Reform des Bremer Wahlrechts: Die Listen sollen’s richten
Mit breiter Mehrheit wird der Landtag das Wahlrecht ändern – am Ende profitieren wohl vor allem die Parteien davon.
Die Bedeutung jener Stimmen, die die einzelnen KandidatInnen bekommen, wird dagegen wohl deutlich geschwächt. Das kritisiert die Initiative „Mehr Demokratie“ – sie will das Wahlrecht erhalten, wie es derzeit ist. Am Dienstag protestierte sie vor der Bürgerschaft gegen die Novelle. Auch die FDP und die Ex-Grüne Susanne Wendland sind gegen die Reform.
Gemäß des von SPD, Grünen, CDU und der Linkspartei getragenen Antrages sollen die Personenwahlmandate künftig vor den Listenmandaten verteilt werden. Bisher ist es umgekehrt. Das führte im Endergebnis bei der letzten Landtagswahl dazu, dass Personenstimmen für die FDP-Spitzenkandidatin Lencke Steiner – die über die Liste einzog – dem FDP-Kandidaten Peter Zenner mit nur 732 Kreuzchen einen Sitz bescherten. Im Durchschnitt sind dafür 14.000 Stimmen erforderlich.
Das ist ein „eklatantes Demokratieproblem“, sagt der SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe. Dieser Effekt bleibe zukünftig bestehen, sagt Mehr Demokratie. Er solle deutlich geringer werden, sagt Tschöpe. Er findet, die Reform stärke „die Voraussehbarkeit und Transparenz“ für die WählerInnen.
Tschöpe hofft, dass Frauen künftig bessere Chancen haben, ins Parlament gewählt zu werden – gerade bei der SPD, deren quotierte Liste durch das Personenwahlrecht durcheinander gewirbelt wurde. So sank der Frauenanteil in der Bürgerschaft von 42 Prozent im Jahr 2007 auf 34 Prozent bei der letzten Wahl 2015. „Das liegt nur zum Teil am Wahlrecht“, kontert Mehr Demokratie – schwerer wiege, dass FDP und AfD deutlich weniger Frauen aufgestellt hätten als andere Parteien.
Bei der letzten Landtagswahl zogen 22 der 83 Abgeordneten durch ihre Personenstimmen ins Parlament ein, mehr als ein Viertel. Mit der nun anstehenden Reform „hätten das bei der letzten Wahl nur sieben KandidatInnen geschafft“, rechnet Mehr Demokratie vor, fünf von der SPD, zwei von den Grünen.
Die Wahlrechtsreform beruht auf dem Zwischenbericht eines nichtständigen Ausschusses, dessen Vorsitzender Tschöpe ist. Das Gremium soll angesichts der zuletzt historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 50,2 Prozent „Gegenstrategien“ finden.
Die Bertelsmann-Stiftung hat nach der Bundestagswahl 2013 konstatiert: Je prekärer die Lebensverhältnisse, desto weniger wird gewählt. In Tenever lag die Wahlbeteiligung 2015 bei 31,8 Prozent. Auch die Zahl der ungültigen Stimmen ist dort mit 4,5 Prozent deutlich höher. Landesweit waren es drei Prozent.
Dem hätte man entgegen wirken können, sagt Kristina Vogt von der Linkspartei – durch „Heilungsregeln“, wie es sie auch anderswo gibt. Doch die grüne Parteibasis stimmte gegen solche Regeln, und dem fügte sich nicht nur die Grünen-Fraktion – sondern auch die SPD – aus Koalitionsdisziplin.
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