Regisseur Peter Kahane: Sein grandioser Flop
Mit seinem Film „Die Architekten“ wollte Peter Kahane die Kunstfreiheit in der DDR testen. Der Mauerfall machte ihm einen Strich durch die Rechnung.
Der Mauerfall kommt in einem ungünstigen Moment. Der Drehtag am Brandenburger Tor steht noch aus. Die Nacktheit, diese quälende Leerstelle auf dem Pariser Platz, der Blick in den nahen und doch so fernen Tiergarten soll eine Schlüsselszene für „Die Architekten“ tragen. Und jetzt, im Dezember 89, sind dort die Massen, Fernsehübertragungswagen aus aller Welt. Gespanntes Warten darauf, dass Bundeskanzler Helmut Kohl endlich den deutschen Triumphbogen durchschreitet.
Kameramann Andreas Köfer gelingt es dennoch, in dem Trubel eine Sichtachse zu finden, die die Illusion der undurchdringlichen Mauer aufrechterhält. Hauptdarsteller Kurt Naumann winkt hilflos in die Richtung, wo seine Figur die an den Westen verlorene Tochter vermutet. Regisseur Peter Kahane hat die Szene im Kasten.
Schon der Abend des 9. November 1989 war für das Filmteam reichlich surreal. Während nur einige hundert Meter entfernt im Kino International Heiner Carows „Coming Out“ Premiere hatte, wurde der „Architekten“-Stab auf dem Alexanderplatz von westlichen Kamerateams zum Mauerfall befragt. „Wir haben die für verrückt gehalten“, erinnert sich Peter Kahane an jene Nacht.
Die Filmografie Kahanes ist lang, Fernsehkrimis vor allem, ein paar Kinofilme, „aber es wollen alle immer nur über ‚Die Architekten‘ reden“, wie Kahane etwas amüsiert anmerkt. Der Film: ein Abgesang, ein Nachruf fast, auf die drückende Enge, die unbewegliche, erstickende Realität der DDR. Gedreht wurde er aber in den hektischsten Wochen des kleinen Landes, rund um den Mauerfall.
Ein Drehbuch als Manifest
Während rundherum alles zusammenbrach, arbeitete sich Kahane durch den Stoff, für dessen Realisierung er hart hatte kämpfen müssen. „Die Arbeit am Film hat mir eine Struktur gegeben, meine Gedanken und diese Masse an Eindrücken geordnet, die da kamen. Es hat sich ja jeden Tag was geändert“, erklärt Peter Kahane an einem verregneten Oktobertag, 30 Jahre später das Leben in jener irren Zeit. 70 Jahre ist er alt, geboren im Gründungsjahr der DDR.
Sein Film erzählt die Geschichte einer Gruppe Architekten, die ein lebenswertes und menschenfreundliches Umfeld statt der grauen Plattenbautristesse erschaffen wollen und dabei am erstarrten System scheitern müssen. Kahane, der an Thomas Knaufs Drehbuch mitgeschrieben hatte, legte seine ganze Unzufriedenheit mit dem System in diesen Stoff. Nur kurz zuvor hatte er die erste Version des „Manifests der Nachwuchsgruppe“ im Verband der Film- und Fernsehschaffenden geschrieben. Eine Abrechnung mit Zensur und Selbstzensur, ein Appell an künstlerische Freiheit und den Mut zu abseitigen Positionen.
Der Anlass war ein untersagtes Filmprojekt mit bereits fertigem Buch. Die Drehorte waren ausgesucht und dann fiel der Hammer vom allmächtigen Defa-Studio, das Projekt war tot. Im Manifest, für das Kahane sich dann Verbündete bei den Kollegen seiner Generation suchte, brachte er seinen Ärger zu Papier.
Doch auch das war nicht das Richtige: „Es wurden dann in den Text Begriffe reingebracht, wie die Versicherungen, dass wir auf dem Boden des Sozialismus stehen und so weiter. Das fand ich schnell ziemlich langweilig und hab mich dann aus dieser Diskussion verabschiedet. Es war klar, ich muss etwas machen, das wirklich die Kraft hat, die ich brauchte, um die Entscheidungsfragen zu stellen. Und das war dann eben ‚Architekten.‘“
Die Entscheidung sollte also in Form eines Drehbuchs herbeigeführt werden. Kahane beschreibt die Situation heute so: „Das war tatsächlich als Provokation gedacht. Das war als Frage gedacht, ob ich bleibe oder gehe. Das, was ich in dem Manifest geschrieben hatte, wollte ich einfach mal ausprobieren. Ohne Selbstzensur.“
Und tatsächlich ging das Drehbuch im Dezember 1988 durch. Der Drehbeginn jedoch verschob sich 1989 immer weiter. Das endgültige Okay kam erst nach dem Abtritt des langjährigen Defa-Chefs Hans Dieter Mäde im Sommer. Und dann fiel die Mauer.
„Die Architekten“ hatte im Mai 1990 Premiere, standesgemäß im International. An der introspektiven Sicht, dem Drama des realsozialistischen Alltags, der Verzweiflung einer Intelligenzija, die vergeblich versuchte, das Leben im Lande besser zu machen, hatte niemand mehr Interesse. An einem Defa-Film sowieso nicht, egal wie kritisch der auch ausfiel.
Der grandiose Flop war ungewohnt für Kahane, seine beiden vorherigen Filme, „Vorspiel“ und vor allem „Ete und Ali“ waren richtige Kassenschlager gewesen, denen es auf humorvolle Art gelang, ein jugendliches Lebensgefühl jenseits des offiziell sanktionierten Einerleis auf die Leinwand zu bringen. Und jetzt, beim großen Wurf, waren mit der DDR Objekt und Publikum der Geschichte verloren gegangen.
Zwei Flops in Folge
Für Peter Kahane ging es danach beinahe nahtlos weiter. „Cosimas Lexikon“ mit Iris Berben in der Hauptrolle sollte sein erster Westfilm werden – und für eine ganze Weile auch der letzte. Aktiv stellen wollte er sich den Ereignissen um Wende und Wiedervereinigung, erinnert sich Kahane: „Ich habe versucht zu beschreiben, was sich damals gleich angedeutet hat. Nämlich, dass es um Häuser ging, um Besitz und Übernahme.“
Die Geschichte eines abrissreifen Hauses in Berlin, dessen Bewohner sich auf die Suche nach dem Alteigentümer machen und diesen, einen verlotterten Trinker, in Kellerhaft zu einem anständigen Menschen zu erziehen versuchen, erhielt vernichtende Kritiken und nur wenig Publikum.
Nach zwei Flops in Folge war Kahane als Regisseur zunächst abgemeldet. „Cosimas Lexikon“ hat er sich nie wieder angeschaut. „Die Architekten“ aber erfuhren über die Jahre wiederholt ihre Rehabilitation. Nicht nur lobte die Kritik den Film von Anfang an, auch Festivalscreenings und Fernsehausstrahlungen ergeben sich immer wieder.
Kaum Erfolg mit Herzensprojekten
Mit Drehbüchern für Fernsehkrimis entzog sich der Regisseur der zeitversetzten Wendekrise („spät, aber heftig“) und hielt sich im Geschäft. Schließlich kam das Angebot, die Krimiserie „Stubbe – Von Fall zu Fall“ zu entwickeln, was eine jahrelange fruchtbare Zusammenarbeit mit dem zum Schauspieler gewandelten Kabarettisten Wolfgang Stumph begründete.
Bis heute schreibt und dreht Kahane. Mit seinen Herzensprojekten jedoch kann er weiterhin kaum landen. „Ich hätte gerne noch Geschichten aus der DDR erzählt“, sagt er heute. Begründungen für die Ablehnung seiner Stoffe hat er mehr gehört, als er sich erinnern kann. „Ich glaube, letztlich das ist eine Vertrauensfrage. Kaum jemand aus der Defa-Nachwuchsgruppe konnte im Westen als Filmemacher Fuß fassen.“
Das Misstrauen seiner Generation gegenüber sieht Kahane als Konstante in seinem Leben. Auch in der DDR zeigte sich die Gründergeneration, die Kriegsüberlebenden den Auswüchsen ihrer Kinder gegenüber wenig aufgeschlossen. „Was die schon in meiner Jugend an uns rumgekrittelt haben. Es ging um Musik, um Haarschnitte, um Klamotten – und zwar immer mit Verboten.“
Vom Kindergarten ins Altersheim
Peter Kahane gehörte zu den Jungen, die andere Fragen stellten: „Wir haben ganz naiv gefragt, ob das das Leben ist, das wir führen wollen. Viele haben nein gesagt. So wurde dann auf allen Gebieten versucht, uns im Zaum zu halten. Und alle Entscheidungspositionen waren besetzt von diesen Leuten, die erst in den 80ern und 90ern in die Rente gehen würden.“
In den 90ern, im neuen Land, aber waren Kahanes Jahrgänge selber schon nicht mehr jung: „Also wurden wir vom Kindergarten DDR direkt ins Altersheim abgeschoben.“ Der Mauerfall kam auf so vielen Ebenen in einem ungünstigen Moment – und in genau dem richtigen. Es war vorbei mit dem Experiment Sozialismus, das Kahane aus heutiger Sicht ungnädig beurteilt. So wie die Romantisierung der Idee durch die Westlinke: „Dass Sozialismus prinzipiell funktioniert und die Leute im Osten ihn nur verkackt haben, glaube ich nicht.“
Die Notwendigkeit revolutionärer Gewalt allein beantwortet für Kahane die Frage nach ihrer Legitimität: „Bei der Vergesellschaftung der Produktionsmittel gibt doch niemand seine Fabrik freiwillig her. Es braucht Gewalt. Ist die aber erst einmal installiert, kriegst du sie auch nicht mehr weg, nach allem, was ich weiß von dieser Welt.“ Sozialismus bleibt für Kahane trotzdem eine notwendige Idee: „Wir brauchen sie als Maßstab, um die Distanz zwischen Traum und Realität messen zu können.“
Skandal verpasst
Die kreativitätsfeindliche Realität des sozialistischen deutschen Staates nimmt Kahane als Bestätigung der These. Und doch hat er Filme dort gemacht, ist bis zum Ende dageblieben. „Ich habe damals gehofft, dass es einen wirklich demokratischen Sozialismus geben kann. Daher kam auch die Geduld. Dieses ‚Wir müssen auf eine liberale Phase warten und dann die Chance ergreifen.‘ Das war es, was mich gehalten hat, sonst hätte ich da nicht leben können.“
Und heute? „Was man hat, weiterentwickeln. Demokratie ist doch wie eine zarte Pflanze, um die man sich kümmern muss.“
Eine frühere Premiere der „Architekten“, im Mai 1989 zum Beispiel, hätte sicher mehr Eindruck gemacht, einen Erfolg, mindestens aber einen Skandal erzeugt. Das wusste Kahane schon im taz-Interview zum Film 1990. Die Zeit jedoch lässt sich nicht zurückdrehen. Für einen kleinen illusorischen Moment vielleicht, auf der Suche nach der richtigen Sichtachse am Brandenburger Tor, aber nicht im realen Leben. Peter Kahane scheint es recht zu sein.
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