Reformjude und Mäzen: Salomon Heine: „Geld geben machte ihm Spaß“
Er war Reformjude und Mäzen: Der Hamburger Bankier Salomon Heine unterstützte auch seinen Neffen Heinrich Heine und die Stadt. Die würdigt ihn kaum
Nur das Gartenhäuschen blieb. Das unscheinbare, hinter Büschen versteckte Häuschen an Hamburgs Elbchaussee ist die einzig erhaltene Immobilie des Bankiers, Mäzens und Reformjuden Salomon Heine, der am 19. Oktober 1767, vor 250 Jahren, geboren wurde. Ein Unbedarfter wird das Gebäude mit dem lindgrünen, ovalen Gartensaal, den sich Heine als Refugium ins Gärtnerwohnhaus mauern ließ, kaum finden: Erst wenn man direkt vor der Tür steht, sieht man das Denkmalschutz-Emblem und die Erklärungstafel.
Dabei hätte man im umgebenden Heine-Park gut ein, zwei Wegweiser aufstellen und außerdem mitteilen können, dass auf dem kleinen Plateau gegenüber bis 1880 die zugehörige Villa stand, in der Heine rauschende Feste feierte. Besonders im Sommer, wenn die Familie dort wohnte wie so viele jüdische Kaufleute und Bankiers, weil sie im damals dänischen Altona – anders als in Hamburg – Grundbesitz erwerben konnten.
Denn in Altona genossen Juden schon seit 1641 weitgehende Bürgerrechte, in Hamburg erst 1861. Bis dato konnten Juden dort nur über Strohmänner Grundbesitz erwerben. Auch Salomon Heine hatte sein Wohn- und Bankhaus am Jungfernstieg auf diesem Weg gekauft, um im Stadtzentrum seinen Geschäften nachzugehen.
Und die liefen gut für den liberalen, mit Menschen vieler Nationen und Konfessionen verkehrenden Salomon Heine. Schnell hatte er sich vom Banklehrling zum Teilhaber und Bankbesitzer hochgearbeitet, unterstützt von der wohlhabenden Verwandtschaft. Denn die immer wieder verbreitete Geschichte vom mittellosen Jungen, der in Hamburg sein Glück machte, stimme so nicht, sagt Sylvia Steckmest, die – unter Verwendung bislang unbekannter Dokumente – kürzlich eine neue Salomon-Heine-Biografie vorlegte. „Salomon Heine hat zunächst bei seinem Altonaer Onkel gelernt und gewohnt – und sich schnell als kluger Rechner und Stratege erwiesen“, sagt sie. Er habe zwar – wie viele Juden seiner Generation – zeitlebens Jiddisch gesprochen und nie perfekt Hochdeutsch gelernt, „aber für Korrespondenz und Dolmetschen hatte er Personal“, sagt Steckmest.
Auch während Napoleons Kontinentalsperre gut verdient
Heine verdiente sein Geld vor allem als Wechsel- bzw. Merchant-Bankier. „Da es Banken im heutigen Sinne noch nicht gab, stellten diese Bankiers den Kunden Bescheinigungen über einen Dreimonatskredit aus, die wie Bargeld behandelt wurden“, sagt Steckmest. Wechsel, die nicht zurückgezahlt wurden, gingen „zu Protest“. Diese „Wechselproteste“ – Belege der Schuldner – waren das Einzige, was Steckmest über Salomon Heines Geschäfte fand. 190 Wechselproteste pro Jahr hat sie entdeckt. Und da die Proteste im Durchschnitt fünf Prozent der Geschäfte ausmachten, nimmt sie an, dass Heine insgesamt 2.000 Wechsel jährlich ausgegeben hat.
Selbstverständlich trieben Bankiers damals auch Handel: Während Napoleons Kontinentalsperre gegen England von 1806 bis 1813 habe Heine durchaus davon profitiert, dass britische Güter über Töndern oder Helgoland geschmuggelt und als „dänisch“ umdeklariert wurden, sagt Steckmest. Auch habe Salomon Heine gemeinsam mit anderen Bankiers Land in Brasilien erworben und am Ertrag der Plantagen verdient. „Ja, dort arbeiteten Sklaven, wie es damals üblich war“, räumt Steckmest ein. „Das war aber nicht sein Hauptgeschäft.“
Im Übrigen gab er großzügig ab, in alle Schichten und Konfessionen. Er half Menschen, die ohne eigene Schuld in Not geraten waren, und finanzierte das – auch für Christen offene – Israelitische Krankenhaus zur Ehren seiner verstorbenen Frau Betty. Ein andermal bezahlte er dem Juden David Mendel – dem späteren August Neander – das Studium der evangelischen Theologie und gab Geld für den Wiederaufbau christlicher Kirchen.
Und, nicht zu vergessen: die lebenslängliche Unterstützung seines berühmten Neffen Heinrich Heine, obwohl er dessen literarische Ambitionen nicht schätzte. „Sie haben sich geliebt und gestritten“, sagt Biografin Steckmest. Der Choleriker Salomon Heine sei seinem scharfzüngigen Neffen sprachlich oft einfach nicht gewachsen gewesen. „Aber insgesamt war es ein gutes Verhältnis“, sagt sie. Auch wenn ein legendärer Streit in besagtem Gartensaal mit Goldrosetten und Elbblick getobt haben soll. Aber vielleicht ist das auch nur eine Legende.
Heine wünschte sich sehnlichst das Bürgerrecht
Außer Zweifel steht jedenfalls, dass Salomon Heine undogmatisch und weltoffen war und folglich dem Israelitischen Tempelverein bald nach dessen Gründung 1817 beitrat. Jahre später, um 1833, hat Heine nach wiederholten antisemitischen Ausschreitungen – auch bei ihm warf man eine Scheibe ein – dann das „Comité zur Verbesserung der bürgerlichen Verhältnisse“ mit gegründet. Dort war auch der Jurist Gabriel Riesser aktiv, der später erster jüdischer Richter Deutschlands wurde und vehement für die Gleichstellung der Juden focht. Die hatte Napoleon zwar schon während der französischen Besatzung durch entsprechende Gesetze vorangetrieben, „das meiste wurde aber bald zurückgenommen, denn Napoleons eigentliches Ziel war die Vermischung des Judentums mit dem Christentum“, sagt Steckmest.
Dabei habe sich Salomon Heine sehnlichst das Bürgerrecht gewünscht. Doch erst 1861 erließ Hamburgs Senat ein entsprechendes Gesetz, 17 Jahre nach Salomon Heines Tod. Wäre es zu Lebzeiten gekommen, hätte er Mitglied beim „Ehrbaren Kaufmann“ und in Hamburgs „Patriotischer Gesellschaft“ werden können, wäre nicht mehr aus diesen wichtigen Netzwerken ausgeschlossen gewesen.
Erreicht hat Salomon Heine immerhin eine Ehrenmitgliedschaft in der „Patriotischen Gesellschaft“ – eine Ausnahme, die wegen seiner Finanzspritzen nach dem Hamburger Brand von 1842 gemacht wurde. Anstandslos hatte er damals die Sprengung seines Bank- und Wohngebäudes am Jungfernstieg erlaubt, damit eine Feuerschneise entstand. „Allerdings muss man bedenken: Seine Frau und sieben seiner neun Kinder waren tot, er selbst betagt und kränklich“ sagt Steckmest. „Außerdem hoffte er, so das Haus seines Sohnes Carl in der Großen Bleichen vor dem Feuer zu retten.“ Was auch gelang.
Salomon Heine war eben Pragmatiker. Und als er sah, dass Hamburgs Feuerkasse nach dem Brand pleite zu gehen drohte, verzichtete er auf Schadensersatz und legte stattdessen einen Kredit auf. Außerdem gewährte er allen Privatiers, die Geld für den Wiederaufbau brauchten, Kredit – für deutlich weniger Zinsen als alle anderen Banken. Das war sozial und gut fürs Geschäft. „Denn natürlich kamen dann alle zu ihm, und er hat gut verdient“, sagt Steckmest.
Unwürdiger Streit um Heinrich Heines Rente
Aber auch sonst hat ihm die Großzügigkeit wohl Spaß gemacht. Einmal zum Beispiel – und diese Anekdote gilt als verbürgt – soll eine junge Frau mit einer Spenderliste gekommen sein. Als er „200 Mark“ zeichnete, fragte sie, ob das nicht zu viel sei, ob er sich nicht verschrieben habe. „Ja“, sagte er, und machte „2.000 Mark“ daraus. Oft setzte er sich mit einem hohen Betrag bewusst an den Anfang der Spenderliste, um die anderen in Zugzwang zu bringen. Das bereitet ihm Vergnügen und war gut für die Reputation.
Um die muss sich später auch sein Sohn Carl gesorgt haben. Sonst hätte er Heinrich Heine nach Salomons Tod nicht die testamentarisch verfügte Rente verweigert. Erst wenn Heinrich verspräche, nichts Unrühmliches über Salomon Heine zu veröffentlichen, bekäme er das Geld, so die Ansage. „In der Tat hat sich Heinrich Heine ungeschickt verhalten“, sagt Biografin Steckmest. „Wiederholt hat er gedroht, Tagebücher zu veröffentlichen und die Familie durch seine Schreiberei zu schädigen.“ Dabei habe es die angeblich kompromittierenden Tagebücher gar nicht gegeben.
Bleibt die Frage, ob Hamburg diesen Mäzen angemessen würdigt. Die Antwort lautet: Nein. In den 1950er- und 1960er-Jahren vermietete die Stadt das Heine-Gartenhaus zunächst an Arbeitsmigranten und ließ es nach deren Auszug vergammeln. Nachbarn machten das schließlich öffentlich und gründeten 1975 den „Verein Heine Haus“. Inzwischen gehört das Haus zum Altonaer Museum beziehungsweise zur Stiftung Historische Museen, die die Fixkosten trägt, doch alles andere – Renovierung, Inventar-Beschaffung sowie bis zu 20 Lesungen pro Jahr – bezahlen und organisieren noch immer die 86 Vereinsmitglieder.
Die kommen zwar großteils aus den gut situierten Elbvororten, aber ohne die Hilfe von privaten Stiftungen sind die Aufgaben nicht zu bewältigen. Erst seit Kurzem hat die Vereinsvorsitzende Beate Borowka-Clausberg so eine bezahlte 30-Stunden-Stelle als Geschäftsführerin. Wenn man bedenkt, dass sie ein leeres Haus vorfand, das sie nach und nach mit auf Antikmärkten gekauften Möbeln aus der Heine-Zeit bestückte (der Hartwig-Hesse-Stiftung schwatzte sie sogar einen Originalschrank von Heine-Tochter Therese ab), ist das arg viel privates und wenig städtisches Engagement.
Dabei ist Salomon Heine dem Senat längst nah: Im Bürgerschaftssaal B des Rathauses hängt ein großes Porträt von ihm, das ein unbekannter Künstler 1835 schuf. Gewusst hat das lange niemand. Erst als Beate Borowka-Clausberg vor einiger Zeit nachfragte, ging ein Rathausmitarbeiter auf die Suche – und wurde fündig. Ins Rathaus hat es Salomon Heine also immerhin geschafft.
Heine-Haus: Elbchaussee 31. Regelmäßige Mittwochs-Soireen und Sonntags-Matineen über jüdisches Leben sowie Literatur, Malerei, Musik der Heine-Zeit: www.heine-haus-hamburg.de
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