Regatta der Hightech-Yachten: Milliardäre lassen Segler fliegen
Das britische Boot fordert Titelverteidiger Neuseeland beim America's Cup heraus. Der Pokal könnte nach 173 Jahren erstmals ans Königreich gehen.
Lange war der Kampf zwischen Team Britannia mit den Ko-Steuerleuten Ben Ainslie (47) und Dylan Fletcher (36) und dem Team Luna Rossa mit Jimmy Spithill (45) und Francesco Bruni (51) so ausgeglichen wie selten in der 173-jährigen Geschichte des ältesten Sportwettbewerbs der Welt. Immer wenn es so aussah, als hätten die Briten auf den Booten vom Typ AC75 endgültig die Nase vorn, konnte Italien doch wieder ausgleichen.
So etwa am Dienstag. Da rasten die beiden Boote im siebten Rennen mit nur einer Sekunde Abstand durch das Luv-Tor. Bei diesem Wechsel vom Amwindkurs- auf einen Raumkurs können die Rennmaschinen auf ihren Tragflächen, den Foils, mit denen sie mit bis zu knapp dreifacher Windgeschwindigkeit übers Wasser fliegen, auf über 50 Knoten (bis 100 km/h) beschleunigen. Unklar, ob wegen eines technischen Versagens oder eines Steuerfehlers, kippte Luna Rossa plötzlich vornüber von den Foils. Der Bug bohrte sich in die See. So ein Nosedive bremst das Boot abrupt und belastet Rumpf und Mast mit seinen zwei Segeln von insgesamt 245 Quadratmetern extrem.
Luna Rossa musste aufgrund sichtbarer Schäden an Deck, die sich erst später als oberflächlich herausstellten, das Rennen aufgeben. Es war schon das dritte Mal, dass die Italiener wegen Bruchs vorübergehend ins Hintertreffen gerieten. Doch gelang es ihnen jedes Mal, das Boot rechtzeitig zum nächsten Start wieder fit zu machen. Wieder konnte Italien ausgleichen: zum 4:4. Die Briten waren bei einem Vorstartmanöver über die Kursbegrenzung gerutscht und mussten zur Strafe 75 Meter hinter den Italienern starten. Diese konnten sie dann nicht aufholen.
Ende der Pattsituation
Am Mittwoch aber siegte das von Sir Ben („Big Ben“) Ainslie geführte britische Team, dem mit vier Goldmedaillen erfolgreichsten Olvmpiasegler, zwei Mal. Beim neunten Rennen hatten die Italiener in Erwartung von mehr Wind zunächst ein zu kleines Vorsegel gewählt. Mit dem konnte ihr 23-Meter-Boot nicht voll mithalten. Und beim zehnten Rennen setzten sich die Briten am Start durch und ließen die Italiener nicht mehr vorbei. „Diese Pattsituation war jeden Tag frustrierend. Umso schöner ist es, diese nun durchbrochen zu haben“, sagte Ko-Steuermann Fletcher erleichtert. Jetzt steht fest, dass er um den America's Cup segeln darf.
Hält sich beim America’s Cup ein Boot das ganze Rennen über auf den Foils, die es aus dem Wasser hebend darüber fliegen lassen, und unterlaufen dem Team bei den kaum drehenden Winden keine Fehler, hat ein Verfolger keine Chancen, am führenden Boot vorbeizukommen. Diese sogenannten Match Races, also Duellsegeln von zwei Booten, sorgen im Idealfall für permanente Zweikämpfe und so für Spannung.
Doch bei den superschnellen AC75, einer Art Formel 1 des Segelns, ist mit dem Start oft schon alles entschieden. Anders als bei langsameren Bootsklassen gibt es im Verlauf nicht die sonst übliche Umkehr windtaktischer Vorteile beim Wechsel vom Kreuz- zum Vorwindkurs und damit vom Führenden zum Verfolger.
Die Spannung bei der jetzt 37. Auflage des America’s Cups ergibt sich deshalb bisher vor allem daraus, dass die zwei Finalisten zur Bestimmung des Herausforderers bis zum achten Rennen extrem ebenbürtig waren. Die Rennen ähneln stellenweise einem Luftkampf. Dies war bei den vorangegangenen Ausscheidungswettfahrten, bei denen erst die Franzosen, dann die Schweizer und schließlich die Amerikaner ausschieden, längst nicht so. Ihre Schwächen gegenüber den Briten und Italienern waren unübersehbar.
Britische Ambitionen
Merklich gesteigert gegenüber den letzten Ausscheidungsrennen 2021 haben sich die Briten. Damals unterlagen sie vor Auckland Luna Rossa noch mit 1:7, bevor die Italiener gegen die neuseeländischen Titelverteidiger mit 3:7 verloren. Zwar werden die Rennen jetzt auch wieder auf dem erst 2021 eingeführten Bootstyp AC75 gesegelt. Der wurde aber weiterentwickelt. So wird jetzt mit acht statt elf Mann gesegelt. Zudem konnte das Gewicht um rund 900 Kilo verringert werden. So können sich die Boote früher und länger aus dem Wasser in den Flugmodus heben.
Gespart wurde an Muskelprotzen, also den kurbelnden Männern. Diese modernen Galeerensklaven bauen permanent auf einer Art Hometrainer strampelnd Druck im Hydrauliksystem auf. Damit werden Segel, Tragflächen und das Höhenleitwerk am Ruder eingestellt. Weil Beine mehr Kraft als Arme haben, holte Neuseeland als erstes Radrennfahrer an Bord.
Zuletzt wurden diese zum Teil durch schwerere Rennruderer ersetzt, die mehr Kilo Gewicht pro Watt Leistung auf die Waage bringen und besser zum vorgeschriebenen Gesamtmannschaftsgewicht von 680 bis 700 Kilo passen. Die heute vier Radfahrer an Boot bringen die gleiche Leistung wie die einst acht mit den Armen kurbelnden Segler. In einem Schacht gebückt treten sie, ohne Windwiderstand zu bieten, keuchend in die Pedalen.
Da bei den AC75 das Großsegel aus aerodynamischen Gründen auf Deck aufliegt und der Steuermann weder schnell die Seite wechseln kann noch einen freien Blick hat, gibt es jetzt beidseitig Steuermänner, die sich je Richtung abwechseln. Die Stars Ainslie und Spithill sitzen jeweils an Steuerbord, weil der entscheidende Start aus Vorfahrtsgründen in der Regel auf Steuerbordschlag erfolgt. Die beiden hatten 2013 in San Francisco schon gemeinsam gewonnen. Damals lag das von Spithill gesteuerte US-Team schon mit 1:8 hinter Neuseeland zurück, bis er Ainslie als Taktiker an Bord holte. Sie gewannen dann in einer der wohl spektakulärsten Aufholjagden der Sportgeschichte den America’s Cup noch mit 9:8.
Seglerische Schwerstarbeit
Die Bordkommunikation per Sprechfunk wird live übertragen. Die Steuerleute eines Teams müssen sich blind vertrauen und mit wenigen Worten über Taktik und Manöver verständigen, sie arbeitsteilig umsetzen und in Millisekunden Entscheidungen fällen. Sie haben jeweils eine Person als Trimmer auf ihrer Seite. Dieser Flightcontroller klappt die krakenarmigen Foils ein und aus und stellt die Segel ein. Alles per Knopfdruck aufs Hydrauliksystem, das die vier Radfahrer – zwei auf jeder Seite – mit Druck speisen.
„Was die Leute vielleicht nicht sehen, ist, wie unglaublich schwer die Boote zu segeln sind, sagte Steuermann Fletcher dem Portal Yacht.de. Um diese Boliden sicher segeln zu können, trägt die Crew Helme, Schutzbrillen, Schwimmwesten, Messer zum Freischneiden bei Kenterung und kleine Sauerstoffflaschen zur Notbeatmung unter Wasser. Ewig wird an Simulatoren geübt.
An der Konstruktion der Boote, die alles Unikate sind und nur wenige vorgeschriebene Maße gemeinsam haben, sind Dutzende Experten beteiligt, teilweise aus der Formel 1 oder dem Flugzeugbau. Der America’s Cup bringt immer wieder Innovationen in den Segelsport, zuletzt etwa Membransegel, Foiltechniken und den Kohlefasereinsatz.
Teure Milliardärsspiezeuge
Unter 100 Millionen Euro gibt es bei diesem High-Tech-Spektakel heute keine erfolgversprechende Kampagne. Zwar hatte Neuseeland sein imageförderndes Team auch mal aus der Staatskasse subventioniert. Doch war und ist der America’s Cup schon immer eine Spielwiese eitler Superreicher. So versuchte von 1899 bis 1930 der britische Tee-Baron Sir Thomas Lipton fünfmal vergeblich, den Cup für England zu gewinnen. Zum Trost bekam er einen Pokal als erfolgreichster Nichtsieger.
Heute steht hinter Luna Rossa der Modezar Ernesto Bertelli, Chef von Prada. Der Milliardär versucht seit 1997 den Cup nach Italien zu holen. Sein Team kam immerhin mehrfach ins Finale. Geldgeber des britischen Teams ist der noch reichere James Ratcliffe mit seinem Chemiekonzern Ineos. Ihm gehören Fußballklubs in mehreren Ländern und eine Beteiligung an Manchester United.
Auch finanziert er einen Radrennstall und ein Rugbyteam. Ratcliffe greift zum zweiten Mal nach der „bodenlosen Kanne“, wie der Pokal abfällig genannt wird. Für Skipper Ainslie ist der Sieg eine nationale Aufgabe, auch weil der Pokal ursprünglich aus England stammt, aber noch nie von dieser Seefahrernation gewonnen wurde. „Das ist für uns eine unendliche Motivation“, so Ainslie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend