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Reisen in die SchweizWarum Basel eine Kunststadt ist

Nicht nur die Art Basel und eine lebendige Off-Szene haben den Ruf der Grenzstadt geprägt. Auch einheimische Sponsoren fördern die Kultur.

Feierabendbier in der Landestelle, die Bar wurde aus dem Material des Favela Café von Tadashi Kawamata wieder errichtet Foto: Stefan Pangritz

Nein, der halbnackte Mann in leuchtend orangefarbener Badehose, der barfuß die St. Johanns-Vorstadt entlangschlurft, gehört zu keiner Kunstperformance, sondern ging lediglich kurz im Rhein schwimmen: oben beim Tinguely-Museum rein, unten rechtzeitig vor der Landungsstelle mit den ehemaligen Favela-Hütten der Art Basel raus, in Badehose zurück ins Büro oder zur Wohnung laufen – das macht hier im Sommer jeder und jede.

Es kann einem zuweilen etwas schwindlig werden, in dieser Stadt, die sich auch außerhalb der Art Basel der Kunst verschrieben hat. Die Verwirrung kommt denn auch nicht von ungefähr – eine Stunde vorher an diesem heißen Tag draußen im Garten der Fondation Beyeler: Ein ahnungsloses älteres Ehepaar aus Hamburg schlendert über den Kiesweg zum Pavillon, als sich von ebendort eine junge Frau löst, sich vor die beiden hinstellt und eigens für sie ein paar Zeilen in schönster Tonlage singt. Die Besucher zucken zuerst überrascht zusammen, schauen dann die Sängerin irritiert an und suchen nach dem Publikum. Bis sie merken, dass ihnen selbst die Töne gelten und sie sich auf die Steinbank setzen, um der jungen Frau zuzuhören.

Die Besucher reagierten sehr unterschiedlich auf ihren Gesang, erklärt die Sängerin freundlich, die an diesem Morgen ihre vierstündige Schicht hat und mit „This You“ eine Intervention von Tino Sehgal präsentiert. Wobei der Künstler selbst lieber von „konstruierten Situationen“ spricht. „This You“ (2006) gehört zur Sammlung der Fondation Beyeler, die der legendäre Basler Kunsthändler Ernst Beyeler Anfang der fünfziger Jahre – anfangs noch unabsichtlich – begonnen hatte.

Enorme Museumsdichte

Der Galerist an der Bäumleingasse 9 in der Basler Altstadt ist ein geschickter Geschäftsmann. Und die besten Werke, die durch seine Hände gingen, so munkelt man, behielt er für sich. Die Sammlung, die so entstand, ist zum größten Teil auf Werke der Klassischen Moderne konzentriert, sie ist nicht riesig, doch hochkarätig, wie Theodora Vischer von der Fondation Beyeler erklärt. Seit 2012 wird die Sammlung behutsam erweitert. Aus der Sammlung entstand zu Lebzeiten Beyelers eine Stiftung und aus dieser schließlich vor jetzt zwanzig Jahren das Museum in Riehen, vor dessen Fenstern ein derart akkurat gepflegtes Kornfeld liegt, dass man sich fragt, ob der Bauer vom städtischen Kulturfonds bezahlt wird.

Tipps für Basel

Anfahrt Via Badischer Bahnhof oder Basel SBB. Von beiden Bahnhöfen gelangt man ins Stadtzentrum. Vom EuroAirport Basel Mulhouse Freiburg sind es mit dem Bus 17 Minuten zum Hauptbahnhof.

Unterwegs sein Zu Fuß z. B. mit „Wandern in der Stadt Basel“, Rotpunktverlag; mit dem Fahrrad (Fahrräder können am Bahnhof gemietet werden); mit Kindern: eCargo-Bike-Verleih: www.carvelo2go.ch, mit Straßenbahn und Bus www.bvb.ch/fahrplan-netz/liniennetz

Kunst sehen Die Art Basel findet jeweils im Juni statt: www.artbasel.com; Fondation Beyeler: Interventionen Tino Sehgal, bis 12. November 2017: www.fondationbeyeler.ch; Übersicht Basler Museen: www.museenbasel.ch; Übersicht Basler Projekträume: www.arfao.ch

