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Regina Porters RomandebütEine offene Geschichte

Regina Porter lässt in ihrem fulminanten Romandebüt „Die Reisenden“ zwei amerikanische Familien sprechen. Eine ist schwarz, die andere ist weiß.

Regina Porter war bisher als erfolgreiche Stückeschreiberin bekannt, jetzt erschien der erste Roman Foto: Liz Lazarus

Identitätspolitik ist heiß umstritten, und das nicht erst seit vorgestern. Dass es bei Regina Porter in ihrem Romandebüt „Die Reisenden“ um (kulturelle) Identitäten geht, liegt auf der Hand, wenn jemand die Geschichte zweier vielfach miteinander verwobenen Familienclans in den USA erzählt, der eine weiß, der andere schwarz, und dies über einen Zeitraum von gut fünfzig Jahren, bis in die Zeit der ersten Obama-Administration.

Die politics of identity ist dabei allerdings nicht ihr Ansatz. Die zahlreichen Figuren dieses Romans definieren sich nicht vorrangig durch ihre – tatsächliche oder eingebildete – Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, sondern vor allem durch ihre individuellen Obsessionen.

Deshalb erfahren wir die Geschichte des Joyce-Forschers Rufus Vincent ebenso wie die des Navy-Veteranen Eddie Christie, der sich ein halbes Leben lang mit Tom Stoppards Stück „Rosencrantz and Guildenstern are dead“ aus dem Jahr 1966 beschäftigt und es auswendig rezitieren kann.

Seine Tochter Claudia wird später Rufus Vicent heiraten und ihrerseits Shakespeare-Forscherin werden. Eddies Frau Agnes ihrerseits ist Stadtplanerin. Wir haben es aber auch mit einem Möbelpacker, einer ehemaligen Sozialarbeiterin (in Berlin), einer Pilotin, die in Viet­nam im Einsatz ist, einem Fischer, einer Krankenschwester, einer Meeresbiologin und vielen anderen zu tun.

Das Buch

Regina Porter: „Die Reisenden“. Aus dem Amerikanischen von Tanja Handels. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 378 Seiten, 22 Euro

Erfolgreiche Stückeschreiberin

Regina Porter ist in den USA bisher als erfolgreiche Stückeschreiberin in Erscheinung getreten, und ihre Erfahrung im szenischen Schreiben merkt man ihrem Romandebüt deutlich an. Das heißt jedoch nicht, dass die Autorin ihre handwerkliche Erfahrung einfach vom Theater in die Prosa überträgt und dabei ein gut gemachter, inhaltlich spannender und recht unterhaltsamer Roman herauskommt.

Nein, dieses Romandebüt ist wirklich fulminant. Es fordert den sehr aufmerksamen Leser und ist zugleich ein Pageturner, eigentlich ein Widerspruch in sich.

Das liegt zum einen an der amerikanischen Geschichtsschreibung, die Porter anhand ihrer Zweifamilienstory betreibt. Es liegt zum anderen aber auch am enormen Tempo dieses Romans und an seinen hinreißenden Sprachen, denn es sind viele Stimmen, die hier sprechen. Etwa die von Agnes, und von Eloise, die später Fliegen lernt, weil ihr als Kind ein Artikel über Bessie Coleman in die Hände gefallen ist, die in den Zwanzigern die erste Afroamerikanerin mit einem Pilotenschein war.

