Regisseurin Sung-hyung über Nordkorea: „Alle wollen die Wiedervereinigung“
Die südkoreanische Regisseurin Cho Sung-hyung durfte in Nordkorea Aufnahmen für einen Dokumentarfilm machen. Es war der erste Dreh dieser Art.
Das Yanggakdo-Interhotel in Pjöngjang, in dessen 47. Etage sich ein Restaurant dreht, sieht aus wie eine überdimensionierte Figur aus einem billigen Science-Fiction-Film der frühen achtziger Jahre: ein Kastenmensch ohne Hals und mit zu kleinem Kopf. Untergebracht sind in dem Haus die Ausländer – Touristen, Handelsreisende, Gäste des gerade zu Ende gegangenen Filmfestivals. Fast vier Wochen ist Cho Sung-hyung („Full Metal Village“) nun im Land, um einen Film zu drehen. Wir sitzen in der Bar im Erdgeschoss, sie muss noch mal raus in die Nacht, das Gespräch wird abrupt beendet werden durch den drängelnden Kameramann Thomas Schneider. Auf dem Plan steht ein Glockenspiel, das um Mitternacht zwei Lieder spielt, für jeden der toten Führer eins.
taz: Frau Cho, wie sind Sie dazu gekommen, einen Film in Nordkorea zu machen?
Cho Sung-hyung: Wir haben zuletzt einen Film gedreht über die Frauen aus der DDR, die in den fünfziger Jahren dort nordkoreanische Studenten kennengelernt und Familien gegründet haben. Der Film ist fast fertig. Die Männer, ein paar Hundert, kamen als Studenten und wurden plötzlich zurückbeordert, die meisten drei Monate vor dem Mauerbau.
Und dann?
Manche hatten Briefkontakt, das ging drei Jahre lang, dann war es abrupt zu Ende. Die Frauen haben dennoch die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie ihre Männer eines Tages wiedersehen, eine von unseren Protagonistinnen hat nie mehr geheiratet. Tatsächlich ist es seit ein paar Jahren möglich, dass die Frauen und ihre Kinder hierherkommen, um ihre Männer und Väter zu sehen. Zu meinem Erstaunen. Denn die Geschichte ist hier tabu. Vor zwei Jahren kamen wir nach Nordkorea, um vorzufühlen, ob wir die Zusammenführungen drehen könnten.
Und?
Die Nordkoreaner wollten davon nichts wissen. Sie haben gesagt: Wir können eine Koproduktion machen, aber nicht zu diesem Thema. Daraus entstand der Kontakt.
Welchen Film drehen Sie stattdessen?
geb. 1966, ist eine südkoreanische Regisseurin und Cutterin. In Seoul studierte sie Kommunikationswissenschaft und ging im Jahr 1990 nach Deutschland, um in Marburg Kunstgeschichte, Medienwissenschaften und Philosophie zu studieren. Sie arbeitete als Cutterin und Regisseurin für Dokumentarfilme und Musikvideos. Ihr Dokumentarfilm „Full Metal Village“ über das Wacken Festival von 2006 wurde mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet. Seit 2011 ist Cho Professorin für Künstlerischen Film an der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken.
Ursprünglich war unser Thema die Liebe der Bevölkerung zu ihren Führern. Das war der Vorschlag von meiner HR-Redakteurin, Esther Schapira. Wir fanden es gut. Egal, was du hier machst, am Ende geht es immer um den Führerkult.
Was sagten die Partner?
Das Thema war ihnen zu politisch. Sie haben dann vorgeschlagen, Alltagsgeschichten zu machen, ohne Führerkult. Da dachten wir: Hurra! Wir wollten das Verhältnis zu den Führern eh im Alltag ergründen.
Wie sind Sie zu Ihren Protagonisten gekommen?
Wir haben Kandidaten definiert über Beruf, Ort, Alter und so weiter. Das war eine sehr lange Liste. Unser Partner hier hat dann ausgesucht, da fängt es schon an mit der Unfreiheit. Weil wir aber sehr viel vorgeschlagen hatten, konnten wir einige ablehnen oder noch vor Ort wechseln, etwa in einer Schule: Nein, nicht den, der ist zu groß, ich will einen Kleinen. Dann haben Sie uns einige Jungs präsentiert, und aus denen hab ich dann einen ausgewählt. So ging es.
Haben Sie Einblick bekommen in das Alltagsleben?
Das schafft niemand. Vielleicht klappt das ohne Filmteam, aber nicht mit Kamera. Wir waren zu dritt und unsere nordkoreanischen Partnern zu viert. Bei der Recherche saßen wir einmal zu elft bei einem Bauern im Wohnzimmer. Ich habe dann mit den Partnern gesprochen, dass das so nichts wird. Als beim Drehen dann doch wieder so viele Menschen dabei waren, habe ich angefangen, alle rauszuschmeißen. Nicht böse, aber entschieden. Das ging.
Ändert sich dann nicht das Verhältnis zu den Begleitern?
