Regierungskrise in Frankreich: Von einer Bredouille in die nächste
Nach nur 14 Stunden ist in Frankreich die gerade gebildete Regierung gescheitert. Der Ball liegt wieder bei Präsident Macron. Gute Optionen gibt es für ihn nicht.

Gescheitert ist Lecornus Kurzzeit-Regierung wohl an „Parteiforderungen“, so hatte Lecornu es in seiner Rede am Montag formuliert. Die Konservativen von der Partei Les Républicains hatten sich bereits am Sonntagabend darüber beschwert, nicht genügend Schlüsselposten zu besetzen. Unter den Franzosen wächst der Unmut über eine anscheinend unfähige politische Elite. Und die allermeisten fragen sich: Wie soll das weitergehen?
Die Situation ist denkbar grotesk: Ein Premierminister resigniert nach 28 Tagen vergeblicher Bemühungen. Die von ihm nominierten Minister sind bereits Ex-Minister, bevor eine Amtsübergabe stattfinden konnte.
In den letzten Wochen hatten zynische Humoristen in den Fernseh-Talkshows die heutige Situation vorweggenommen: Braucht es überhaupt eine Regierung, da Frankreich doch auch ohne weiterlebt? Könnte man nicht einfach diese für die Steuerzahler kostspieligen Minister einsparen und die Verwaltungsarbeit den kompetenten Beamten überlassen?
Frankreich tritt auf der Stelle
Natürlich stimmt es nicht, dass Frankreich in den letzten vier Wochen, in denen Lecornu mit den Parteien und den Sozialpartnern um einen Kompromiss gerungen hat, keine Führung und kein Ministerkabinett hatte. Denn die Mitglieder der Regierung von François Bayrou, die vor einem Monat nach einer verlorenen Vertrauensabstimmung zurücktreten mussten, führten die laufenden Geschäfte der Republik weiter. Politische Initiative durften sie jedoch nicht ergreifen. Frankreich trat und tritt nun wieder auf der Stelle.
Die Aussicht auf eine weitere Periode ohne reguläre und handlungsfähige Regierung ist durchaus beunruhigend – gerade weil Frankreich zentralistisch organisiert ist. Paris bleibt das bisher unersetzliche Machtzentrum, das Herz und Hirn des Staatsgebildes.
Solange keine Regierung im Amt ist, bleibt die Macht erst recht in der Hand des Staatspräsidenten. Er kann laut der Verfassung der Fünften Republik von 1958 mit oder ohne Regierung schalten und walten, wie es ihm beliebt.
So viel Macht bedeutet indes auch ebenso viel Verantwortung vor der Bevölkerung. Und die reagiert immer ungehaltener auf Macrons Herrschaft. Der „gewählte Monarch“, wie man den Präsidenten in Frankreich auch nennt, dürfte sich nicht wundern, dass die Bürger der Republik symbolisch seinen Kopf fordern.
Ultima ratio: Macrons Rücktritt
Zunächst ist es nun an Macron, zu sagen, wie er Frankreich aus der Krise zu führen gedenkt. Grundsätzlich kann er noch einen anderen ihm politisch genehmen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragen. Er könnte auch ein von den Parteien unabhängiges Kabinett aus Technokraten einsetzen und dabei hoffen, dass dieses von den zerstrittenen Fraktionen im Parlament nicht blockiert wird.
Es bleiben ihm aber auch zwei radikaler anmutende Mittel: Die Auflösung der Nationalversammlung mit der anschließenden Neuwahl der Abgeordneten. Und schließlich als Ultima Ratio sein eigener Rücktritt.
Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) fordert beides, aus der Gewissheit heraus, dass ihre Partei als Siegerin aus vorgezogenen Wahlen hervorgehen könnte.
Auch Jean-Luc Mélenchon der linken Bewegung La France insoumise (LFI) erneuert jetzt erst recht seinen Appell, Macron abzusetzen. Macron selber hatte im Juni 2024, nach dem für ihn kontraproduktiven Ergebnis der Neuwahl der Abgeordneten, einen Rücktritt völlig ausgeschlossen und erklärt, er werde ungeachtet der politischen Wirren bis zum Ende seiner Amtszeit im Frühling 2027 im Élysée-Palast bleiben.
Der Vertrauensverlust bleibt
Die Frage, wer denn nun in Frankreich regiert, ist von brennender Aktualität, weil das Gesetz dem Parlament ab dem 7. Oktober 70 Tage gibt, um den Staatshaushalt des kommenden Jahres zu verabschieden. Falls dies innerhalb dieser Frist nicht gelingt, wird entweder der noch laufende Haushaltsplan um ein Jahr verlängert oder aber ein vorliegender Entwurf per Erlass vom Präsidenten in Kraft gesetzt. Die staatliche Exekutive hat dank dieser Verfassung immer das letzte Wort – oder eine Abkürzung, um gegebenenfalls das Parlament zu umgehen.
Kann sich Macron mit einem neuen Premier, einem provisorischen Notkabinett oder mit seinen Verfassungsartikeln aus der Bredouille dieser institutionellen Krise herauswinden? Möglicherweise. Doch der Vertrauensverlust in der Bevölkerung bleibt.
Das triste Spektakel einer verpatzten Regierungsbildung mit Parteien, die statt an das Allgemeinwohl nur an ein paar Ministerposten mehr oder weniger oder an mögliche Sitzgewinne bei Neuwahlen denken, fördert die bereits gravierende Diskreditierung der Politik insgesamt.
Dies schafft den Nährboden für populistische Bewegungen und verschärft die sozialen Gegensätze. Sichtbar wurde dies unter anderem bei den Protesten im September. Die Demonstranten trugen ihre Wut über die Sparpläne im Stil der Gelbwesten auf die Straße; ihre Forderungen richteten sie nicht mehr an die staatlichen Institutionen, sondern gleich gänzlich gegen sie: „Bloquons tout!“ („Alles Blockieren!“) lautete ihr Motto. Vorerst ist am Horizont nach der Krise bloß die nächste Krise erkennbar.
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