Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel: Chance für Brexit-Abkommen noch da
Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft auch nach Großbritanniens EU-Austritt auf eine enge Partnerschaft. Zudem betont sie die Bedeutung stabiler Haushalte.
Ein solches Abkommen liege „im Interesse unserer Beziehung zu Großbritannien“, im Interesse der Wirtschaft, aber auch „der Menschen in unseren Ländern“, fügte die Kanzlerin hinzu. Leider sei nach wie vor kein Durchbruch in der zentralen Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland gelungen. Hier liege die Tücke „sehr im Detail“. Es gehe nun darum, „auf Grundlage unserer Prinzipien“ und geschlossen an einer „überzeugenden Lösung“ für beide Seiten zu arbeiten.
„Selbstverständlich“ gehöre es auch zur Arbeit der Bundesregierung, sich auf alle Szenarien vorzubereiten – einschließlich der Möglichkeit, dass Großbritannien die EU ohne Abkommen verlasse, sagte Merkel weiter. Die Regierung habe damit begonnen, sich „auch darauf angemessen vorzubereiten“. Die Kanzlerin betonte aber: „Ich wünsche mir, dass Großbritannien auch nach seinem Austritt ein enger und vertrauensvoller Partner Europas bleibt.“
Zuletzt sind die Sorgen hinsichtlich eines Austritts Großbritanniens aus der EU ohne Abkommen gewachsen. Die EU-Staats- und Regierungschefs beraten am Mittwoch bei ihrem Gipfel in Brüssel über die festgefahrenen Brexit-Gespräche. Die Verhandlungen zwischen Brüssel und London waren am Sonntag ausgesetzt worden, nachdem beide Seiten sich erneut nicht auf eine Lösung für die künftige Grenze zwischen Irland und Nordirland einigen konnten.
Krisenfeste Währungsunion
Zudem betonte Merkel angesichts umstrittener Schuldenpläne in Italien die Bedeutung stabiler Haushalte in den Euro-Mitgliedsstaaten. Ohne auf den umstrittenen Haushaltsentwurf der italienische Regierung direkt einzugehen, sagte sie, nationale Politik könne wegen der engen Verflechtung immer auch Auswirkungen auf die anderen Euro-Mitgliedsstaaten haben.
„Stabile Haushalte sind eine wichtige Voraussetzung für eine gute wirtschaftliche Entwicklung in jedem Land. Solide öffentliche Finanzen sind aber auch Voraussetzung für Vertrauen in die Währungsunion.“ Der Etatentwurf der italienischen Regierung hatte wegen höherer Schulden in der EU Kritik und an den Finanzmärkten Nervosität ausgelöst.
Merkel sagte in ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel, in der Währungsunion bleibe jeder Mitgliedsstaat zunächst selbst für seine Wirtschafts- und Haushaltspolitik verantwortlich. „Jeder Staat des Euroraums steht in der Pflicht, für Stabilität zu sorgen und notwendige Reformen für seine Wettbewerbsfähigkeit zu ergreifen, und das gilt gerade in wirtschaftlich guten Zeiten.“
Es gehe darum, die Währungsunion krisenfester zu machen. „In bewegten Zeiten wie diese können wir froh sein, eine gemeinsame Währung in Europa zu haben, den Euro.“ Am Ende müsse bei den Reformen aber das Gesamtpaket stimmen, nur dann könne Deutschland zustimmen. Verantwortung und Solidarität sowie Haftung und Kontrolle seien zwei Seiten einer selben Medaille.
Kampf gegen Schleuser
Auch das Thema Migration wird beim EU-Gipfel auf der Tagesordnung stehen. Eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa bleibt nach den Worten von Merkel „ein ungelöstes Thema“. Man dürfe dazu keine falschen Erwartungen schüren, erklärte sie. Diskutiert werden solle hingegen die Verstärkung der europäischen Grenz- und Küstenwache Frontex, auch hier seien die Vorstellungen der Mitgliedstaaten aber noch sehr unterschiedlich.
Laut Merkel soll es beim Tagesordnungspunkt Migration um den Außengrenzenschutz, den Kampf gegen Schleuser und Rückführungen gehen. Die EU wolle zudem die Zusammenarbeit mit Staaten außerhalb Europas vertiefen.
Sie habe in den vergangenen Monaten bei Bürgerdialogen mit vielen Menschen über Europa diskutiert, sagte Merkel. Dabei sei deutlich geworden, dass viele Bürger „in ihrer großen Mehrzahl bei Flucht und Migration nicht auf nationale Alleingänge, sondern auf europäische Lösungen“ setzten.
Bedrohungen durch Cyberangriffe
Für den gemeinsamen Kampf der EU-Staaten gegen Netzkriminalität will Merkel die nationale Zuständigkeit für operative Einsätze erhalten. „Deutschland unterstützt ein stärkeres gemeinsames Vorgehen, ist allerdings skeptisch, wenn es um operationelle Tätigkeiten solcher Agenturen geht, weil es sehr schnell passieren könnte, dass nationale Aktionen und europäische Aktionen nicht gut koordiniert werden“, sagte sie während der Regierungserklärung.
Um auf die wachsende Bedrohungen durch Cyberangriffe zu reagieren, hatte die EU-Kommission im vergangenen Jahr unter anderem vorgeschlagen, die Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit zur einer Agentur für Cybersicherheit auszubauen. Dies wird unter den EU-Staaten derzeit diskutiert.
Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zeigten, dass demokratische Willensäußerungen „durch gezielte Desinformationskampagnen, Cyberangriffe oder Datenmissbrauch allzu leicht verfälscht werden können“, sagte Merkel.
Auch mit Blick auf die Europawahl im kommenden Jahr arbeite die EU daran, etwa den Missbrauch persönlicher Daten aus sozialen Netzwerken im Wahlkampf zu verhindern, und an Leitlinien für Parteien, die in ihren Kampagnen „aktiv Desinformation“ betrieben.
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