Reiseziele: Erst Goldrausch, dann Touristenrausch
Berlin ist unter Touristen total angesagt. Besonders Deutsche lieben Berlin. Sie scheuen keine Mühe und reisen in das kleine Kaff, mitten in Nevada, USA
Ok, die Anreise ist etwas abenteuerlich. Biegen Sie mitten in Nevada auf der State Route 361 bei Gabbs ab. Die kleine Straße schlängelt sich eine Bergkette hoch, dann wieder runter, die letzten paar Meilen geht es über eine staubige Schotterstrecke. Und am Fuße der nächsten Berge liegt es dann: Berlin. Ein paar Holzhütten mitten in der Wüste, eine verlassene Silbermine, eine verfallende Gesteinsmühle und ein paar rostige Maschinen - mehr gibt es nicht in der Ghost Town, die den Namen der deutschen Hauptstadt trägt - so wie dutzende Kleinstädte in den USA.
Aber die beiden Berlins haben mehr gemeinsam, als man denkt. Die Klapperschlangendichte ist im hiesigen politischen Betrieb fast so hoch wie unter den sonnendurchglühten Steinen Berlins, die übrigens außerdem viele Fossilien beherbergen. Die Finanzlage ist ähnlich erbärmlich. Das Umland befindet sich im Zustand fortgeschrittener Versteppung. Auf die wichtigste Übereinstimmung aber, sozusagen auf den Unique Selling Point Berlins, macht der Ranger aufmerksam, der aus einer Hütte tritt, um zu kontrollieren, ob der Eintritt von vier US-Dollar auch korrekt in einen Eisenkasten gesteckt wurde.
"We love the Germans!", ruft er und lacht laut, als er den Akzent hört. "We have many, many of these guys here. Its the name, you know." Er umschreibt also höflich den Satz: Nur Deutsche sind so bescheuert, sich die Stoßdämpfer ihres Wagens für dieses verlassene Nest zu ruinieren. Doch ihm ist es Recht. Denn die Deutschen bescheren Berlin einen wahren Touristenboom. Beide Berlins setzen also voll auf ihre Anziehungskraft für Fremde.
Die Deutschen jedenfalls stapfen durch die Gluthitze und linsen neugierig durch staubige Fenster in die kleinen Hütten, in denen noch die alten Möbel, Küchengeräte und Werkzeuge der Bewohner aus der Zeit des Goldrauschs herum liegen - die große Zeit Berlins begann 1896, nachdem 30 Jahre zuvor Silber in den Bergen entdeckt worden war.
Einige der - in der Hochzeit - 250 Einwohner liegen auf dem Friedhof begraben, über den Federwolken am weiten Himmel ziehen. Die Deutschen jedenfalls machen meist ein Foto vor dem Ortsschild, damit sie dann zu Hause lässig erzählen können: "Ach ja, in Berlin waren wir natürlich auch."
Das Kaff hat sich natürlich längst auf die lustige Klientel eingestellt. Der Ranger erzählt, man habe T-Shirts bedruckt mit Fotos von Berlin und dem Satz: "Icke bin eine Berliner!" Er muss wieder lachen. Die Deutschen kaufen wie verrückt, deshalb sind die T-Shirts gerade aus. Vielleicht sollte Klaus Wowereit demnächst nicht mehr nach New York reisen oder nach San Francisco, sondern nach: Berlin.
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