Rekordserie in der NFL hält an: Auf ewig ungeschlagen
Warum man in Miami jubelt, wenn die Philadelphia Eagles ein NFL-Spiel gegen Washington verlieren. Und was das mit dem Jahr 1972 zu tun hat.
L arry Csonka ist 75 Jahre alt, aber wie Twitter funktioniert, das weiß er. Also setzte der rüstige Rentner noch Montagnacht einen Tweet ab. Ein unscharfes Foto zeigt ihn, braune Basecap, dicker grauer Schnäuzer und ein verschmitztes Lächeln im Gesicht, wie er ein mit einer braunen Flüssigkeit gefülltes Glas zum Prosit hebt. Im Text schickt er einen Dank an die Washington Commanders und erklärt: „Heute bin ich ein Fan von Washington.“
Er ist nicht der einzige ältere Herr, der am Montag in Wallung geriet. Denn in der letzten Begegnung des NFL-Spieltags gewannen die Commanders bei den Philadelphia Eagles. Eine Sensation, denn Washington spielte bis dahin eine recht mittelmäßige Saison. Die Eagles dagegen gingen ungeschlagen in die Partie, aber nach der 21:32-Heimniederlage steht fest: Die Miami Dolphins des Jahres 1972 bleiben die einzige Mannschaft, die alle Spiele in einer NFL-Saison gewonnen haben.
Eine Tatsache, an die die US-Öffentlichkeit alle Jahre wieder erinnert wird – vor allem von den Spielern jener Mannschaft. „Jedes Jahr werden wir wieder lebendig“, erzählt Csonka, „es ist, als würde der Staub weggeblasen, und dann ist es wieder, als würden wir noch spielen, als wäre es noch: wir gegen die.“
Empfohlener externer Inhalt
Jahrzehnte lang hielt sich auch das Gerücht, Csonka und seine Kollegen würden sich, wenn sich das letzte ungeschlagene Team die erste Niederlage eingefangen hat, eigens treffen, um die Sektkorken knallen zu lassen. Eine Geschichte, die es schon in Werbespots der NFL geschafft hat. Nur eine Legende, sagen die alten Dolphins, die aber trotzdem keinen Hehl daraus machen, wie wichtig ihnen ihr einmaliger Platz in der Football-Geschichte ist. „Wir wollen nicht, dass jemand auf unserem Tanzboden herumhüpft“, ließ Csonka wissen, der als kompromissloser Ballträger die prägende Figur einer Mannschaft war, die einen körperlichen, sehr aufs Laufspiel setzenden Stil pflegte.
Mythos von 1972
Der Mythos der perfekten Saison wird nicht nur von Csonka gepflegt, erst recht jetzt, da sich die historische Leistung zum 50. Mal jährt. „Perfektion ist unsterblich. Unvollkommenheit ist sterblich. Wir Unsterblichen wollen keine Gesellschaft“, sagte vor ein paar Jahren Bob Kuechenberg, heute 71, der in der Offensive Line Quarterback Bob Griese schützte.
In Miami werden die alten Kämpen abgöttisch verehrt, denn die perfekte Saison brachte den ersten bedeutenden Titel in die Stadt. Die Dolphins waren erst 1966 gegründet worden und Klubs der NBA, NHL oder der Baseball Major Leagues gab es damals gar nicht in der Millionenmetropole. Dass dieses Team dreimal hintereinander in der Super Bowl spielte und zweimal gewann, löste eine Sportbegeisterung in Florida aus, die dafür sorgte, dass sich Franchises wie Miami Heat, Florida Panthers, Miami Marlins in den 80er- und 90er-Jahren in der Stadt ansiedelten.
Ende Oktober kamen die 72er-Dolphins für ein Wochenende in Miami zusammen, um sich feiern zu lassen. Zumindest der Teil der Unsterblichen, der noch am Leben ist. 17 Spieler aus dem Kader von damals sind bereits verstorben, so wie der gesamte Trainerstab um den legendären Chefcoach Don Shula. „Man merkt gar nicht, wie alt man ist, bevor alle um einen herum beginnen zu verschwinden“, sagte Csonka beim letzten Treffen.
Nicht nur aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Beteiligten darf stark bezweifelt werden, dass einer der Übriggebliebenen jemals erleben wird, dass eine andere Mannschaft ihr Kunststück wiederholt. 1972 mussten die Dolphins 14 Saisonspiele und drei K.-o.-Begegnungen in den Playoffs gewinnen, um perfekt zu sein. Ein halbes Jahrhundert später sind dazu drei Siege zusätzlich nötig. Außerdem ist die Liga viel ausgeglichener. Jede Mannschaft scheint jede andere schlagen zu können, das hat nicht zuletzt die erste Niederlage der Eagles gegen Washington gezeigt.
Nicht zu unterschätzen ist auch der Hype um jedes Team, das nach ein paar Spieltagen noch ungeschlagen ist, der mediale Druck und die Ablenkung, die dadurch entstehen. Einen Hype, den ein paar Männer in ihren Siebzigern und Achtzigern jedes Jahr aufs Neue befeuern. Vielleicht kann man in dem Alter nicht mehr Football spielen. Aber Twittern geht immer noch, wenn man unsterblich ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!