Galerien SALTS, Hauptstrasse 12, 4127 Basel, www.salts.ch; Galerie Freymond-Guth Fine Arts, Riehenstrasse 90B, www.freymondguth.com; Galerie Weiss Falk, Rebgasse 27, www.weissfalk.com 24 Stops: Rehberger-Weg mit Kunstwerken, www.24stops.info

Übernachten Etwa im Nomad Design Hotel mit kostenlosem Fahrradverleih: www.nomad.ch

Essen Gipfeli, Baguette, Sandwich in der ältesten Basler Bäckerei: Bäckerei Kult, Riehentorstrasse 18, www.baeckereikult.ch; liebevoll französisch: La Fourchette, Klybeckstrasse 122, www.lafourchettebasel.com; Tavola Calda: Il Gatto Nero, Oetlinger­strasse 63; regionale Küche: Restaurant Rostiger Anker, Hafenstrasse 25a, www.rostigeranker.ch (Reservierung empfohlen: +41 61 631 08 03); Bistro der Kunsthalle : Campari Bar, Steinenberg 7

Trinken Hafenbar Marina an der Landestelle; weitere Buvetten entlang des Rheinufers. Übersicht: www.basel.com/de/Basel-inspiriert/Sommer-in-Basel/Buvetten; Unternehmen Mitte – alternatives Kultur- und Begegnungszentrum in einer ehemaligen Bankfiliale, wo u. a. die Kampagne für das bedingungslose Grundeinkommen ausgearbeitet wurde, Gerbergasse 30; Cargobar: St. Johanns-Rheinweg 41; Rio-Bar: Barfüsserplatz 12

Zurück in der Stadt erinnern die vielen Litfaßsäulen beharrlich an das, was es in dieser zwar drittgrößten, aber letztlich eben doch kleinen Schweizer Stadt zu sehen gibt: An jeder von ihnen wird für mindestens zwei Ausstellungen geworben, hier für die noch nie gezeigten Skizzen Cézannes, dort für die Filme und Videotapes von Richard Serra, hundert Meter weiter für Wim Delvoye und Wolfgang Tillmanns, daneben auch noch für Otto Freundlichs kosmischen Kommunismus im Kunsthaus, und dort hinten hängt ein Plakat der Kunsthalle mit undefiniertem Objekt.

Auch in allerhand Gesprächen mit Einheimischen über ihre Stadt wird einem als Tourist immer wieder stolz unter die Nase gerieben, dass Basel eine enorme Museumsdichte habe – und die Architektur, nicht zu vergessen die Architekturbüros von Weltrang, die hier bauen. Hinzugekommen sind in den letzten Jahren einige Projekt­räume, von denen man bereits im nahen Zürich murmelt und von denen man auch in Berlin schon gehört hat. Dass Basel eine Kunststadt ist, ist ein alter Hut, interessanter ist die Frage, warum das überhaupt so ist?

Das Kunstmuseum ist das erste Museum, das nicht einem Fürsten oder einer anderen Obrigkeit gehört hat, sondern von einem städtischen Gemeinwesen gegründet wurde.

Theodora Vischer, Senior-Curatorin

Der Blick von der Pfalz beim Münster erklärt zuerst einmal die Geografie: unten das Rheinknie, hier wechselt der trübgrüne Fluss, der aus den Alpen kommt, die Richtung von Ost-West nach Nord-Süd. Im Westen, also links in Sichtweite, hinter den teils angedeuteten Türmen des neuen Novartis-Campus, liegt Frankreich, und im Norden, geradeaus rechts der Blick, beginnt Deutschland. Das Münster aus rotem Sandstein thront auf dem Münsterhügel in Großbasel, unten auf der anderen Seite des Flusses liegt „Klybasel“, wie die Einheimischen Kleinbasel nennen.

Konzentrierter Reichtum

Auf dem Berg oben stehen mondäne, zwar schmale, aber doch herrschaftliche Häuser mit goldenen Klingelschildern, auf denen häufig nur die Initialen eingraviert sind, weil sowieso jeder weiß, wer wo wohnt, und wer hier wohnt, möchte lieber diskret bleiben. Unten auf der anderen Seite das lebendige Kleinbasel mit Geschäftsschildern nicht aus allen, aber vielen Kulturen. Mit farbigen Bodenmarkierungen auf einem bestimmten Straßenabschnitt hinter der Kaserne, wo Frauen – buchstäblich hinter einem markierten Strich – ihre Körper verkaufen. Und Straßennamen, die hin und wieder in den lokalen Zeitungen auftauchen, weil es eine Schießerei zwischen zwei Clans gegeben hat.

Ganz so schwarz-weiß ist Basel natürlich nicht, aber reich und arm, zurückhaltend und laut, das spürt man in Basel, zuweilen sogar mehr als anderswo: In keiner anderen Schweizer Stadt gibt es solch konzentrierten Reichtum wie hier. In Basel leben einige sehr, sehr reiche Menschen. Manche Familien leben von Vermögen, das sich über Generationen angehäuft hat: Ursprünglich durch den Verkauf von Seidenbändern, die die damalige Mode erforderte und in Kleinbasel gefärbt wurden; als sich die Mode änderte, entwickelten sich – vereinfacht gesagt – daraus zuerst Geschäfte mit der Produktion von Farben und wiederum daraus zuerst die chemische und schließlich die pharmazeutische Industrie.

Nicht alle reichen Familien verdienten ihr Geld so, aber alle reichen, alteingesessenen Familien bestehen auf Diskretion. Die Schweizer nennen diesen Geldadel „Daig“ (Patriziat) – die Auswärtigen tendenziell mit abfälligem Tonfall, die Basler dezidierter: Denn viel Geld von diesen Vermögen fließt in die zahlreichen Basler Stiftungen und von dort in kulturelle oder gemeinnützige Projekte, von denen wiederum viele Bewohner und Bewohnerinnen dieser Stadt profitieren.

Geld, das plötzlich sichtbar wird, wenn Basler und Baslerinnen Bibliotheken, Kunstsammlungen oder Festivals besuchen. Oft genug wollen die Spender und Spenderinnen dafür auf keinen Fall genannt werden. So bedankt sich etwa das neu gebaute Haus der elektronischen Künste im ehemaligen Freilager an einer Säule beim Eingang an zweiter Stelle bei „einem anonymen Spender“.

Oder organisierte Anfang der Nullerjahre eine Gruppe anonymer Mäzeninnen als „Ladies First“ innerhalb kürzester Zeit mehrere Millionen Schweizer Franken für ein neues Schauspielhaus. Denn das ist das ungeschriebene Credo dieses sogenannten Daig, den es laut Historikern als solchen seit Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr gibt, aber in der Stadt eben doch immer noch spürbar ist: „Me git, aber me sait nyt.“ (Man gibt, aber spricht nicht darüber.)

Ein Wandel findet statt

Auf die Frage, warum Basel eine Kunststadt ist, gibt es also verschiedene Antworten, die irgendwie alle miteinander zu tun haben: Wegen Erasmus, sagen die einen, dessen Gebeine hinter einem Kreuzgang des Münsters ruhen, wenn man auf der Pfalz steht und hinunter zum Fluss blickt, um Basels Geografie zu betrachten. Und wegen seinem Freund, dem Buchdrucker Johannes Froben, der am Fuß des Nadelbergs im Totengässlein 3 seine Wirkungsstätte hatte und Basel zur damaligen Zeit zum Epizentrum der „schwarzen Kunst“ machte. Durch Erasmus und später die Reformation kamen viele guten Ideen in die Humanistenstadt.

So ist etwa die Sammlung des Kunstmuseums, die erste öffentliche Europas: Sie wurde als privates Kunstkabinett von der humanistisch geprägten Familie Amerbach im 16. Jahrhundert aufgebaut, im 17. Jahrhundert dann von der Stadt erworben und als Museum öffentlich zugänglich gemacht.

„Das Kunstmuseum ist das erste Museum, das nicht einem Fürsten oder einer anderen Obrigkeit gehört hat, sondern von einem städtischen Gemeinwesen gegründet wurde. Entsprechend fühlt sich die Bevölkerung auch damit verbunden, denn es ist klar: Das ist unser Museum und deswegen interessiert es uns, was hier passiert“, erklärt Theodora Vischer, vormals Gründungsdirektorin des Schaulagers Basel und unterdessen Senior Curator an der Fondation Beyeler. Auf Basler wie Ernst Beyeler habe sich dieser Geist ausgeweitet, der 1970 zusammen mit anderen die Art Basel gegründet hatte.

Denn klar: Wegen der Art Basel sagt jeder, sei Basel eine Kunststadt. Die jüngere Generation zeigt unterdessen stolz auf die neue Rektorin der Kunsthochschule, Chus Martínez, die auch Kuratorin ist und entsprechend international gut vernetzt frischen Wind in die Stadt bringe. Oder auf die neue Leiterin der Kunsthalle, Elena Filipovic, die sich nicht scheut, Vernissagen anders zu gestalten als bisher, und überhaupt offen für Experimente ist. Entwicklungen, die andere Experimentierfreudige als Zeichen deuten und nachziehen.

„Es findet gerade ein Wandel statt: Die Dringlichkeit, als Galerie in Zürich sein zu müssen, gibt es nicht mehr“, glaubt Oliver Falk, der vor knapp einem Jahr zusammen mit einem Freund die Galerie Weiss Falk an der Rebgasse in Kleinbasel eröffnete. Anders als an anderen Orten finden in Basel junge Kunst- und Kulturschaffende nach wie vor günstige Räume zum Wohnen und Arbeiten.

„Die Off-Szene ist stark hier: In Basel steht man nicht im Druck eines würgenden Kontextes, hier ist mehr Platz zum Arbeiten“, erklärt Samuel Leuenberger, der die letzten beiden Art Parcours kuratierte und in Birsfelden den Projektraum Salts betreibt. Wer dort den Automaten für frische Köder „auch außerhalb der Geschäftszeiten“ findet, den das benachbarte Anglergeschäft im Hinterhof aufgestellt hat, sieht auch den großen roten Terrakotta-Sandhügel von Mélodie Mousset, der einen Teil des Ausstellungsraums unter sich zu begraben scheint.

Gut verortet

Basel sei eine Kunststadt, weil es im Dreiländereck liege, sagen manche – Easy Jet, lachen andere, sei wichtiger. Der nahe Flughafen auf französischer Seite verbindet Basel mit Berlin, London und Paris. Der Austausch im Dreiländereck ist an einem gewöhnlichen Samstagabend allerdings weitaus weniger glamourös, als man meinen könnte. Seit diesem Frühling erst erschließt ein Weg alle drei Länder miteinander, sodass man zu Fuß oder mit dem Fahrrad zwischen St. Johann in der Schweiz, St. Louis in Frankreich, Weil am Rhein in Deutschland und Kleinhüningen in der Schweiz hin und her spazieren kann. Magnet ist dabei das Einkaufszentrum in Weil am Rhein, wo viele Schweizer und offenbar auch einige Franzosen ihre Wocheneinkäufe erledigen.

An lauen Abenden sitzen hier an der Uferstraße kurz vor der deutschen Grenze Basler/innen neben Elsässer/innen und Lörracher/innen, blicken in die Sonne und trinken das lokale Ueli-Bier oder den international akzeptierten Apérol-Spritz: Kunst- und Kulturschaffende haben hier ein kleines Idyll aus Sperrholzplatten aufgebaut. Teilweise mit Materialien des sogenannten „Favela Cafés“, das der japanische Künstler Tadashi Kawamata für die Art 2013 konzipierte und damals einen Skandal ausgelöst hatte.

Hier bei der „Landestelle“, wie diese Zwischennutzung heißt, springen einige Wag­halsige – obwohl es verboten ist – in den Rhein und schwimmen ein paar hundert Meter den Fluss hinunter, während sich die Schiffe gegen die Strömung hinaufkämpfen. An diesem Abend fährt sinnigerweise ein schwarz-weiß bemalter ­Frachter namens „Christoph Merian“ den Rhein hoch – umsichtiger, reicher Basler und Gründer der Christoph-Merian-Stiftung.

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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Als Basler muss ich sagen: als Kurzvorstellung dieser Stad im kulturellen Kontext ein sehr informativer, übersichtlicher Bericht.

  • Der ganze Kunstmarkt rund um die Art ist v. a. eine Mischung aus Prestigegedöns und Kapitalanlage. Allein Angebot und Nachfrage bestimmen den Wert, und in Zeiten niedriger Zinsen sind die Preise entsprechend irrwitzig geworden.

    Beim Aufbau und Betrieb der Messen verdingen sich hauptsächlich Ausländer, darunter natürlich viele Deutsche, und die Entlohnung ist selbst für deutsche Verhältnisse miserabel.