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Regisseurin über ihre Pegida-Doku„Ein Film über Menschen“

Sabine Michel hat für „Montags in Dresden“ drei Pegida-AnhängerInnen im Alltag und bei den Demos begleitet – und wurde dafür heftig kritisiert.

Warum „nicht mit uns“? Pegida-Anhänger René Jahn und seine Mitstreiter Foto: Martin Langner
Interview von Thomas Winkler

taz am wochenende: Frau Michel, wann waren Sie das letzte Mal in Dresden?

Sabine Michel: Vor einem Monat ungefähr.

Und wie geht es Ihnen, wenn Sie zurückkommen?

Ich bin mit 18 Jahren, kurz nach dem Abitur, direkt zur Wende, aus Dresden weggegangen. Seitdem habe ich zu Dresden eine Art Hassliebe behalten. Es gibt immer eine Spannung zwischen dem Vertrauten, den Erinnerungen, die die ich in mir trage, und dem, was mich damals weggetrieben hat und was es immer noch gibt, dieser extreme Traditionalismus der Stadt.

Ist diese konservative Grundhaltung der Stadt die Erklärung dafür, dass gerade in Dresden Pegida entstanden ist und sich immer noch hält?

Ich kann nur für mich als Regisseurin sprechen. Ich glaube, es gibt nicht den einen Grund, dass dort die Leute auf die Straße gegangen sind und sagen: Wir wollen, dass alles so bleibt, wie es war. Das hat sicher was damit zu tun, dass Dresden schon im Osten und auch heute noch sehr konservativ ist – trotz der Touristen und auch im Gegensatz zu anderen Großstädten, die eher poly­glott und multikulturell sind. Schon August der Starke hat Künstler und Arbeiter nach Dresden geholt, aber die sollten dann auch schön unter sich bleiben im italienischen Dörfchen zum Beispiel. Dann spielt vielleicht eine Rolle, dass es kein Westfernsehen gab im sogenannten Tal der Ahnungslosen. Außerdem Herr Biedenkopf, der die Sachsen darin bestärkt hat, sie seien was ganz Besonderes im Freistaat Sachsen. Dann natürlich die Verletzungen nach der Wende, die ein Entwertungsgefühl produziert haben. Über diesen regionalen Spezifika können wir aber nicht vergessen, dass immer mehr Menschen in dieser Gesellschaft abgehängt werden oder sich so fühlen, kulturell und finanziell. Es gibt einen Riss, der größer wird. Davon erzählt der Film, und das ist ein überregionales Problem.

Bild: Reinhard Goeber/Solofilm
Im Interview: Sabine Michel

Mit ihrem Film „Montags in Dresden“ hat sie eine Kontroverse ausgelöst. Der Film der 1971 in Dresden geborenen Regisseurin, die 2013 für „Mein Leben – Die Fotografin Sybille Bergemann“ einen Grimme-Preis gewonnen hat, folgt drei Pegida-DemonstrantInnen tief in ihren Alltag: dem erfolgreichen Mittelständler Daniel Heimann, dem Hausmeister René Jahn und Sabine Ban, alleinerziehende Mutter eines autistischen Sohns. Die taz bemängelte fehlende „dokumentarische Distanz“, die Sächsische Zeitung sah „famoses Doku-Kino“.

„Montags in Dresden“ läuft beim 14. „Achtung Berlin“-Festival: So., 15. 4.2018, 19 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain; Mo., 16. 4.2018, 20.15 Uhr, Kino Lichtblick; Di., 17. 4.2018, 21 Uhr, Kino Eiszeit

Warum wollten Sie einen Film drehen über Pegida?

Ich hatte mich in meinen Filmen wie „Zonenmädchen“ ja schon mit DDR-Prägungen und Transformationserfahrungen beschäftigt. Schon da habe ich immer gedacht: Es müsste doch eigentlich mehr Empörung geben, mehr Protest. Allerdings hätte ich eher einen linken Protest erwartet. Als es in Dresden losging, ganz am Anfang, als noch nicht klar war, in welche Richtung die Reise geht, fand ich es erst einmal interessant, dass hier im Osten eine Politisierung stattfindet. Das hat mich als Dokumentarfilmerin interessiert, deswegen habe ich mich vor drei Jahren auf den Weg gemacht und versucht, unter die erste Schicht zu kommen.

Glauben Sie, das ist Ihnen gelungen, mit „Montags in Dresden“ unter die erste Schicht zu kommen?

Ja, das glaube ich schon. Vorausgesetzt, man möchte wirklich etwas erfahren über Pegida und diese Menschen und darüber, welchen Anteil auch die neoliberale Wirtschaftsentwicklung der letzten 15 Jahre an Pegida hat, dann kann einem dieser Film etwas erzählen. Ich wollte, dass differenziert betrachtet wird, was da in Dresden passiert, welche realen und irrationalen Ängste es da gibt, wie die entstanden sind, warum sich da ein diffus waberndes Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, gegen daran Unschuldige, gegen Flüchtlinge richtet. Ich wollte auch sehen, an welcher Stelle man in der politischen Entwicklung vielleicht andocken kann, um Leute wieder für die Demokratie und dieses Land zurückzugewinnen. Als ich den Film angefangen habe, wusste man ja noch ganz wenig über diese Leute, die da demonstriert haben, Pegida hat ja auch nicht mit der Presse gesprochen – und das war erst einmal das Motiv: loszugehen, diese Mauer zu durchdringen und rauszukriegen, was sind das für Leute und was bewegt sie, auf die Straße zu gehen.

Ist der Film vielleicht zu spät dran?

Ich habe meine Protagonisten anderthalb Jahre lang begleitet, der Film ist seit fast einem Jahr fertig. Film ist nun mal ein langsames Medium, ich würde ihn heute – nach diesem Wahlergebnis und da sich Pegida und die AfD immer weiter annähern – wahrscheinlich anders angehen. Unabhängig davon behält der Film aber seine gesellschaftliche und politische Relevanz. Wie gehen wir damit um, dass 30 Prozent AfD wählen? Die kann man ja nicht alle in den Keller sperren. Ich finde, wir sollten uns fragen, was diese Bewegung mit ihrem Protest gemeint haben könnte.

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Verstehen Sie die Kritik, die es an Ihrem Film gibt?

Nein, aber ich finde es in Ordnung, dass der Film für manche offensichtlich eine Zumutung darstellt. Der Film löst etwas aus – im Leipziger Hauptbahnhof saßen bei der Vorführung 800 Menschen. Denn er behandelt das vielleicht wichtigste innenpolitische Thema unserer Zeit und ist immer noch der einzige Film, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Aber, und das ist wichtig: Er ist kein politischer Beitrag, sondern ein künstlerischer Dokumentarfilm. Und mein Dokumentarfilm-Ethos bedeutet, dass ich den Menschen auf Augenhöhe begegnen will. Der Film ist auch ein Gesprächsangebot – und Gespräche zwischen den verschiedenen Lebenswelten finden in unserer Gesellschaft zu selten statt. Deshalb wollte ich nicht jede Aussage der Protagonisten hinterfragen, ich wollte vor allem die Prägungen aus der Kindheit in der DDR, ihren Alltag vor und nach dem Mauerfall, ihre Sorgen und Ängste und ihr soziales Umfeld ins Verhältnis setzen zu dem, was sie heute bewegt. Das heißt aber nicht, dass der Film etwas beschönigt oder gar entschuldigt.

Alle wollen immer eine eindeutige politische und ideologische Einordnung, aber wenn ich mich in einem Film auf Menschen einlasse, dann will ich etwas von ihnen erfahren, dann will ich denen nicht erzählen, dass ich alles besser weiß

Ein Vorwurf ist, der Film würde sich mit Pegida gemein machen.

Alle wollen immer eine eindeutige politische und ideologische Einordnung, aber wenn ich mich in einem Film auf Menschen einlasse, dann will ich etwas von ihnen erfahren, dann will ich denen nicht erzählen, dass ich alles besser weiß. Ich versuche, möglichst vorurteilsfrei auf Menschen zu schauen, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. „Montags in Dresden“ ist kein Film über Pegida, sondern über Menschen. Aber natürlich nimmt er trotzdem eine Haltung ein: durch die Wahl meiner künstlerischen Mittel, durch die Montage, natürlich auch durch die Erzählerstimme und die Fragen, die ich stelle.

Was der Film sehr schön herausarbeitet, ist der soziale Aspekt, den Pegida hat.

Ja, da treffen sich jeden Montag immer dieselben Menschen, das ist eine Gemeinschaft geworden, und einige haben dort auch ihre wichtigsten sozialen Kontakte. Das ist wie ein Jahrmarkt oder für manche auch der wöchentliche Weg zur Beichte. Und das hat mit den Jahren auch immer mehr zugenommen: Je weniger Menschen es werden bei den Demonstrationen, desto verschworener wird diese Gemeinschaft. Aber wir sollten uns hüten, das als beendet oder gar als reines regionales Phänomen zu betrachten.

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1 Kommentar

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  • sehr vernünftige Einstellung der Regisseurin. Man kann tatsächlich nicht alle in den Keller sperren und ein Film, der mich belehren will, statt mich neugierig zu machen und in mir Fragen aufzuwerfen - der interessiert mich nicht.