Regimekritiker in Äthiopien: „Die schlimmste Zeit meines Lebens“
Die äthiopische Regierung verspricht einen milderen Umgang mit Kritikern. Der Blogger Atnafu Berhane saß dort im Gefängnis und ist skeptisch.
Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass Zehntausende Oppositionspolitiker, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten in Äthiopien inhaftiert sind. Viele werden im Maekelawi verhört, bei der zentralen Polizeistation der Hauptstadt Addis Abeba. „Ich war 2014 dort“, schreibt Berhane in einer E-Mail. „Ich wurde täglich acht Stunden lang verhört, geschlagen, beleidigt, gezwungen schwere körperliche Übungen zu machen und ins Gesicht gespuckt. Ich hatte eine dunkle Zelle, die ich nur zum Verhör verließ. Aber im Vernehmungszimmer sehnte ich mich nach meiner kalten, schmutzigen Zelle.“
Maekelawi macht jedem Äthiopier große Angst. „Vor allem die unterirdischen Zellen, die sind eiskalt und werden von den Gefangenen Sibirien genannt“, schreibt Berhane. Anfang dieses Monats versprach Äthiopiens Premierminister Hailemariam Desalegn, Maekelawi gleichzeitig mit der Freilassung politischer Gefangener in ein Museum zu verwandeln. „Es ist nur ein Gebäude“, meint Berhane dazu. „Wenn andere Gebäude zur Folter benutzt werden, hat das keinen symbolischen Wert.“
IT-Spezialist Berhane ist Mitgründer von „Zone 9“, ein Kollektiv von äthiopischen Bloggern und Menschenrechtsaktivisten. Unter Druck unterschrieb er im Maekelawi ein Geständnis: Er wurde des Terrorismus beschuldigt, worauf lebenslange Freiheitsstrafe oder die Todesstrafe steht. Auf Grundlage seines Geständnisses wurde Berhane verurteilt und verbrachte 18 Monate in einem anderen Gefängnis. Im Jahr 2015 wies ein äthiopischen Bundesgericht alle Anklagen gegen ihn zurück und er wurde freigelassen. „Aber der Staatsanwalt hat Berufung eingelegt, und der Oberste Gerichtshof hat die Anschuldigungen des Terrorismus durch Anstiftung zur Gewalt ersetzt. Ich bin frei, aber immer noch in einen Prozess verwickelt.“
Berhane ist nicht der einzige. Vor allem in den letzten zwei Jahren wurden in Äthiopien Tausende von Menschen inhaftiert und mindestens 900 getötet während der knallharten Niederschlagung von Protesten wegen Landenteignung durch die Regierung. Menschen mussten vielerorts Platz machen für große Wirtschaftsprojekte. Die Regierung ist stolz auf das jährliche Wirtschaftswachstum von 10 Prozent und will diesen Trend fortsetzen, um das Land mit inzwischen 100 Millionen Einwohnern aus der Armut zu heben. Die meisten Proteste gingen von Angehörigen der Volksgruppen der Oromo und Amhara aus, die zwei größten ethnischen Gruppen Äthiopiens, die 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie protestierten nicht nur gegen Landraub, sondern forderten auch mehr Demokratie und Einfluss innerhalb der Regierung. Die mächtigsten Politiker Äthiopiens gehören zur Volksgruppe der Tigray, die nur 6 Prozent der Äthiopier ausmachen.
Lange Geschichte der Repression
Tigray-Rebellen waren der Kern der Guerillakoalition EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopichen Völker), die 1991 die vorherige Militärdiktatur von Mengistu Haile Mariam stürzte und die Macht ergriff. Aus Sicht ihrer Kritiker haben Tigray-Führer seither die Macht in Politik und Wirtschaft monopolisiert. Die EPRDF regiert seit über 26 Jahren, Opposition gibt es nur auf dem Papier. Kritische Stimmen wie Berhane, die die Situation in Äthiopien anders beschreiben als offiziell erwünscht, werden zum Schweigen gebracht.
Äthiopien hat eine lange Geschichte der Repression. Das Maekelawi-Gefängnis wurde während der Regierungszeit des Kaisers Haile Selassie gebaut, als auch Folter stattfand. Das ging unter dem Militärregime, das den Kaiser 1974 absetzte, unvermindert weiter, bis es selbst 1991 gestürzt wurde.
Die Ankündigung des aus einer südäthiopischen Volksgruppe stammenden Premierministers Desalegn vom Jahresanfang, wonach Äthiopien nun alle politischen Gefangenen freilassen werde, ist von der Regierung seither relativiert worden. Anfang dieser Woche hat der Regierungssprecher die Freilassung von 528 Menschen in den nächsten zwei Monaten nach einer Einzelfallprüfung angekündigt, die meisten davon im Süden Äthiopiens. Desalegn sprach in seiner ersten Ankündigung von einem Reformpaket, um „nationale Einheit und demokratische Freiräume herzustellen“.
Aber erst vergangene Woche wurden dreißig Menschen zu 13 bis 15 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie Mitglieder der aus dem Exil geführten Gruppe „Ginbot 7“ sein sollen. Die Regierung bezeichnet die Gruppe als terroristische Organisation. Diese Terminologie hat die Regierung seit der Verabschiedung einer Reihe von Antiterrorgesetzen im Jahr 2011 gegen fast alle Kritiker angewandt.
Trotz dieser widersprüchlichen Signale deutet nichts auf eine Instabilität der Regierung hin. Es scheint eher, dass es innerhalb der Regierung keine Einstimmigkeit darüber gibt, wie man die Proteste bekämpfen kann. Der Blogger Berhane möchte gerne an die Versprechen des Premierministers glauben. Aber wie viele Äthiopier hegt er große Zweifel. Sein Urteil: „Erst sehen, dann glauben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt