Rehabilitierung von "Kriegsverrätern": Im Namen des Führers

Noch 60 Jahre nach Kriegsende sind als "Kriegsverräter" verurteilte Soldaten nicht als NS-Opfer anerkannt. Am Freitag berät der Bundestag darüber, ob sich das ändern soll.

Bleiben von den Nazis hingerichtete Wehrmachtssoldaten bis heute "Kriegsverräter"? Wehrmachts-Rekruten beim Eid auf Hitler 1941. Bild: ap

Der Obergefreite Johann Lukaschitz hatte mit Revolten nichts am Hut. In seiner Truppe hatten einige einen Soldatenrat gegründet. Lukaschitz wollte damit nichts zu tun haben, verriet seine Kameraden aber auch nicht. 1944 wurde er wegen "Nichtanzeige eines geplanten Kriegsverrats" vom Reichkriegsgericht zum Tode verurteilt. Er starb, 24 Jahre alt, unter dem Fallbeil.

Ähnlich erging es dem Stabsgefreiten Josef Salz. Am 8. Februar 1944 wurde er in Stettin als Kriegsverräter erschossen. Sein Vergehen: Er hatte in sein Tagebuch Kritisches über den NS-Staat geschrieben. Die Militärjustiz verurteilte ihn, weil er "die Kampfbereitschaft des deutschen Volkes schwächte".

Diese Urteile gelten noch immer. Von der NS-Justiz wurden etwa 20.000 als Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Kriegsverräter zum Tode verurteilt. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer wurden nach hartem Ringen unter der rot-grünen Bundesregierung 2002 rehabilitiert. Kriegsverräter nicht. Sie standen im Ruf, Kameraden ans Messer geliefert zu haben.

Dabei war die Anklage wegen Kriegsverrats vor allem ein Mittel des NS-Staates gegen den Widerstand einfacher Soldaten. Nur selten wurden nationalkonservative Widerständler als Kriegsverräter verurteilt- und auffällig oft Soldaten wegen willkürlich ausgeweiteter Straftaten.

Das ist ein Grund, warum Kriegsverräter bis heute nicht als NS-Opfergruppe anerkannt sind. Insbesondere in der Union hegen viele noch immer den Verdacht, dass Kriegsverräter auf Kosten von Kameraden die eigene Haut retten wollten. Bekannt ist ein solcher Fall allerdings nicht.

Die politische Debatte darüber ist seit drei Jahren ziemlich starr: Die Union mauert, die SPD zögert, Linkspartei und Grüne drängeln vergeblich. Dabei signalisiert der junge Linksparteiparlamentarier Jan Korte, der die Rehabilitierung der Kriegsverräter 2006 auf die Agenda setzte, stets, dass die Linksfraktion ihren Antrag zurückzieht, wenn es der Sache dient.

Doch die SPD blockt. Die meisten SPD-Abgeordneten, so ein Fraktionsmitarbeiter, meinten lange, dass "das wieder irgend so ein Linkspartei-Blödsinn ist". Zudem will die SPD wegen einer Nebensache keinen Krach mit der Union. Und die pauschale Rehabilitierung der Kriegsverräter bedeutet das Eingeständnis, dass Rot-Grün 2002 falsch lag.

Doch jetzt kommt millimeterweise Bewegung in die Sache. So lädt Klaus Uwe Benneter, nicht gerade als SPD-Linker bekannt, an diesem Mittwoch im Bundestag zum Pressegespräch mit dem Militärhistoriker und SPD-Mitglied Wolfram Wette, der Dutzende Kriegsverratsurteile analysiert hat. Sein Ergebnis: "Diese Urteile müssen pauschal aufgehoben werden."

Auch die Reihen der Union sind nicht mehr fest geschlossen, seit SPD-Justizministerin Brigitte Zypries bei dem Ex-Verfassungsrichter Hans Hugo Klein ein Gutachten bestellte. Dessen Studie zeigt, dass die Praxis der Verratsverfahren allen Rechtsgrundsätzen widersprachen. Ziel des NS-Gesetzes sei "die Tötung des Verräters gewesen als Mittel zur Gesunderhaltung der Volksgemeinschaft". Die NS-Rechtsprechung, so CDU-Mann Klein, verstieß fundamental "gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsprinzip".

Die filigran argumentierende Studie hat politische Sprengkraft. Am 28. April reagierte Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Man sei, schrieb er an Zypries, zwar noch immer "gegen die pauschale Aufhebung aller Verurteilungen". Schließlich könne es ja sein, dass Kriegsverräter Opfer bei Soldaten oder Zivilisten verursachten. Wenn die NS-Urteile aber krass unrechtsstaatlich gewesen seien, gebe es, so Jung an Zypries, gegen die pauschale Aufhebung "keine Vorbehalte".

Das war die Wende. Allerdings bekam die Fraktionsspitze Angst vor der eigenen Courage und erklärte den Jung-Brief kurzerhand zum Missverständnis. Die Union will im Wahljahr am rechten Rand nichts riskieren.

So ergibt sich ein bizarres Bild. Im Bundestag gibt es für die Rehabilitierung eine satte Mehrheit von Linken, Grünen, SPD und manchen Unionspolitikern. Doch nichts passiert. Eine schärfere Gangart von der SPD fordert nun Juso-Chefin Franziska Drohsel: "Die SPD-Fraktion muss die Union unter Druck setzen und noch 2009 die Rehabilitierung durchsetzen. Das muss doch 60 Jahren danach möglich sein."

Jan Korte versucht genau dies seit 2006. Am Freitag wird der Bundestag nun nach drei Jahren Anlauf über das Thema reden. Die Debatte ist für 15.30 Uhr angesetzt - vor Pfingsten, wenn fast alle Abgeordneten längst auf dem Weg ins Wochenende sind.

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