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Regierungskoalition in Italien geplatztKrise zur Unzeit

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Italia-Viva-Chef Matteo Renzi glaubt, mitten in der Pandemie müsse er Italien auch noch eine Regierungskrise bescheren. Damit hat er sich verzockt.

Stürzt Italien in eine Regierungskrise: Matteo Renzi Foto: dpa

W elcher Teufel reitet Matteo Renzi? Der frühere Ministerpräsident und heutige Chef der Kleinpartei Italia Viva glaubt, ausgerechnet mitten in der Pandemie, mitten in der durch sie ausgelösten tiefen ökonomischen und sozialen Krise müsse er Italien auch noch eine Regierungskrise bescheren.

Italien braucht diese Krise nicht. Unter Ministerpräsident Giuseppe Conte hat die Regierung gerade im Angesicht der Coronapandemie insgesamt einen ordentlichen Job gemacht, hat sie sowohl in der ersten Welle im März als auch in der zweiten Welle von Oktober an insgesamt entschlossen reagiert, hat sie nicht zuletzt in Brüssel die Auflegung des großen europäischen Pakets „Next Generation EU“ erreicht, aus deren Fonds 209 Milliarden Euro nach Italien fließen werden.

Gewiss, wie andere Regierungen in Europa auch hätte sie im Sommer sehr viel mehr tun können, um das Land für die zweite Welle besser aufzustellen, hätte sie im Herbst auch früher zu härteren Maßnahmen schreiten müssen – aber es war und ist ausgerechnet immer wieder Renzis Italia Viva, die sich gegen weitere Einschränkungen in Schule, Wirtschaft, Privatleben sträubte.

Die Bekämpfung der Pandemie könne nicht der einzige Daseinszweck einer Regierung sein, tönte Renzi auf seiner Pressekonferenz, auf der er am Mittwochabend den Koalitionsbruch verkündete. Dann aber kam er zur Sache – besser zu der Person, die ihn wirklich stört: Giuseppe Conte. Der Regierungschef genießt, anders als der unbeliebte Renzi, hohe Popularität, und er durfte sich von seinem Widersacher als „Populist“, ja als kleiner Diktator malen lassen, der „der Demokratie Wunden zugefügt hat“, der „mit einem Dekret nach dem anderen“ regiere.

Conte muss weg – dies ist Renzis eigentliche Botschaft. Dabei hatte er selbst, nach dem Bruch der Koalition zwischen den Fünf Sternen und der rechtspopulistischen Lega (auch sie schon unter Conte), an der Wiege der zweiten Regierung Conte mit ihrer Koalition aus Fünf Sternen, der gemäßigt linken Partito Democratico (PD) und der kleinen radikal linken Liste Liberi e Uguali (LeU) gestanden.

Zeit erkaufen für die eigene Kleinpartei

Renzi wollte sich seinerzeit wohl nur Zeit erkaufen, um die PD, zu der er damals noch gehörte, spalten und seine eigene Partei Italia Viva gründen zu können, ohne dass ihm schnelle Neuwahlen mit einem Sieg des Lega-Chefs Matteo Salvini einen Strich durch die Rechnung machten.

Italia Viva („Lebendiges Italien“) kam dann auch, doch sie erwies sich schnell als Totgeburt, die in den Meinungsumfragen bei 3 Prozent herumkrebst. Den Traum, zum italienischen Macron zu werden, musste Renzi begraben. Schlimmer noch, die PD und die Fünf Sterne arbeiteten gerade in der Pandemie zwar nicht reibungslos, aber insgesamt doch recht gut zusammen – und Renzi stand im Abseits, hatte kaum etwas zu melden, schlimmer noch: wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Wenigstens dies konnte er mit der von ihm losgetretenen Regierungskrise ändern. Doch weder Italien noch seiner Partei wird dieser Schritt, besser: diese Verzweiflungstat viel nützen. Renzi hat vorerst nur erreicht, dass sich die anderen drei Koalitionspartner geeinter denn je hinter Conte scharen, dass sie Renzis Vorgehen als „äußerst gravierend“, als „gegen das Land gerichtet“ brandmarken. Und er darf sich über den Applaus der Rechtsopposition freuen, die unter der Führung der Lega jetzt wieder die Morgenluft schneller Neuwahlen wittert.

Sein Problem aber hat er damit nicht gelöst: Seine Italia Viva wird bei jedweder Lösung – Neuauflage der Koalition, ein Weiterregieren Contes ohne Renzi und stattdessen mit dem Vertrauen neurekrutierter Mitte-Abgeordneter, eine Allparteien-Notstandsregierung oder eben Neuwahlen – weiter marginal bleiben. Nur 13 Prozent der Italiener glauben, Renzi handele im Interesse des Landes, 73 Prozent sehen ihn von persönlichen Interessen gesteuert. Und gerade Neuwahlen würden wohl den politischen Tod seiner Partei bedeuten.

Renzi gilt als Spieler, der gerne hoch pokert. Doch diesmal könnte er sich wohl verzockt haben, genauso wie der andere Matteo, Salvini von der Lega in der Regierungskrise vom August 2019. Anders als Salvini, der einer für 30 Prozent guten Partei vorsteht, könnte Renzi sich da jedoch mit seiner 3-Prozent-Partei auf ein Himmelfahrtskommando begeben haben, dem zuerst er selbst zum Opfer fällt.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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3 Kommentare

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  • " Liberi e Uguali" zumindest der name dieser partei steht für das richtige programm.die deutschen toscana-linken -die nicht die geringste chance haben in der brd an die macht zu kommen sollten in sie investieren-möglicherweise wird sie dereinst das zünglein an der wage sein dass die linke in europa an die macht bringt.

    erinnert euch in elf jahren an diese -auch astrologischer pseudologik zufolge nicht unplausible überlegung

    in italien ist die unzufriedenheit mit der neoliberalen austeritätspolitik gross und die politische landschaft sehr fliessend

    zumindest mit ihrem namen hat diese partei einen anker ausgeworfen-

    • @satgurupseudologos:

      hier noch ein kleiner nachtrag:auf der deutschen wikipediaseite zu dieser partei wird ihr name als "frei und gleich" übersetzt.aber man könnte ihn auch mit "die freien und gleichen " übersetzen denn im italienischen steht der plural

  • Renzi macht den Salvini...