Regierungserklärung: Wowereit schaut in die Zukunft
Mieten dämpfen, Wirtschaft stärken, 75 neue Steuerfahnder, dazu kostenloses W-LAN in der Innenstadt, von Olympia träumen: Das sind die Ziele des Regierenden Bürgermeisters für seine dritte volle Legislatur
Für einen Redner kann es schlimm sein, dauernd unterbrochen zu werden. Noch schlimmer aber ist es, wenn gar keiner mehr dazwischenrufen mag. Klaus Wowereit spricht seit einer halben Stunde, der Regierende Bürgermeister von der SPD ist auf der sechsten, siebten Seite seines Redetextes angekommen - und seine Zuhörerschaft im Abgeordnetenhaus scheint zeitweise nur noch körperlich anwesend. Einen Blick in die Zukunft will Wowereit tun, mit einer Regierungserklärung aufzeigen, was er mit seiner rot-schwarzen Koalition in den nächsten fünf Jahren bewegen will. Überschwänglichen Beifall ruft er dabei noch nicht mal in den eigenen Reihen hervor.
Vielleicht geht das auch nicht, wenn man nicht in Franz-Josef-Strauß-Manier ein Bierzelt in Fahrt bringen kann, sondern im Kern den Inhalt eines fast 100-seitigen Koalitionsvertrags vortragen muss. Oder hat Wowereit den alten Spruch im Kopf, dass ein gutes Pferd nicht höher springt, als es muss? Denn die Grünen, die so gern die Oppositionsführerschaft übernehmen würden, sie können ihn an diesem Donnerstagnachmittag nicht fordern, stellen oder als wirklich ideenlos entlarven. Das Anregendste in der Rede von Fraktionschefin Ramona Pop ist noch, Wowereit vorzuhalten, er - "im Wahlkampf noch in Fahrt wie ein Duracell-Männchen" - sei jetzt "wieder im altbekannten Energiesparmodus".
Die Grünen-Fraktionschefin und später ihr Linkspartei-Kollege Udo Wolf kritisieren fehlende Visionen in Wowereits Politik - "nüscht, gar nüscht" sei da, findet Wolf -, kochen den Sturz des früheren Senators Michael Braun (CDU) noch mal hoch, beschweren sich über zu viele Staatssekretäre. Aber wirklich inspiriert wirkt das nicht. Von einer geschlossenen Opposition ist zudem nichts zu sehen: Nur ganz selten beklatschen Grüne, Linkspartei und Piraten einander.
Da fällt es dem neuen CDU-Fraktionschef Florian Graf nicht schwer, Pop und Wolf zu attackieren: "Sie haben weder inhaltlich noch personell das Format, dieser Regierung einen überzeugenden Gegenentwurf entgegenzustellen." Die Grünen, die Zwist in der noch jungen Koalition bemerkt haben wollen, müssen sich zudem von Graf Spott wegen ihrer eigenen Grabenkämpfe gefallen lassen: "Sie sind in den Wahlkampf gezogen mit dem Slogan ,Eine für alle' und haben dann ,Jeder gegen jeden' gespielt."
Wie sehen sie aber aus, die Visionen oder - aus Sicht der Opposition - Nichtvisionen des Klaus Wowereit? Er sieht Berlin "in der Erfolgsspur", auch wenn es immer noch Nachholbedarf gebe. Er will bezahlbare Mieten, er will innenstadtweit einen kostenfreien drahtlosen Internetzugang, was ihm Lob von der Piratenfraktion einbringt. Er nennt den 3. Juni als geplanten Eröffnungstermin für den Großflughafen Schönefeld "das wichtigste Datum in diesem Jahr" und verlangt mehr Unterstützung dafür: Nach allen Abwägungen müsse man sich auch endlich mal zu dem Projekt bekennen "und darf es nicht immer torpedieren".
Berlin sieht er für weitere große Sportveranstaltungen gerüstet, "vielleicht auch mal Olympia". Und er, der 2001 gegen den als "Kennedy von der Spree" titulierten CDU-Mann Frank Steffel ins Amt kam, er nimmt an diesem Nachmittag selbst eine Anleihe beim "Dont ask …" des früheren US-Präsidenten: Eine moderne Metropole brauche "Menschen, die nicht zuerst fragen, was der Staat für sie tut, sondern erst einmal fragen, was sie für die Gesellschaft tun können".
Wenn da jemand wie später Pop meinen sollte, Innensenator Frank Henkel von der CDU wandele allein auf der Null-Toleranz-Schiene, räumt Wowereit selbst auf: "Bei Gewalt und Kriminalität werden wir nicht wegsehen, sondern mit aller Härte des Rechtsstaates vorgehen."
Im Vordergrund steht für den Regierenden Bürgermeister wenig überraschend die Wirtschaft - das Thema dominiert ja auch den Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU. Was die Opposition nicht als Vision sieht, ist für ihn ein großes Ziel: "Dass Berlin auch ökonomisch wieder ins vorderste Feld rückt." Nicht konkret zu werden, kann ihm keiner vorwerfen - er erzählt auch von 75 neuen Steuerfahndern und Betriebsprüfern, die zu einem ausgeglichenen Landeshaushalt beitragen sollen.
All das trägt Wowereit nüchtern vor. Allein als er auf das geplante Verbot der NPD zu sprechen kommt, wird er lebhafter. Ansonsten ist er nur länger spontan, als er sich über die Piratenfraktion und ihren Abgeordneten Gerwald Claus-Brunner lustig macht, der Wowereits Rede mit meist unverständlichen Zwischenrufen begleitet. "Ist das Netz zusammengebrochen, oder warum sind Sie so munter?", geht noch als zulässige Frotzelei über die Internetnähe der Piratenfraktion durch. Doch zu sticheln, dass "aus einem so großen Körper" nur ein so schwaches Stimmchen komme - Claus-Brunner, bekannt als der Mann mit dem Kopftuch, ist über 1,90 groß und kräftig -, das ist wirklich nicht nett. Es passt auch so wenig zu einem anderen Satz in seiner Rede: "Wir sind alle in der Verpflichtung, immer wieder aufs Neue dafür Sorge zu tragen, dass in Berlin ein Klima der Akzeptanz und des Respekts herrscht."
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