Regionale Nachrichtenportale boomen: Blog around the block
Was vor ihrer Haustür passiert, interessiert die meisten Leser. Doch Lokalzeitungen haben oft ein Meinungsmonopol. Regionale Blogs wie "Regensburg Digital" halten sich sich fern vom Klüngel.
REGENSBURG taz | Stefan Aigner drückt schon wieder eine Kippe aus. Der 37-Jährige sitzt in seinem kleinen Altstadtbüro, der Rauch hat die Wände schon etwas gelb gefärbt. Von hier aus schreibt Aigner seit knapp drei Jahren den Blog "Regensburg Digital". In letzter Zeit, sagt er, hat er dafür aber immer weniger Zeit, denn nebenbei muss er auch noch die Pressefreiheit verteidigen.
Aigners Haare sind kurz und an manchen Stellen schon ein bisschen dünn, wenn er sitzt, dann merkt man nicht, wie groß er ist. Vor dem Fenster wirbeln weiße Flöckchen durch die Luft, drei Ecken weiter ragt der Regensburger Dom wie ein graues Gebirge in den Winterhimmel. "Wenn es weiter so schneit, dann gibt es hier ein Problem", sagt Aigner. "Es gibt nicht genügend Salz und jetzt streiten die Politiker, wer daran schuld ist."
Regensburg, die zerstrittene CSU, die schwache Opposition, das Salz - das sind die Themen von Aigners Blog. 100.000 Aufrufe hat die Seite pro Monat - nicht schlecht, schließlich dürften die meisten Themen außerhalb von Regensburg nur wenige interessieren.
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Highlight: die "Ruhrbarone" (www.ruhrbarone.de) aus Bochum. Der Zusammenschluss von freien Journalisten bloggt über Musik und Kultur im Revier, aber auch über Lokalpolitik.
Hyperlokal: Für die "Prenzlauer Berg Nachrichten" (www.prenzlauerberg-nachrichten.de) berichten Hobbyschreiber und Journalisten ausschließlich über das Viertel.
Hansdampf: Hardy Prothmann (www.prothmann.org) betreibt rund um Mannheim vier Blogs mit Nachbarschaftsnachrichten, die er alle über Werbung finanziert.
Handreichung: Eine gute Übersicht bietet www.kiezblogs.de
Viele Nutzer wollen im Netz lieber Neues aus der Nachbarschaft lesen als aus New York oder Nairobi - lokal statt global. In den USA reagieren schon die ersten Verlage auf den Wunsch nach Nähe, in Deutschland dagegen ignorieren die meisten Zeitungshäuser die Entwicklung.
Also helfen sich die Bürger selbst: In vielen Städten und Gemeinden entstehen kleine Blogs. Philipp Schwörbel hat in Berlin zum Beispiel die "Prenzlauer Berg Nachrichten" aufgemacht. Seit Anfang Dezember gibt es das Blog, das sich selbst lieber als Online-Lokalzeitung sieht. Drei freie Journalisten arbeiten für Schwörbel, den Rest der Artikel bekommt er umsonst, von Leuten, die sich engagieren wollen. "Bei uns ist viel Idealismus mit dabei", sagt der 39-Jährige. Sein Ziel: Die Berichterstattung über das Viertel verbessern - und eine Plattform bieten, über die Bewohner miteinander ins Gespräch kommen können.
Darum geht es auch Stefan Aigner. Ein paar Meter von seinem Büro entfernt, nur um die Ecke und dann die verschneite Straße runter, gibt es einen kleinen Kiosk. Er verkauft bunte Magazine und überregionale Tageszeitungen; die einzige lokale Tageszeitung aber, die es dort gibt, ist die Mittelbayerische Zeitung. Solche lokalen Monopole gibt es auch in Augsburg, Leipzig, Heidelberg, Chemnitz oder Göttingen. In Deutschland sind "Einzeitungskreise" keine Ausnahme mehr, sondern eine zunehmende Bedrohung der Pressevielfalt.
Die Mittelbayerische Zeitung ist im Besitz der Familie Esser. Mit der Zeit hat sie die Zeitung immer weiter ausgebaut, vergrößert, verbessert. Die Konkurrenz verschwand, die Leserzahlen stiegen - und damit stieg die Macht. Herausgeber Peter Esser ist auch Vorsitzender der örtlichen Industrie- und Handelskammer.
"Die Berichterstattung ist seitdem wirtschaftslastiger geworden", sagt Irene Salberg, Ver.di-Expertin für den Medienmarkt in der Oberpfalz. "Für Leser ist oft nicht mehr erkennbar, was eine Anzeige ist und was aus der Wirtschaftsredaktion kommt." Ein bekanntes Problem: Im Jahr 2008 sprach der Presserat der Mittelbayerischen wegen Schleichwerbung eine Rüge aus. "Wenn es um Politik geht oder um Immobiliengeschäfte", bestätigt Aigner, "hat die Mittelbayerische eine Beißhemmung." Er selbst kennt so etwas nicht.
