweiz noch Wales sind. So passiv sind diese Waliser über weite Strecken, dass man sich fragen muss, wie in aller Welt sie an die Rolle als Geheimtipp gekommen sind. Die Schweizer bringen in der trägen Partie zumindest gelegentlich sehenswerte Kombinationen zustande. Breel Embolo sorgt für die verdiente 1:0-Führung, dann aber stellt auch die Schweiz die Arbeit ein, und so kommt Wales zum Ausgleich. Dass beide Tore nach Standards fallen, sagt viel, aber nicht viel Gutes.

Viel interessanter ist, was ums Stadion herum passiert. Szenerie gibt es gratis, weil die Uefa gewohnt kleinkariert ist; der Autorin dieses Textes erteilt sie zunächst keine Freigabe, weil da im Reisepass ein zweiter Vorname steht, der auf der Akkreditierung nicht steht. Mehrstündige Hintergrundprüfung.

Unterdessen zieht am Stadion die Gesellschaft Aserbaidschans en miniature vorbei: das wohlhabende Großstadtpublikum. Angereiste Schulklassen mit Landesflaggen posieren; Soldaten kommen, teils mit amputierten Gliedmaßen; und an den Rändern, bei den Mülleimern, arbeiten Frauen mit dunklerem Teint und Kopftüchern als Putzkräfte und Müllsammlerinnen. Ihre Begeisterung über die kurze Begegnung ist ehrlich. Eine von ihnen macht ein Foto und gibt einen spontanen Kuss. Beim Versuch eines Gesprächs eilt ein Volunteer an und unterbricht: „Do you need help?“ Vielleicht Zufall. Oder Unterhaltung mit den Arbeiterinnen ist nicht erwünscht.

Die Volunteers selbst sind jung, und sie sprechen ein hervorragendes Englisch. Auch ihre Begeisterung ist echt. Die Freiwillige, die nach erfolgreicher Hintergrundprüfung zum Platz führt, trägt über der einen Augenbraue geschminkt die Schweizer Landesfarben, über der anderen die von Wales. Strahlend berichtet sie, das sei ihr erstes Turnier.

Ein anderer Freiwilliger will Kontakte austauschen und erzählt ausführlich und wie ein unumstößlicher Fakt das „Ein Volk in zwei Staaten“-Narrativ über Türken und Aserbaidschaner. Der Panturkismus scheint eine offizielle Losung zu sein: Zig Plakate auf dem Weg zum Stadion rufen, was Google übersetzt als: „Türkei, unsere Herzen schlagen mit dir“.

Die große Euphorie für die Türkei wiederum verärgert einige Schweizer Fans, die sich auf den beschwerlichen Weg nach Baku gemacht haben. „Erst in Italien gegen die Italiener, und dann gegen die Türken hier noch ein Auswärtsspiel“, klagen sie in der U-Bahn. Sie werden nicht noch mal kommen. Diese ganze Hin- und Herfliegerei mitsamt PCR-Tests, das sei doch Irrsinn. Und das Spiel, das sei furchtbar schlecht gewesen.

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