Unsere Partner waren sehr vorsichtig. Wenn wir etwas machen, was in Augen des Regimes das Land beschädigt, tragen sie die Verantwortung. Natürlich entsteht eine Zweckfreundschaft. Beide Seiten wissen, dass sie da zusammen durchmüssen. Pragmatismus hilft, aber nach drei Wochen verbraucht sich das auch.
Wie motiviert man sich da?
Es ist das erste Mal, dass eine Südkoreanerin, wenn auch mit deutschem Pass, hier einen Film dreht. Das sehe ich nicht nur für mich persönlich als Erfolg, sondern für das Land: dass sich vielleicht etwas bewegen könnte. Wenn sie mich reinlassen können, lassen sie irgendwann noch mehr Leute rein.
Wie wurden Sie denn wahrgenommen als Südkoreanerin?
Das war ein ständiges Wechselspiel aus Zuneigung und Abneigung, Neugier und Vorsicht. Zuneigung, weil sie zum ersten Mal eine Landsfrau aus dem Süden sehen. Da sind sie sehr gerührt. Gleichzeitig sind die Menschen sehr vorsichtig. Im Süden sind solche Begegnungen verboten, und auch hier sind sie nicht gewollt. Deswegen kann es gefährlich werden.
Was heißt das?
Einmal hat mich einer nach dem Süden gefragt, und ich dachte, hui, du musst aufpassen, was du fragst. Am besten ist das Stichwort Wiedervereinigung, darüber kann man abstrakt reden.
Was sagen die dann?
Alle wollen die Wiedervereinigung, und zwar so schnell wie möglich. Nordkoreaner können dabei sehr emotional werden. Am heiligen Berg Paektusan sang ich mit unseren Partnern das Lied „Unser Wunsch ist Einheit“ . Das Lied trieb ihnen Tränen in die Augen. Sie sagen: Wir sind ein Volk, wir wurden durch äußere Mächte getrennt. Diese Mächte, also USA, verhindern die Wiedervereinigung. Dabei ist die Lage komplexer geworden, die USA sind nicht die Einzigen, die gegen eine Einheit Koreas sind. Viele Südkoreaner sind nicht davon überzeugt, die Elite Nordkoreas wohl auch nicht. Leider endet das Gespräch immer, bevor es konkret wird.
Wie erkennen die Nordkoreaner eigentlich, dass Sie aus dem Süden sind?
Weil ich Koreanisch spreche. Dann falle ich als Chinesin oder Japanerin aus. So wie ich angezogen bin, kann ich aber auf keinen Fall aus dem Norden sein. Dann geht der Blick immer auf die linke Brust, wo alle hier ein Pin tragen mit den geliebten Führern drauf. Bei mir ist da aber nichts. Das ist die Irritation.
Vorsicht ist aber keine gute Voraussetzung für Filminterviews.
Wenn ein Bonze mein Gesprächspartner vor der Kamera wäre, hätte ich keine Hemmungen, über Politik zu diskutieren. Aber die Leute, mit denen ich spreche, sind normale Menschen, vielleicht etwas privilegierter als andere, weshalb sie ausgewählt wurden. Die darf ich nicht in Gefahr bringen. Der Film ist nur ein Film, für die Leute kann das aber viel bedeuten, wenn sie etwas Falsches gesagt haben. Die müssen hier weiterleben. Das ist ein sonderbares Land mit einem sonderbaren System. Ich kann mich nicht wie eine Heuschrecke verhalten, die alles aberntet und dann wieder abhaut.
Haben Sie eine Ahnung, wie Ihre nordkoreanischen Koproduktionspartner das wahrnehmen?
Die sehen das. Die sagen mir, du bist anders als andere Filmteams. Da ist es etwas Besonderes. Das habe ich oft gehört.
Welches Interview hat Sie am meisten beeindruckt?
Ein Bauernhof, natürlich ein Musterkollektiv, das gezeigt werden soll. Aber dennoch: Den, ich mag diesen Begriff sehr, Ökostalinisten in Deutschland würden die Augen übergehen: Jeder Haushalt hat an ein Solarpaneel oder eine Windkraftapparatur. Hinter dem Haus gibt’s noch mal eine Biogasanlage, wo die Ausscheidungen gesammelt werden. Mit dem Methangas wird gekocht, der Rest als Dünger benutzt. Die produzieren kaum Müll, schmeißen nichts weg. Das hat mich sehr beeindruckt.
Fühlen Sie sich instrumentalisiert, wenn Sie diese Bilder dann in Ihrem Film transportieren?
Das ist das Spannende. Du bist begeistert, wie ökologisch alles ist, und fragst dich zugleich: Soll ich das gut finden? Wie verhalte ich mich dazu?
Gibt es eine Antwort?
Weiß ich nicht. Ich hoffe, dass dieses Land eine Stufe überspringt in der Entwicklung. Was wohl aber nicht passieren wird, wenn ich sehe, wie es sich jetzt schon verändert hat: Smog in Pjöngjang! Ich habe wirklich gehofft, dass dieses Land nicht den gleichen Weg geht wie China.
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