Immer heftiger bläst der Blogger den Zigarettenrauch in sein Büro. Die Streitereien, Mauscheleien und der Filz - wenn er über Lokalpolitik spricht, klingt Aigner wie ein Theaterkritiker in einem leidenschaftlichen Verriss. Vorsichtig abwägende Betrachtungen findet man selten in seinem Blog. Dass ein Politiker wegen eines Artikels ein paar Wochen nicht mit ihm redet, ist normal. Aigner ist subjektiv und streitlustig, oft wütet und poltert er in seinen Kommentaren.
Genau deswegen hat er sich mit seinem Blog eine kleine Fangemeinde aufgebaut. 2008 hat er einen Förderverein für Regensburg Digital gegründet, am Anfang hatte er nur elf Mitglieder, heute sind es schon knapp hundert. Sie alle spenden zwischen fünf und 25 Euro pro Monat. Damit begleicht Aigner seine Kosten, außerdem kriegt er so etwas wie eine Aufwandspauschale von dem Verein.
Aigner zieht die Schultern hoch und kämpft sich durch den Schneematsch in der Regensburger Innenstadt. Ein paar Minuten entfernt gibt es einen kleinen Plattenladen: rote Wände, Regale voll mit Musik, von Hard Rock bis Klassik. Jeden Samstag steht Aigner hier hinter der Kasse. Für seinen Lebensunterhalt reicht das Geld vom Verein nicht. "Eigentlich ein ganz cooler Job", sagt er. "Leider sind die interessantesten Termine aber oft genau dann, wenn ich arbeiten muss."
Während andere Lokalblogger versuchen, mit Werbung Geld zu verdienen, setzt Aigner nur ein paar ausgewählte Banner ein: Lieber sechs Tage die Woche arbeiten, als sich von jemandem reinreden lassen.
So viel Unabhängigkeit bringt auch Probleme mit sich: Im Sommer 2008 schrieb Aigner über den Rüstungsfabrikanten Diehl, einen der größten Deutschlands. Die Firma stellt auch das "Smart-155-Geschoss" her. Das Verteidigungsministerium nennt es "Punktzielmunition", Aigner nannte es "Streumunition".
Obwohl andere Medien dieselbe Bezeichnung benutzten, bekam erst mal nur der Blogger Post von den Firmenanwälten. Per einstweiliger Verfügung ließ Diehl die Bezeichnung aus Aigners Blog löschen, kurz danach zitierte man ihn vor Gericht, um eine endgültige Unterlassungserklärung durchzusetzen.
Die Prozesskosten, der Anwalt - Aigner ging das Geld aus. Die Journalistenverbände halfen nicht, und so einigte sich Aigner notgedrungen mit Diehl: Die Waffenfirma zahlte die Gerichtskosten, Aigner löschte die Bezeichnung aus seinem Blog.
Eine Niederlage, sagt er, war es trotzdem nicht: "Ohne den Prozess hätten vielleicht 300 Leute meinen Artikel gelesen. Durch das Medienecho waren es letztendlich aber viel mehr." Im Netz wurde der Prozess heiß diskutiert: "Nur die Mittelbayerische Zeitung, die hat kein Wort darüber geschrieben." Aigner grinst.
Aus dem Prozess hat er etwas gelernt: Dass er zwar keinen großen Verlag im Rücken hat, dafür aber das Internet und seine Leser. Das ist wichtig, denn Aigner muss schon wieder vor Gericht. Die Diözese Regensburg will verhindern, dass er Zahlungen der katholischen Kirche an Missbrauchsopfer weiter als "Schweigegeld" bezeichnet. "Die gehen mit der juristischen Keule gegen jeden vor, der nicht so schreibt, wie es ihnen passt", sagt Aigner.
Gegen eine einstweilige Verfügung hat er Widerspruch eingelegt. Am Dienstag beginnt in Hamburg die Verhandlung. Diesmal hat Aigner vorgesorgt, 10.000 Euro gesammelt.
Selbst wenn er in erster Instanz verliert: "Aufgeben kommt nicht infrage." Eine Familie muss er nicht ernähren, zu verlieren, sagt er, hat er nichts: "Notfalls geh ich in Privatinsolvenz."
In sein Büro hat der Blogger ein großkopiertes Bild von Erich Mühsam gehängt, dem deutschen Publizisten, der in den 20ern und 30ern immer wieder wegen seiner Überzeugungen in Haft kam, bevor er von den Nazis ermordet wurde. Ein richtiger Fan ist er nicht, sagt Aigner, aber es gibt da diesen einen Satz von Mühsam, den er gut findet: "Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen."
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