Reinhard Bütikofer über Jamaika: „Wir sind nicht die Öko-App“
Ökologische Modernisierung, Gerechtigkeit, Europa. Um diese Themen muss die Partei sich in einer möglichen Koalition kümmern, sagt der Ex-Chef der Grünen.
taz: Herr Bütikofer, die Grünen bereiten sich innerlich auf Verhandlungen für ein Jamaika-Bündnis vor. Welche Strategie empfehlen Sie Ihrer Partei?
Reinhard Bütikofer: Vor möglichen Verhandlungen steht die Sondierung. Schon dafür gilt: Wir müssen geschlossen agieren. Es war in dem Wahlkampf erkennbar zu unserem Vorteil, dass wir das hinbekommen haben. Dann zählt Selbstbewusstsein. Wir sind nicht als zerfledderte Figur aus dieser Wahl hervorgegangen. Sondern als Akteur, der trotz Gegenwind Stimmen dazu gewonnen hat. Erwarten Sie auch Entschiedenheit. Wir werden hart für unsere Ziele kämpfen.
Wie können die Grünen Ziele mit drei Partnern durchsetzen, die oft das Gegenteil vertreten?
Uns geht es, Jamaika hin oder her, um echte, vorzeigbare Erfolge auf drei Großbaustellen. Da wäre die ökologische Modernisierung der Gesellschaft, von der Energie- über die Verkehrs- und Industrie- bis zur Landwirtschaftspolitik. Dann das Zentralthema Gerechtigkeit. In dieser hypothetischen Konstellation wären die Grünen das soziale Gewissen. Dazu die Europapolitik. Es gibt ein Zeitfenster für die nächste Bundesregierung, um mit Frankreichs Präsident Macron Reformen anzuschieben. Das muss genutzt werden.
Überfordert diese Agenda nicht Ihre Partei? 8,9-Prozent-Grüne können sich nicht um alles kümmern.
Koalitionen bedeuten Kompromisse. Hier müssen wir unterscheiden lernen zwischen Kompromissen, bei denen man sagt, mehr war nicht drin, aber wir bleiben dran. Und solchen, mit denen man sich um die eigene Zukunft bringt, weil man Überzeugungen opfert. Die Warnung vor der Überforderung ist berechtigt.
Bei den rot-grünen Koalitionen im Bund gab es immer eine klare Arbeitsteilung.
Naja. Nach 1998 haben wir uns auf den Atomausstieg, die Ökosteuer, die eingetragenen Lebenspartnerschaften und die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts konzentriert. Das waren strukturelle Reformen, die das Land zum Positiven verändert haben. Um sowas geht es wieder. Wir sind nicht die Öko-App.
Was ist aus Ihrer Sicht die größte Hürde für Jamaika?
Am schwierigsten könnten die Bereiche werden, bei denen konträre Identitäten gegeneinander knallen. Aber man wird die ganze Themenliste sorgfältig abschreiten müssen. Nehmen Sie zum Beispiel die Pläne der Parteien zur Digitalisierung. Ein Schutz der Arbeitnehmerrechte kommt bei Union und FDP nicht vor. Christian Lindner hat die Digitalisierung propagandistisch genutzt, um alte FDP-Thesen zur Marktwirtschaft in modischem Gewand neu zu verkaufen. Wir würden praktische Lösungen suchen, aber nicht Ideologie abnicken.
CSU-Chef Seehofer will das Vakuum an der rechten Flanke schließen, um die AfD zu bekämpfen – also etwa bei der Flüchtlingspolitik. Ist das nicht tödlich für die Grünen?
Ja, ich nehme schon an: Wir werden bei der Innen- und Flüchtlingspolitik viel zu kämpfen haben, weil das von allen Seiten identitär besetzt ist – mit unterschiedlichen Vorzeichen. Ich kann Ihnen da leider keine Dr.-Oetker-Schnellmix-Packung anbieten.
Wie sehen Sie die Europapolitik? Zwischen FDP und Grünen liegen Welten. Die Freidemokraten wollen zum Beispiel den Rettungsfonds ESM abschaffen.
Die Abschaffung des ESM ist eine Schnapsidee. Das wird es nicht geben. Auch, weil das Merkel auf keinen Fall mitmacht. Entschuldigung, eigentlich hatte ich mir vorgenommen, freundlich über unsere Wettbewerber zu sprechen.
Wir hatten die Wahl
Manche Grüne sagen, ein Lagerwechsel bedrohe die Partei in ihrer Existenz. Wie sehen Sie das?
Die Geschichte zeigt, dass dieses Risiko besteht. Als die FDP 1969 in eine sozialliberale Koalition eintrat, befand sie sich in einer Existenzkrise. Als sie 1982 wieder zu Helmut Kohl ging dito. Willy Brandt soll 1969 zur FDP gesagt haben: Wir werden so regieren, dass die FDP erfolgreich sein kann. Mal sehen, ob Merkel, Seehofer und Lindner das verstanden haben. Wenn es stattdessen bei einer Kleinkrämerhaltung bleibt, dann klappt Jamaika nicht. Oder wir klappen zusammen, wenn wir uns darauf einlassen.
Warum bejubeln die Grünen eigentlich ihre 8,9 Prozent? Sie haben all ihre Wahlziele verfehlt. Sie wollten den dritten Platz erkämpfen und deutlich zweistellig werden.
Die Frage, was wir im Optimalfall hätten erreichen können, werden wir uns schon stellen. Weil wir lernen wollen. Aber wir haben in dem Wahlkampf ein paar Dinge sehr gut gemacht. Die Geschlossenheit. Der Zehn-Punkte-Plan, der auf dem Parteitag beschlossen wurde, hat unser Profil enorm geschärft. Die Partei hat einen exzellenten Online-Wahlkampf hingelegt. Die Spitzenkandidaten haben mit immensem Engagement gut motiviert.
Aber 2013 legten die Grünen nur ein minimal schlechteres Ergebnis hin, obwohl sie wegen der Pädophiliedebatte, des Veggiedays und der Steuerpolitik heftig attackiert wurden.
Sie werden uns nicht überzeugen, in Sack und Asche zu gehen. Wir sind gestärkt aus diesem Battle herausgekommen. Ein Jahr lang sind die Balken in Umfragen nach unten gegangen. Dass sie am Ende nach oben gingen, ist für uns ein großer, auch emotionaler Erfolg. Wir müssen jetzt schauen, wie wir daraus das Beste machen.
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