Als Eloise das Haus von Agnes’ Eltern verlässt, wo sie lange gewohnt und ihre Freundin in die Freuden der lesbischen Liebe eingeführt hat, gibt es folgende rührende Abschiedsszene: Als Eloise sich erhob, um für immer fortzugehen, folgte Agnes ihr bis zur Haustür und fragte, ob Eloise ihr vielleicht den Bessie-Coleman-Zeitungsausschnitt als Andenken dalassen würde. –,Agnes', sagte Eloise, ‚ich würde dieses Haus gern auf freundlichem Fuß verlassen. Aber du kannst mich wirklich und wahrhaftig am schwarzen Arsch lecken.‘

Agnes seufzte und fächelte sich mit einem unsichtbaren Fächer Luft zu. Wäre ihre Mutter nicht da gewesen, hätte sie vielleicht sogar gesäuselt:,Aber Eloise, das habe ich doch längst getan.'“

Erinnerung an Dos Passos „Manhattan Transfer“

Das alles geschieht nicht brav linear, sondern in einem ständigen Wechsel zwischen den Jahrzehnten und den Personen. Man darf sich dabei durchaus an Dos Passos’ „Manhattan Transfer“ und an die Romane William Faulkners erinnert fühlen. Gerade zu Anfang nimmt man gern das „Verzeichnis der handelnden Personen“ im Anhang des Buchs zu Hilfe.

Nach und nach werden die Fäden miteinander verknüpft, und wenn der Leser beim zweiten Mal dem schwarzen Vietnamveteranen Eddie Christie oder dem weißen Joyce-Forscher Rufus Vincent begegnet, werden sie ihm schon wesentlich vertrauter sein.

Vielleicht wird er dann und wann zurückblättern wie in einem alten Fotoalbum, und wie ein Fotoalbum ist Porters Roman organisiert. Deshalb wird er auch von Anfang bis Ende von Fotos begleitet, die Porter zusammengetragen hat, viele davon aus der Sammlung der Library of Congress. Sie machen, nicht als Illustrationen, sondern als integrale Teile des Romans noch einmal dessen Grundstruktur deutlich.

Rassentrennung und Bürgerrechtsbewegung

Auch die einzelnen Kapitel dieses Buchs sind Aufnahmen von früher, die zugleich Vergänglichkeit veranschaulichen und das Faktum, dass, nach William Faulkners berühmten Satz, das Vergangene nicht tot und nicht einmal vergangen ist. Die jüngeren Generationen in diesem Roman, vor allem die aus dem schwarzen Familienclan, wagen zwar nicht, ihre Eltern nach deren Erfahrungen in der Zeit der Rassentrennung und der frühen Bürgerrechtsbewegung zu fragen, dennoch werden diese gleichsam genetisch weitergegeben.

So hat es die Autorin in einem Interview beschrieben, und so muss es auch ihr selbst ergangen sein, denn Regina Porter aus Savannah in Georgia, tiefste Südstaaten also, ist 1966 geboren. Sie war zwei, als Martin Luther King in Memphis ermordet wurde, und noch gar nicht auf der Welt, als die Supremes mit Diana Ross als Leadsängerin ihre ersten Erfolge hatten.

Beide Ereignisse, auf so unterschiedlicher Ebene sie auch gelagert sind, spielen in ihrem Roman wiederholt eine Rolle, und in beiden Fällen erzählt Porter sinnlich und glaubhaft davon und benutzt sie nicht etwa als reines Etikett, mit dem man bestimmte Jahreszahlen bekleben kann. Nur an ganz wenigen Stellen traut sie ihrer eigenen Erzählkunst oder dem Gedächtnis ihrer Leser nicht und erteilt in ein paar Sätzen ein bisschen historischen Nachhilfeunterricht.

Zum Glück der Leser fügt Porter ihren Roman, der vor allem eine Abfolge von aufeinander bezogenen Momentaufnahmen ist, am Ende nicht zu einem runden und sinnstiftenden Ganzen zusammen. Zwar ist das Ende versöhnlich, aber vom friedlichen Happy End ist der Roman weit entfernt.

Die Autorin weiß, dass es sich um eine immer noch fortlaufende und offene Geschichte handelt, die sie erzählt. Das tut sie abseits verkürzter Identitätspolitik und mit Bravour, mit einem ausgeprägten Sinn für Komik und mit einer sprachlichen Vielstimmigkeit, die die Übersetzerin Tanja Handels durchgängig auf gleicher Höhe abbildet.

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