Refugee-Karawane Tagebuch (4): Den „Sommer der Migration“ feiern
2015 nahmen Menschen auf dem „Marsch der Hoffnung“ ihr Schicksal in die Hände. Mit einer Tour durch Ostdeutschland tun Geflüchtete es ihnen nun gleich.
Der dritte Tag der Karawane beginnt sehr kalt und regnerisch, ich und alle anderen würden gerne noch ein bisschen länger im Bett bleiben an diesem Montagmorgen – aber das geht nicht. Ein Team hat das Frühstück vorbereitet, ich nehme mir Eier, Humus und eine Tasse Tee. Nach dem Frühstück ein Plenum, dann endet unsere Zeit in Thüringen.
Vom 20. bis zum 27. September 2025 ist die „Karawane für Bewegungsfreiheit“ des antirassistischen Netzwerks „We’ll come United“ von Thüringen nach Berlin unterwegs. Mit Aktionen vor Lagern und Abschiebeknästen wollen sie gegen die zunehmenden Einschränkungen für Geflüchtete protestieren. Die Karawane endet mit einer Parade in Berlin. Sie ist Teil der europäisch-afrikanischen Aktionskette Transborder Chain of Action zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“ 2015. Für die taz schreibt Muna Abdi ein Tagebuch von der Karawane.
Weiteres zu dem Thema auch auf unserem taz.de-Schwerpunkt zum Flüchtlingssommer.
Alle packen ihre Taschen, Computer, Schlafsäcke zusammen und steigen in die Autos. Drei Stunden dauert die Fahrt nach Dresden. Dort ist es noch kühler als in Thüringen, es regnet auch. Lokale Aktivist:innen heißen uns willkommen. Ab jetzt sind wir in Sachsen.
Im Montagscafé in der Neustadt begrüßt uns Pius. Er spricht von einer „Karawane der Hoffnung, des Kampfes und der Solidarität“. Darin hätten wir uns zusammengeschlossen, um gleiche Rechte und Bewegungsfreiheit zu verteidigen – und das mache uns stark, sagt er.
Hagen von Welcome United erinnert an den Marsch der Hoffnung im Jahr 2015, den langen Kampf entlang der Balkanroute. In der Nacht auf den 4. September 2015 beschloss eine Gruppe von über tausend Menschen, hauptsächlich aus Syrien, mutig ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ihnen war versprochen worden, dass sie in Deutschland willkommen seien. Aber Ungarn unternahm nichts, um sie nach Wien zu bringen.
Sie wollten nicht länger warten. Also machten sie sich zu Fuß auf den Weg von Budapest nach Wien. Hagen nennt 2015 einen historischen Durchbruch gegen das Grenzregime. „Die Karawane feiert das 10-jährige Jubiläum dieses kraftvollen Kampfes“, sagte er.
Ein kurzes Video fasst die Ereignisse damals zusammen. Es wird still. Die ersten Minuten zeigen die traurige Geschichte von Flüchtlingen, die vor den Kriegen in Syrien geflohen waren, aber die letzten Minuten des Videos sorgten für eine fröhliche Stimmung. Man sieht, wie die Flüchtlinge sich auf den Weg zur Grenze machen und schließlich in Deutschland ankommen, herzlich am Münchner Hauptbahnhof empfangen werden.
Die 28-Jährige stammt aus Hargeysa, der Hauptstadt von Somaliland. Sie hat dort Journalismus, Massenkommunikation und Öffentliche Verwaltung studiert. Nach sieben Jahren Berufstätigkeit in Somalia kam sie 2024 als Asylsuchende nach Deutschland. Für die taz schreibt sie bis zum 27. September ein tägliches Tagebuch von der Karawane für Bewegungsfreiheit.
Ich betrete die Bühne, erinnere an die Geschichten der Karawane, berichte von unseren bisherigen Stationen, unseren Forderungen. Alle hören aufmerksam zu. Ich sehe, wie einige die Hände an ihre Wangen legen. Ihre Gesichter zeigen, dass ihnen die Schwierigkeiten der Flüchtlinge nahe gehen.
Auch andere Gruppen aus Dresden sind gekommen. Lisa von der Unterstützungsgruppe für Inhaftierte spricht über die schwierigen Bedingungen in der Dresdener Abschiebehaft. „Wir unterstützen die Inhaftierten seit mehreren Jahren, besuchen sie und bieten ihnen rechtliche und psychologische Beratung an“, sagte sie.
Die Bühne ist nun offen, jeder darf das Mikrofon ergreifen.
Farouk berichtet davon, wie die Bewohner des Lagers Hermsdorf, in dem 700 Menschen in einer großen Halle ohne Trennwände und Privatsphäre lebten, sich zusammenschlossen. „Die Lebensbedingungen im Lager Hermsdorf waren schwierig“, sagt Farouk. Sieben Monate lang traf sich eine Gruppe von Bewohnern des Lagers. Aktivist:innen von Welcome United motivierten ihn, eine Demonstration zu organisieren. Er organisiert seine Freunde im Lager, sie gehen in Erfurt auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen.
Danach wird Farouk von der Lagerleitung bedroht. Ihm wird mitgeteilt, dass er im Lager bleiben und nicht verlegt werden würde. Er organisierte eine zweite Demonstration – die schließlich zur Schließung des Lagers führte.
Gestern schloss sich eine neue Person unserer Karawane an: Hamza, ein kurdischer Aktivist und Schriftsteller. Er berichtet uns davon, wie er in diesem Sommer 70 Tage lang in Dresden inhaftiert war. Er trat für mehr als 30 Tage in den Hungerstreik. Dann wurde er aus der Haft entlassen. Jetzt ist er bei uns und wir werden gemeinsam weiterziehen.
Das Tagebuch wird fortgesetzt..
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