■ NS-Sondergerichte: Regimetreue Richter wachten über die Heimatfront
Seit dem Jahr 1935 nahmen Sondergerichte eine besondere – und zunehmend politische – Stellung in der deutschen Gerichtsbarkeit ein, zu deren „oberstem Gerichtsherr“ sich Hitler 1939 vor dem Reichstag selbst erklärte. Gegen „Volksschädlinge“ gerichtet, stellten Sondergerichte als Pfeiler der NS-Justiz juristische Grundsätze auf den Kopf. So konnte bereits seit 1934 das sogenannte „Heimtückegesetz“ SystemkritikerInnen vors Sondergericht bringen. Es stellte „gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben“, unter die mögliche Höchststrafe: Tod. Auch reichte es nach 1935 aus, dass eine Tat „nach dem Grundgedanken eines Straftatgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdiente“. Damit wurde die Rechtsnorm ausgehebelt, dass eine Tat einen Straftatbestand erfüllen muss, um bestraft werden zu können.
Zu Handlangern dieses neuen Rechtsverständnisses machten sich dabei ausgewählte, ans Sondergericht berufene Richter. Sie zeichneten sich nicht nur durch „politische Verlässlichkeit“ im Sinne der NS-Ideologie aus, sondern meist auch dadurch, dass sie außergewöhnlich hohe Strafen verhängten, gegen die Rechtsmittel nicht zugelassen waren. Lediglich eine Wiederaufnahme des Verfahrens wäre möglich gewesen – sofern das Sondergericht zugestimmt hätte. Verurteilte riskierten damit jedoch eine Verschlimmerung der Strafe. Bei ihren Recherchen stieß die Juristin Gabriele Rohloff auf keinen Fall eines Bremer Richters, der versucht hätte, sich aus der Sondergerichtsbarkeit – möglicherweise unter Vorwänden – wieder zu verabschieden.
Mit Kriegsbeginn 1939 wurden die Sondergerichte – nach einer Rundverfügung des Reichsjustizministeriums – „Standgerichte der inneren Front“, die die „Kraft der deutschen Volksherrschaft“ erhalten sollten. Diebstahl von Lebensmitteln, Plünderung, Fahnenflucht, Wehrkraftzersetzung, verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen, konnten das Todesurteil bedeuten.
Zuständig war das Sondergericht auch, wenn die „erregte Öffentlichkeit“ eine schnelle Aburteilung erwartete. Der in Bremen bekannteste Fall eines Todesurteils des Sondergerichts war der von Walerjan Wrobel – einem zur Zwangsarbeit nach Bremen verschleppten polnischen Jungen. Der 16-Jährige hatte eine Scheune angezündet – in der Hoffnung, wegen dieser Verfehlung nach Hause geschickt zu werden. Stattdessen kam er ins KZ Neuengamme. 1942 wurde er in einem Hamburger Gefängnis enthauptet. Er war einer von 45 Verurteilten, deren Todesurteil vollstreckt wurde. Die Prozessakten des Sondergerichts waren Grundlage einer Veröffentlichung über die NS-Justiz von Hans Wrobel und Henning Maul-Backer. ede
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