Regisseurin zu Film über Srebrenica: „Täter werden ins Gefängnis gehen“
Die bosnische Regisseurin Jasmila Žbanić drehte mit „Quo Vadis, Aida?“ einen Film über das Massaker von Srebrenica. Den Anstoß gaben Zeitzeuginnen.
taz am wochenende: Frau Žbanić, Ihr Film „Quo Vadis, Aida?“ greift ein großes Verbrechen auf, den Genozid an der Bevölkerung von Srebrenica 1995, wo mehr als 8.000 bosniakische Männer ermordet und Zehntausende Frauen und Kinder deportiert wurden. Die Erinnerung an dieses Menschheitsverbrechen scheint aber nach 25 Jahren zu verblassen. War das Ihre Intention, diesen Film zu machen, um wieder mehr Aufmerksamkeit auf Srebrenica zu lenken?
Jasmila Žbanić: Der größte Anstoß kam von den überlebenden Frauen, vor allem von jenen, die dann nach dem Krieg wieder nach Srebrenica zurückgekehrt sind. Niemand hat bisher ihre Geschichten erzählt. Über die direkten Opfer wird ja weiterhin geredet, noch ist der Tod von 1.000 Männern ungeklärt. Es gibt aber anscheinend eine große Weigerung, über das Schicksal der überlebenden Frauen zu sprechen. Aber diese Frauen sind doch ebenfalls Opfer. Wenn ich wie jedes Jahr zum Jahrestag nach Srebrenica kam, konnte ich viele tiefe Emotionen spüren und erleben. Diese Frauen sind weiterhin gefangen in ihren Erinnerungen, für sie sind die Ereignisse von damals auch heute Teil ihres Lebens. All dies hat mich angetrieben, diesen Film zu machen.
Sie erzählen die Geschichte einer Frau, die als Dolmetscherin für die UN-Soldaten im UN-Stützpunkt Potočari bei Srebrenica arbeitet, wohin die Bevölkerung während des Angriffs der serbischen Truppen unter Ratko Mladić floh und Schutz suchte. Zehntausende standen draußen und waren der Gewalt der serbischen Soldateska ausgesetzt. Sie beziehen sich eigentlich auf die Geschichte des Dolmetschers Hasan Nuhanović, der vergeblich versuchte, seine Familie zu retten.
Die Geschichte des Dolmetschers Hasan Nuhanović ist eine sehr traurige, er musste seiner Familie den Befehl der UN übersetzen, sie müsse die Kaserne der UN verlassen. Draußen warteten schon die serbischen Soldaten. Er konnte nichts für sie tun. Dies ist ein Drama, das zeigt, dass der Krieg Menschen zu Taten zwingt, die unvorstellbar sind. Ich habe sein Buch gelesen, habe mit ihm geredet, er hat mir viele Inspirationen gegeben, aber ich sagte ihm, dass ich Namen und Situationen verändern werde.
Das Skript wurde mehrmals geändert, bis ich wirklich den Ansatz gefunden habe: Das war eine Mutter, die ihre Kinder verteidigen will. Meine Frage war also, was passiert mit der Psychologie einer Frau, die ihre beiden Söhne beschützen will und nicht in der Lage ist, dies zu tun? Die Geschichte änderte sich also in eine neue, die nicht nur den Horror in Srebrenica abbildet, sondern bei der es auch darum geht, dass sich die Zuschauer in die Lage von Aida versetzen können, weil es ihr eigenes Leben berührt.
Im Mittelpunkt des Films steht dann zwangsläufig auch das Verhalten der niederländischen UN-Soldaten, dem sogenannten Dutchbat, unter Thomas Karremans, die dann sogar Menschen aus der Kaserne den Serben ausgeliefert haben.
Damals, 1995, als alles passierte, als die Serben Srebrenica einnahmen, war ich erschrocken über das Versagen der UN und dass diese Verbrechen unter den Augen der UN, also unter den Augen von vielen Nationen der Welt vor sich gegangen sind. Grundlegende Menschenrechte wurden außer Kraft gesetzt. Ich sprach mit David Harland (neuseeländischer Experte für UN und Srebrenica, Anm. d. Red.), er half mir sehr, die Funktionsweise der UN zu verstehen, ich versuchte auch, während der Arbeit am Skript mit Karremans selbst und anderen niederländischen Soldaten zu sprechen, doch sie weigerten sich.
Ich denke, es gibt keine Entschuldigung für ihr Verhalten. Es hätte in dieser Situation doch Möglichkeiten gegeben, menschlicher zu agieren, auch mit mehr Mut. Einige UN-Soldaten kamen Jahre später nach Srebrenica, sie fühlen sich bis heute schuldig. Es gibt kein Schwarz-Weiß. Viele Soldaten waren damals sehr jung. Aber der schreckliche Eindruck bleibt, dass nicht getan wurde, was hätte getan werden können. Ich hoffe, dass der Film dazu beiträgt, dass es zu einer Reform kommt, das vordringliche politische Interesse der Vereinten Nationen muss die Einhaltung der Menschenrechte sein.
Aida verliert den Kampf um ihre Söhne, das Dutchbat schützt sie nicht. Ihr Mann geht mit den Söhnen in den Tod. Jahre später kommt sie zurück nach Srebrenica und wird wieder Lehrerin. Sie unterrichtet auch die Kinder von an den Massakern Beteiligten. Sie streckt ihre Hand aus zur Versöhnung, doch kommt da eine Hand zurück?
Die Mütter von Srebenica, die zurückkamen, forderten Gerechtigkeit und die Wahrheit über die Ereignisse. Sie haben immer gesagt, wir müssen auch in Zukunft zusammenleben, es gibt keine andere Lösung. Aida kam zurück nach Srebrenica, weil sie wie alle Rückkehrerinnen ihre Erinnerungen dort hat, die Gräber ihrer Familie, sie wollen nicht an anderen Plätzen leben, sie wollen dort sein, wo ihre Erinnerungen sind. Sie tut, was sie immer tat, sie ist Lehrerin. Werden diese Kinder tatsächlich lernen, anders zu handeln als ihre Väter? Das bleibt ambivalent, vielleicht werden sie ihren Vätern nacheifern, vielleicht auch nicht. Aida aber ist zerstört für immer, sie lebt in ihrem Horror weiter, aber Rache will sie nicht.
Der Film ist sehr intensiv, weil Sie bei Aida bleiben und das Massaker selbst nicht zeigen. Die serbische Gesellschaft ist bis heute nicht in der Lage, die Verbrechen in Srebrenica zuzugeben. Solange das so ist, kann es doch keinen echten Frieden geben. Die in Serbien verpönte serbische Autorin Janja Beč sagte mir einmal, Frieden ist erst, wenn man zusammen weinen kann.
Wir hatten die Premiere des Films im Dokumentationszentrum in Potočari/Srebrenica. Ein junger Mann aus Ostsarajevo (serbischer Stadtteil, Anm. d.Red.) sagte, er hätte den ganzen Film über weinen müssen, er wünschte, seine Kumpels wären hier, die immer noch die Kriegsverbrecher feiern. Ein Junge aus Belgrad schrieb mir über Instagram: „Du wirst es nicht glauben, seit drei Tagen bin ich völlig zerstört, ich weine, für mich ist das ein großer Schritt, um die Vergangenheit anders zu verstehen.“ Ich habe viele Botschaften in diesem Sinne erhalten, sogar von Kollegen aus Belgrad, die nationalistisch eingestellt waren. Die haben „Quo Vadis, Aida?“ gesehen und waren sehr berührt. Das sind zwar nur Individuen, das ist noch keine kritische Masse in der serbischen Gesellschaft, aber dies zeigt doch einen beginnenden Wandel an.
Die Schauspielerin, die Aida spielt, und der Schauspieler, der Ratko Mladić spielt, sind beide Serben. Die mussten einen richtigen Shitstorm über sich ergehen lassen …
Das ist wahr, es gab natürlich von rechten Nationalisten einen Shitstorm gegenüber Jasna Đuričić und Boris Isaković, aber es gab auch in Serbien viele positive Reaktionen auf den Film, wir haben 15 Interviews für serbische Journalisten gegeben, die über Jasna und Boris sehr positiv berichtet haben.
Die Regisseurin: Jasmila Žbanić wurde 1974 in Sarajevo geboren und studierte dort an der Akademie für darstellende Kunst. Ihr Spielfilmdebüt „Esmas Geheimnis – Grbavica“ erhielt 2006 auf der Berlinale den Goldenen Bären. Bei der ersten Online-Berlinale im März gehörte Žbanić zur Wettbewerbsjury. Sie ist Unterzeichnerin der Deklaration von 2017 zur gemeinsamen Sprache der Kroaten, Serben, Bosniaken und Montenegriner.
Der Film: „Quo Vadis, Aida“ lief 2020 im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig. Der Spielfilm über das Massaker von Srebrenica gewann mehrere Auszeichnungen, unter anderem beim International Film Festival Rotterdam, und ist bei der Oscar-Verleihung am 25. April als bester internationaler Film nominiert.
Ihre älteren Filme wurden ja sogar boykottiert …
Der große Unterschied zu früher ist, dass es jetzt soziale Medien gibt. Die staatlichen Medien in Serbien und der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina sagten damals über den Film „Esmas Geheimnis“ (Goldener Bär 2006, Anm. d. Red.) nur das, was die Serben ihrer Meinung nach über den Film denken sollten. Inzwischen können Leute in ihren Wohnzimmern Filme runterladen und angucken und sich ihre eigene Meinung bilden. Es waren nicht „die Serben“, die die Verbrechen begingen, es waren die Kriegsverbrecher, die aber noch viele Sympathisanten haben. Manche der Täter werden noch ins Gefängnis gehen müssen, wenn alles aufgedeckt wird. Sie sind voller Angst.
Der Krieg wird erst vorbei sein, wenn dieser Film in einem staatlichen TV-Kanal in Serbien ausgestrahlt werden kann. Ich würde mir zudem wünschen, dass jene deutschen Politiker, die dem Präsidenten Serbiens, Aleksandar Vučić, eifrig die Hände schütteln, zur Kenntnis nähmen, dass der während des Krieges gesagt hat: Für einen toten Serben töten wir 100 Muslime. (1941 sagte die deutsche Wehrmacht in Jugoslawien: „Für einen toten deutschen Soldaten töten wir 100 Zivilisten“, Anm. d. Red.) Wenn ich sehe, wie die den hofieren, denke ich, was ist falsch mit den deutschen Politikern. Ich wünschte mir, meinen Film im Bundestag zeigen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen