Regisseur Ang Lee: "Sex ist der ultimative Darstellungsakt"
"Gefahr und Begierde"- der neue Film von Ang Lee spielt im China der 40er Jahre. Der Regisseur über Patriotismus, weibliche Sexualität und Schauspieler, die Wölfe und Mäuse nachahmen
taz: Herr Lee, "Gefahr und Begierde" ist ein historisches Spionagedrama, in dem es um eine junge Frau geht, die im Trubel der Ereignisse beinahe auseinandergerissen wird. Was hat Sie an dieser Verbindung aus Privatem und Historischem fasziniert?
Ang Lee: Sie haben es in Ihrer Frage bereits beantwortet: Eine Figur, die innerlich in Stücke gerissen wird, ist natürlich tolles Filmmaterial. Ich halte Eileen Chang, von der die Geschichte stammt, für die bedeutendste chinesische Gegenwartsautorin. Das Buch ist relativ unbekannt. Sie schrieb es in reiferem Alter. Es geht um China während des Zweiten Weltkriegs, eine Ära, über die zu sprechen verboten ist. Ich glaube, es handelt sich um den ersten Film über diese Zeit. Das Faszinierende aber daran ist, dass es im Grunde um Eileen Chang selbst geht.
Ang Lee, 1954 in Taiwan geboren, lebt seit 1975 in New York. Sein Debüt "Pushing Hands" (1992) eröffnet die "Father knows best"-Trilogie, zu der "Das Hochzeitsbankett" und "Eat Drink Man Woman" (1994) gehören. Darauf folgten u.a. die Adaption von Jane Austens "Sense and Sensibility" und die Comicverfilmung "Hulk" (2003). Für seinen Martial-Arts-Film "Tiger and Dragon" bekam er 2000 seinen ersten Oscar. Das Western-Melodram "Brokeback Mountain" (2005) brachte Ang Lee einen weiteren - außerdem den Goldenen Löwen in Venedig. Diese Auszeichnung erhielt auch "Gefahr und Begierde".
Und Ihre Perspektive ist hochdramatisch?
Ja, es hat mich gefesselt, diesen so ruhmreichen Krieg gegen Japan vom Standpunkt der weiblichen Sexualität her zu untersuchen. Das ist ein Tabu. Es ist eigentlich zum Fürchten. Eileen Chang ist eine mutige Frau. Und es hat mich natürlich besonders gebannt, dass es in dieser Geschichte um Verstellung, um Schauspiel geht. Darum, wie das Schauspiel das eigene Ego affiziert. So etwas muss eigentlich jedem Filmemacher gefallen, aber ich habe lange gezögert, weil ich Angst davor hatte.
Wovor hatten Sie Angst? Vor der weiblichen Sexualität?
Weniger vor der weiblichen Sexualität als davor, wie sie hier mit Patriotismus in Verbindung gebracht wird. Das ist einfach nur verboten. Es ist eine kleine Geschichte, aber sie birgt sehr viel Kraft in sich.
Sie haben gesagt, Schauspiel spielt eine große Rolle. Geht es für Wang Jiazhi, die Hauptfigur, darum, vorzuspielen, dass man liebt?
Ja, und um zu spielen, dass man liebt, muss man sehr viel Glauben investieren - in die Darstellung. Nur so kann Jiazhi überzeugend sein. Allerdings ist die Suche und Verwirklichung dieser Wahrhaftigkeit des Spiels so intensiv, dass daraus Liebe wird.
Die Grenzen lösen sich auf.
Genau. Und je verbotener diese Affäre ist, umso mehr Erregung bringt sie mit sich. Das wird der Auslöser der Liebe. Außerdem ist es für Jiazhi sehr verwirrend, diese Erfahrung innerhalb der größeren politischen Ordnung der Besetzung zu machen. Das Verhältnis von Mann und Frau ist wie ein Echo auf den Besetzer, der besetzt wird. Aber nichts ist offensichtlich. Es ist sehr schwer zu sagen, wer hier die Oberhand behält und wem die aktive Rolle zufällt.
Auf der einen Seite erzählt der Filme eine Genregeschichte: eine Spionin, die sich in ihr Objekt verliebt. Auf der anderen Seite scheint das Genre nur ein Vorwand, um sehr viel tiefer zu gehen.
Ich mag es, ein Genre zu verwenden und es glaubwürdig zu machen. Man muss eben die Konsequenzen tragen. Ich habe das schon bei "Tiger and Dragon" so gemacht. Üblicherweise sieht man in einem Film über Spione, wie sich Feinde töten oder sich verlieben, aber der Sex wird weggelassen. Sie bekommen den killer-thriller, aber es wird nicht erzählt, wie sich das Töten anfühlt. Ich liebe solche Konflikte, die innerhalb unserer psychologischen Welt Sinn ergeben. Und ich schätze es, Tabus und soziale Konventionen aufzubrechen. Man kann das Menschsein erforschen und zugleich sehr unterhaltsam sein.
Geht es für Sie dann darum, den emotionalen Kern einer Geschichte freizulegen?
Die Menschen wollen Dinge verstehen, sonst sind sie frustriert. Moralisten geben uns Regeln, an die wir uns halten sollen; Magier geben uns einen Zauberspruch, auch Filmkritiker stellen bestimmte Leitlinien auf. Aber im wirklichen Leben regiert der Frust. Wir wissen nicht, was als Nächstes kommt. In der Liebe, zum Beispiel, ist alles eher konfus. Deshalb brauchen wir wohl Kunst.
Bemerkenswert ist, dass Jiazhi nie zum Opfer wird. Selbst nach einer Vergewaltigung durch Mr. Yi huscht ihr ein Lächeln über das Gesicht.
Hat Sie das verstört?
Nein, ich fand es sehr irritierend, aber durchaus nachvollziehbar.
Das ist Ironie. Jiazhi ist das Opfer, sie spielt aber auch eine Rolle. Sie ist so aufgeregt. Deswegen musste ich die beiden warten lassen, bis sie sich wieder sehen. Als Studentin in Schanghai ist Jiazhi noch ein Nichts: Es gibt kein Licht in ihrem Gesicht, kein Make-up. Sie ist völlig verloren. Als ihr der Studentenführer dann aber sagt, dass ihr Geschäft noch nicht erledigt ist, beginnt sie zu leuchten - ganz ähnlich wie Schauspieler, die eine Rolle spielen.
Die Sexszenen sind außerordentlich deutlich und werden breit ausgespielt. Man hat den Eindruck, dass sie wie eine Bühne für das Verhältnis der beiden Figuren funktionieren. Wie haben Sie sie konzipiert?
Für mich ist Sex der ultimative Darstellungsakt. Es ist so aufregend wie erschöpfend, das zu drehen. Ich kann nicht sagen, wie ich die Szenen entworfen habe: Etwas hat mich zu ihnen hingezogen, eine eigene Kraft. Mir war ihre Bedeutung nicht von Anfang klar, ich hatte höchstens unbewusst einen Plan. Aber nach und nach wurde mir bewusst, dass man damit sehr viel über die Figuren erzählen kann, weil so viel von ihnen darin zum Ausdruck kommt.
Der Sex hat auch etwas Animalisches. Wollten Sie damit zeigen, wie sich Menschen von sozialen Rollen lösen?
Ich habe Tony Leung gesagt, er soll zwei Tiere imitieren: einen Wolf, denn das ist das Tier, das er über den längsten Zeitraum der Geschichte ist. Ein Jäger, der sich nur über die Sexualität und die ihr innewohnende Brutalität ausdrücken kann. Das andere Tier ist eine Maus. Eileen Chang schreibt in der Geschichte, dass er wie eine solche aussieht. Yi ist nicht einfach nur ein Landesverräter, er hat selbst Angst. Man sieht das schon daran, wie er sich bewegt. Wie er sich umschaut. Ich habe Tony jede Menge Discovery-Channel-Material zum Anschauen gegeben.
Und welches Tier ist Jiazhi?
Sie ist mehr wie eine Katze. In ihrer Art, wie sie mit ihm spielt.
Wie jeder Ihrer Filme ist auch "Gefahr und Begierde" reich an Details. Sind Sie ein Perfektionist, was Ausstattung, Kostüm und all diese historischen Verweise betrifft?
Ich halte sie für sehr wichtig. Man sollte sich anstrengen, so nah wie möglich an eine bestimmte Geschichte und ihre Zeit zu kommen. Bei diesem Film war es eine besondere Herausforderung, weil die Chinesen nicht viel Wert auf Konservierung legen. Jetzt können sie sich ansehen, wie China einmal ausgesehen hat. Aber ich habe sicher Fehler gemacht. Ich esse, schlafe und gehe mit dem Film spazieren. Ich bemühe mich, jeden noch so kleinen Aspekt zu berücksichtigen. Man überlegt sehr lange, welche Elemente auf welche Weise den Zuschauer erreichen.
War es für Sie einfacher die chinesische Vergangenheit zu rekonstruieren als zum Beispiel die Welt einer mittelständischen US-Familie der 70er-Jahre?
Sie sprechen von "The Ice Storm". Amerika, 1976, war mir tatsächlich fern genug, um als Kostümfilm zu funktionieren. Ich habe mich aber bereits bei "Sense and Sensibility" in diese Form verliebt. Wenn etwas bereits geschehen ist, dann kann man es recherchieren und auf die richtige Art wieder auferstehen zu lassen. Es gibt eine Art Konsens in der Erinnerung, wann etwas stimmig ist. Das Bild steht eigentlich immer fest. Ich weiß auch nicht, warum. Womöglich bin ich auch vollkommen auf dem Holzweg. Manchmal fühle ich mich der Gegenwart so enthoben. Ich würde lieber in der Vergangenheit leben. Ich glaube, die Vergangenheit gibt mir mehr Sicherheit, dass ich die Zeit richtig erfasse. Die Gegenwart ist kaum festzuhalten.
Wie würde ein Science-Fiction-Film von Ang Lee aussehen?
Bisher hat mich noch kein Stoff genug fasziniert. Ich würde es gerne mal versuchen. Nein, vergessen Sie das: Ich glaube, ich könnte das gar nicht.
Einmal geht Jiazhi ins Kino. Es läuft ein Film mit Ingrid Bergman. Welcher ist das?
Es handelt sich um "Intermezzo". Ich dachte mir einfach, das sei der Film, den sich jemand wie Jiazhi ansieht. Es war Bergmans erste Rolle, in der sie Englisch sprach. Zuerst wollte ich Hitchcocks "Suspicion" nehmen, der Film war der größte Hit im Schanghai des Jahres 1942. Aber er war mir dann doch zu nahe an diesem Begriff von weiblicher Angst.
"Gefahr und Begierde". Regie: Ang Lee. Mit Tony Leung, Tang Wei u. a. China/USA 2007, 156 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen