Regierungsbildung in Berlin: Machtkampf auf offener Bühne
Hat Rot-Grün-Rot noch eine Chance? Am Montag beginnt die Berliner SPD die Sondierungen für eine Ampel und ein Bündnis mit Grünen und Linken.
Tut er aber nicht. Über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen lässt die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey ihren Landesvorstand abstimmen. Dort hat sie eine komfortable Mehrheit. Und auch bei der Frage der Absegnung eines Koalitionsvertrages versucht Giffey die Front zu ihren Gunsten zu verschieben. Zusätzlich zu einem Landesparteitag, der bereits für den 18. Dezember anberaumt ist, hat sie eine Mitgliederbefragung ins Spiel gebracht. Von den einfachen Mitgliedern erhofft sie sich mehr Unterstützung als von den Delegierten eines Parteitags. So richtig warm geworden ist Giffey mit ihrer Partei auch knapp ein Jahr nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden nicht.
Die Grünen sind bei diesem Machtkampf vorerst nur Zaungast. Als ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch am Freitag vor der Grünen-Zentrale in der Kommandantenstraße vor die Presse trat, war sie sichtlich enttäuscht. „Wir präferieren weiterhin ein Bündnis mit SPD und Linken“, betonte sie. Das Angebot zu Sondierungen mit der FDP nehme man aber an. Noch immer haben die Grünen die Hoffnung nicht aufgegeben, dass am Ende der parallelen Dreiersondierungen ein rot-grün-rotes Bündnis steht.
Giffey will die Ampel
Einen ersten Termin hat Franziska Giffey schon verstreichen lassen. Auf einer Landesdelegiertenkonferenz der Jusos im Hotel Estrel hätte sie am Samstag die Reaktionen für ihre Ampelpläne abholen können. Doch Giffey, die ihr Erscheinen zunächst zugesagt hatte, sagte kurzfristig ab. Angeblich wegen der Vorbereitungen für die Sondierungen am Montag und Dienstag.
Am Montag wird Giffey mit ihrer vierköpfigen Begleitung zunächst mit Grünen und FDP sondieren. Am Dienstag sind dann Grüne und Linke an der Reihe. Weitere Sondierungstermine sind zunächst nicht geplant. Auch nicht, wann mögliche Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen.
Während der SPD für diese Entscheidung der Landesvorstand genügt, haben die Grünen für Mitte kommender Woche bereits einen Kleinen Parteitag einberufen. (wera)
Doch das ist am Freitag unwahrscheinlicher geworden. Denn Franziska Giffey hat nach der Sitzung des Geschäftsführenden Landesvorstands ihrer SPD die Katze aus dem Sack gelassen. „Die Präferenz liegt auf dem Ampel-Bündnis“, twitterte die Berliner SPD-Chefin am Freitag kurz nach 18 Uhr. Eine halbe Stunde zuvor war sie in der SPD-Zentrale in der Müllerstraße vor die Presse getreten und hatte erklärt, dass es zwei weitere Sondierungsrunden in Berlin geben werde – und zwar zu dritt. Am Montag lädt die SPD Grüne und FDP zu Gesprächen ein, am Dienstag Grüne und Linke.
Parallel dazu hat Giffey bereits die 19.000 Parteimitglieder auf ihre Linie einzuschwören versucht. In einer Rundmail, die der taz vorliegt, heißt es: „Die zwei großen Herausforderungen unserer Zeit müssen wir meistern: Wir müssen den dringend notwendigen Neubau von bezahlbarem Wohnraum vorantreiben und den Neustart für die Berliner Wirtschaft, die ganz besonders unter der Corona-Pandemie gelitten hat, ermöglichen.“ Und weiter: „In den weiteren Gesprächen wollen wir ausloten, mit welchen Partnerinnen wir dies gemeinsam erreichen können, und zu einer pragmatischen, bürgernahen und lösungsorientierten Politik für unsere Stadt kommen.“
So schrumpft das Wahlprogramm der SPD, ohnehin maßgeblich von Giffey initiiert, auf zwei Punkte zusammen: Bauen, bauen, bauen sowie die Wirtschaft stärken. Deutlicher hätte eine Einladung an die FDP nicht ausfallen können.
Rebelliert die Partei?
Hat Rot-Grün-Rot damit überhaupt noch eine Chance? Diese Frage ist fast gleichbedeutend mit der, wie stark die Kräfte in der SPD sind, eine Ampel noch zu verhindern.
Einen ersten Hinweis darauf hat der Kreisvorsitzende der SPD in Tempelhof-Schöneberg, Lars Rauchfuß, gegeben. Auf Facebook schrieb er: „Die Frage ist, was an einer Koalition mit der FDP in der Sache besser ist als bei R2G. Darauf muss es doch eine Antwort geben können, wenn man wegen der FDP das Bündnis mit der größten Mehrheit verlassen will. Ich kenne bisher keine.“
Tatsächlich hätte eine Ampel im Abgeordnetenhaus nur sechs Stimmen mehr als die erforderliche Mehrheit. Eine Deutschland-Koalition aus SPD, CDU und FDP hätte sogar nur eine Mehrheit von vier Sitzen. Rot-Grün-Rot dagegen käme auf eine satte Mehrheit von 18 Abgeordneten.
Stellt man dann noch in Rechnung, dass Fraktionschef Raed Saleh bei seiner Wiederwahl als Fraktionsvorsitzender drei Gegenstimmen bekommen hat, würde die Mehrheit für eine Ampel auf drei, die einer Deutschland-Koalition auf eine Stimme schrumpfen. Denn die Gegenstimmen für Saleh werden in der SPD auch als Gegenstimmen für Franziska Giffey gewertet.
Gerade aber in einer Konstellation, die Giffey gegen den Willen von sechs Kreisverbänden durchboxt, ist die Frage der Mehrheiten entscheidender denn je. Denn der Machtkampf, der gerade auf offener Bühne ausgefochten wird, kann gut und gerne die nächsten fünf Jahre andauern.
Der Trumpf der Grünen
Während die Linken derzeit nur abwarten können, ob und wie dieses Kräftemessen in der SPD ausgeht, haben die Grünen noch einen letzten Trumpf. Sie könnten sich – aktiv oder passiv – einer Ampel verweigern. Aktiv, indem sie sagen, wir stehen für ein Bündnis mit einer neoliberalen Partei nicht zur Verfügung, da es, anders als im Bund, eine für uns überzeugende Alternative gibt. Passiv, indem sie nach den parallelen Dreiersondierungen bei ihrer Präferenz bleiben. Dann stünde, eine Woche nach dem Freitag, die Landespolitik wieder vor dem gleichen Ergebnis. Die SPD will die Ampel, die Grünen wollen Rot-Grün-Rot.
Eine aktive Verweigerung hat Grünen-Frontfrau Jarasch am Freitag ausgeschlossen. Sollten die Grünen der SPD zu verstehen geben, dass sie für eine Ampel nicht zur Verfügung stehen, „hätten wir es nicht mehr in der Hand“, sagte Jarasch. Dann könnte Giffey ihre Basis auf eine Deutschland-Koalition einschwören. Nach dem Motto: Die Grünen haben uns dazu gezwungen.
Doch das wäre auch für Giffey eine riskante Volte. Mit ihrer Festlegung auf die Ampel hat sie indirekt ein Bündnis mit CDU und FDP ausgeschlossen, obwohl ihr viele nachsagen, dass sie in dieser Konstellation viel lieber regiert hätte. So gesehen ist ihr Eintreten für die Ampel auch ein erstes Zugeständnis an die rebellierende eigene Partei.
Stellte sie diese aber nun vor die Frage Rot-Grün-Rot oder Rot-Schwarz-Gelb, ist nicht mehr sicher, ob ihr die Partei folgt. Vor allem nicht bei dieser knappen Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Ein Sozialdemokrat sagte dazu der taz: „Bei einer Deutschlandkoalition hätten wir jeden Tag Mietendemo in Berlin.“
FDP und CDU not amused
Ohnehin muss Giffey aufpassen, dass sie ihre Partner in spe nicht vergrätzt. Die Berliner FDP jedenfalls war alles andere als erfreut über die Avancen, die ihr Giffey gemacht hatte. „Von dem von der SPD Berlin vorgeschlagenen Weg der doppelten Dreier-Sondierung sind wir überrascht“, teilten FDP-Parteichef Christoph Meyer und FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja am Freitagabend mit. „Parallele Sondierungen sind ein wenig wertschätzender Zustand für alle Verhandlungspartner, der nicht von Dauer sein darf.“ Die Einladung zum Sondierungsgespräch am Montag sagten die FDP-Politiker zu.
Die CDU, der die SPD zunächst eine kalte Schulter zeigt, war ebenso verärgert. „In Berlin ist wohl Weiter-so oder Weiter-so-light angesagt“, erklärte CDU-Chef Kai Wegner. „Weder mit der Ampel noch mit Rot-Grün-Rot wird es einen Neustart für Berlin geben.“
Und die Linke? Ist derzeit nur Beobachterin. „Wir werden heute in unseren Gremien beraten, wir wir mit dieser Situation umgehen“, twitterte Parteichefin Katina Schubert am Freitag.
Ob der Machtkampf am Dienstag entschieden ist? Weitere Extrarunden sind bisher nicht geplant. Aber das muss nichts heißen in diesen Tagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich