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Reform des Berliner PolizeigesetzesRiskantes Manöver

CDU und SPD bringen ihr neues Polizeigesetz ins Abgeordnetenhaus ein. Berlin befindet sich damit bei der Beschränkung von Freiheitsrechten weit vorn.

Kamera läuft, KI guckt mit Foto: Erik Irmer

Berlin taz | Mehr Kameraüberwachung, mehr Spionagesoftware, mehr künstliche Intelligenz: Bei der Ausweitung von Befugnissen für die Polizei ist Berlin derzeit auf der Überholspur unterwegs – und lässt andere Bundesländer hinter sich.

Bei dieser Einschätzung sind sich Politiker der schwarz-roten Koalition und Grundrechtsschützer einig. Nicht aber bei der Bewertung des Überholmanövers: Für die einen führt es in Richtung mehr Sicherheit, für die anderen geradewegs in den Überwachungsstaat.

Diesen Donnerstag bringen die Fraktionen von CDU und SPD die seit Langem vorbereitete Reform des „Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes“, kurz Asog, ins Plenum des Abgeordnetenhauses ein. Der Antrag umfasst 736 Seiten. Es ist ein Rundumschlag, der fast alle Bereiche der Polizeiarbeit berührt. „Wir springen damit beim Polizei- und Ordnungsrecht von einem der hintersten auf einen der vordersten Ränge bundesweit“, frohlockte CDU-Fraktionschef Dirk Stettner bereits bei der Vorstellung der zentralen Punkte Ende Juni.

Der Polizeirechtler Clemens Arzt zeigt sich angesichts der großen Versprechungen skeptisch. „Es ist in weiten Teilen der übliche Akt von symbolischer Gesetzgebung, den wir in der Sicherheitspolitik überall finden“, sagt Arzt zur taz.

Vieles ist überflüssig, vieles geht zu weit

Clemens Arzt, Polizeirechtler

Zwar habe es zweifellos Änderungsbedarf gegeben, weil das bisherige Gesetz wegen neuer Bundes- und EU-Regelungen sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in vielen Punkten rechtswidrig gewesen sei. „Aber das ist kein Entwurf, der sich um Freiheitsrechte bemüht. Es geht fast nur darum, die Polizei mit mehr Befugnissen zu Eingriffen in die Grundrechte auszustatten“, kritisiert Arzt. „Vieles ist überflüssig, vieles geht zu weit.“

Die Neufassung hat es in sich

Tatsächlich hat es die Asog-Neufassung in sich. Die Koalitionäre wollen etwa dauerhafte Videoüberwachung an sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten einführen und dabei auch künstliche Intelligenz (KI) einsetzen, um „verdächtige Verhaltensmuster“ zu erkennen. KI soll auch dabei helfen, Fotos im Internet auf der Suche nach Verdächtigen anhand biometrischer Merkmale zu durchforsten.

Hinzu kommt die Ausweitung von Befugnissen zur heimlichen Überwachung. So sollen Funkzellendaten künftig nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch zur Prävention abgefragt werden dürfen.

Auch die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung, bei der Chatnachrichten mittels Spionagesoftware abgefangen werden, bevor sie durch Messengerdienste verschlüsselt werden, soll dann zur Gefahrenabwehr und nicht nur im Nachgang einer Straftat möglich sein. Das Gleiche gilt für Onlinedurchsuchungen – also umfangreiche Hackerangriffe auf private Computer.

„Berlin holt nicht nur auf, Berlin geht teilweise sogar voran, was den Ausbau von heimlicher Überwachung und Big-Data-Technologien angeht“, beobachtet David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Der Rechtsanwalt koordiniert bei der NGO Verfassungsklagen gegen Polizeigesetze und hatte damit schon in mehreren Bundesländern Erfolg.

Es geht nicht nur um die konkreten Maßnahmen

Für Werdermann zeigen sich bei der Asog-Reform zwei Muster, die er zuvor schon in anderen Bundesländern beobachtet hat: die Ausweitung der technischen Möglichkeiten, insbesondere zur Überwachung und Datenauswertung, sowie die deutliche Vorverlagerung der Eingriffsbefugnisse der Polizei.

Es geht also nicht nur um die konkreten Maßnahmen, die der Polizei an die Hand gegeben werden, sondern auch um die Frage, wann sie zum Einsatz kommen dürfen. Vieles, das früher nur zur Strafverfolgung zulässig war, ist jetzt schon zur sogenannten Gefahrenabwehr erlaubt. Die ist zwar laut Werdermann die Kernaufgabe der Polizei. Doch der Jurist nimmt eine Bedeutungsverschiebung wahr: „Das Problem ist, dass der Gefahrenbegriff immer weiter aufgeweicht wird.“

Im Entwurf für die Asog-Reform klingt das so: Wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass eine Person „innerhalb eines übersehbaren Zeitraums“ auf eine „zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine Straftat begehen wird“ – bereits dann darf die Polizei in vielen Fällen tätig werden.

„Berlin geht damit weit in das Gefahrenvorfeld“, sagt Werdermann. Das führe zu Unsicherheit bei den Betroffenen. Vorstellbar sei etwa, dass jemand ein Pflanzenschutzmittel im Supermarkt kaufe. „Womöglich reicht das schon als ‚Tatsache, die die Annahme rechtfertigt‘, dass diese Person eines Tages einen Anschlag begehen will“, befürchtet der Rechtsanwalt.

Über das rechtlich zulässige Maß hinaus

In den vergangenen Jahren haben fast alle Bundesländer ihre Polizeigesetze verschärft und sind dabei teils über das rechtlich zulässige Maß hinausgeschossen. Auch das habe System, analysiert David Werdermann. „Man versucht immer wieder die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen auszutesten.“ Auch in Berlin würden er und seine Kol­le­g*in­nen nun genau schauen, ob bei der Asog-Reform das Grundgesetz eingehalten werde: „Es kann gut sein, dass wir gegen einige der neuen Maßnahmen klagen werden.“

Doch dafür muss das Gesetz erst einmal in Kraft treten. Nach der ersten Lesung am Donnerstag geht das Parlament in die Sommerpause. Danach wandert der Entwurf in die Ausschüsse; voraussichtlich im Herbst gibt es eine Expert*innenanhörung. Verabschiedet wird es frühestens im Winter.

Unterdessen schraubt Schwarz-Rot schon an der nächsten Gesetzesverschärfung. Im Versammlungsrecht soll der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ als Grundlage für Auflagen oder Verbote von Demonstrationen wieder eingeführt werden.

Auch hierin sieht Clemens Arzt „reine Symbolpolitik“. Sollte die Formulierung wieder in den Gesetzestext aufgenommen werden, sei sie allenfalls in einem sehr engen Spielraum nutzbar. „Das ist eine rechtlich überaus weite Eingriffsoption der Polizei gegen unliebsame Versammlungen, die man sonst nur aus autoritären Staaten kennt“, so Arzt.

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