Reform der Fachkräfte-Einwanderung: Ein Berufsabschluss muss sein
Die Bundesregierung legt einen Gesetzentwurf zur Fachkräfte-Einwanderung vor. Sie hofft auf 75.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten.
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Das Gesetz erleichtert die Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern, den sogenannten Drittstaaten, für Hochschulabsolventen und Fachkräfte mit anerkanntem Berufsabschluss, aber auch für langjährige Berufspraktiker:innen und Leute mit anderen Voraussetzungen, um in Deutschland Arbeit zu finden. Die Regelungen könnten die Einwanderung qualifizierter Drittstaatsangehöriger um jährlich 75.000 Personen erhöhen, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).
Laut dem Entwurf wird die Zuwanderung von Hochschulabsolvent:innen im Rahmen der Blauen Karte EU gefördert, weil die Gehaltsschwellen für die Einstellung dieser Beschäftigten, auch für Berufsanfänger:innen, abgesenkt werden. Der Familiennachzug für Zuwanderer mit der Blauen Karte EU wird erleichtert, weil gleichzeitig mit dem Antrag auf eine Blaue Karte EU auch der oder die Partner:in einen Antrag auf Familiennachzug stellen kann und über diese Anträge „gleichzeitig“ entschieden wird.
Für Fachkräfte mit einem auch in Deutschland anerkannten Berufsabschluss wird es zudem möglich sein, hier „jede qualifizierte Beschäftigung“ ausüben zu können, sagte Faeser. Wer also aus einem Drittstaat, etwa aus einem Staat im Westbalkan kommt und einen auch in Deutschland anerkannten Abschluss als Maurer:in besitzt, könnte hier dann auch als Tischler:in arbeiten.
Anerkennung erst im Inland
Ein Anerkennungsverfahren für im Ausland erworbene Berufsabschlüsse kann zudem – anders als bisher – auch im Inland begonnen werden. Beschäftigte und Arbeitgeber verpflichten sich dabei in einer sogenannten Anerkennungspartnerschaft, gemeinsam eine Nachqualifikation bis zur vollen Anerkennung des Berufsabschlusses durchzuführen.
In der flankierenden Beschäftigungsverordnung ist festgehalten, dass Ausländer:innen aus Drittstaaten auch einreisen dürfen, wenn sie eine mindestens zweijährige Berufsqualifikation im Ausland erworben haben, zwei Jahre Berufserfahrung haben und über ein Arbeitsplatzangebot in Deutschland verfügen, dessen Gehalt mindestens 45 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung beträgt, das sind im Monat circa 3.200 Euro brutto. Von dieser Gehaltsschwelle wird abgesehen, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist.
Elfriede Kerschl, bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in München zuständig für Arbeitsmigration, sieht diese Einschränkungen kritisch. „Die Gehaltsschwelle ist zu hoch für viele Berufe, etwa in der Dienstleistung“, sagt Kerschl der taz, „und die zweijährige Berufsausbildung im Herkunftsland sollte keine zwingende Voraussetzung sein“.
Kellner:innen zum Beispiel, die viel Berufserfahrung aus dem Ausland mitbringen, „die haben nicht unbedingt eine zweijährige Ausbildung im Heimatland absolviert. Die haben dann vielleicht nur ein paar Kurse gemacht, aber viel Berufserfahrung in guten Hotels, das müsste als Voraussetzung genügen, wenn ein Arbeitsplatzangebot vorliegt“, so Kerschl.
Chancenkarte mit Punktesystem
Im Gesetzentwurf wird auch eine „Chancenkarte“ eingeführt, wonach Arbeitsmigrant:innen aus Drittstaaten, die eine zweijährige Ausbildung im Herkunftsland durchlaufen haben und hinreichende Deutschkenntnisse vorweisen können, für ein Jahr zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland kommen können. Sie müssen selbst für ihren Unterhalt sorgen können und nach bestimmten Kriterien mindestens sechs Punkte erreichen.
Für drei Jahre Berufserfahrung im Ausland gibt es beispielsweise drei Punkte, für gute Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 gibt es drei Punkte, für ein Alter von unter 35 Jahren gibt es zwei Punkte. Alternativ zu den Deutschkenntnissen kann man auch Englischkenntnisse vorweisen, die müssen aber auf einem sehr guten Niveau liegen.
Anine Linder ist bei der DIHK Service Gmbh der Deutschen Industrie- und Handelskammer Leiterin des Projekts „Hand in Hand for International Talents“.Die Mitarbeiter:innen versuchen seit mehr als zwei Jahren in dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt, Fachkräfte aus Brasilien, Indien und Vietnam für Unternehmen in Industrie und Handel zu gewinnen. Viele Bewerber:innen und viele Arbeitgeber:innen unterschätzten den zeitlichen Aufwand, die deutsche Sprache zu lernen und einen Mitarbeiter aus einem Drittstaat in das Unternehmen zu integrieren, sagt Linder.
Spracherwerb ist eine Hürde
Die Bearbeitungsprozesse, auch bei den Botschaften, müssten „dringend beschleunigt und digitalisiert werden“. Bisher wurden nur 57 Bewerber:innen im Rahmen des Projekts tatsächlich nach Deutschland vermittelt. Ein Drittel der Bewerber:innen springe vorher ab, vor allem wegen des Spracherwerbs, sagt Linder.
Die Präsidentin der Caritas, Eva Maria Welskop-Deffaa, warnte anlässlich des geplanten Einwanderungsgesetzes, die aktuell gültigen Wohnraumerfordernisse führten derzeit dazu, dass Niedrig- und Durchschnittsverdiener in Großstädten „kaum eine Chance haben, ihre Familien nachzuholen“. Auch die Pflicht zur Lebensunterhaltssicherung für die ganze Familie führe dazu, dass es zum Beispiel für eine Krankenschwester in München „unmöglich ist, ihre Familie nachzuholen“, so Welskop-Deffaa.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hatte vorgerechnet, dass Deutschland eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 Arbeitskräften brauche, um den demografischen Rückgang zu kompensieren. Heil wies darauf hin, dass vor der Coronapandemie jährlich 315.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland herkamen, davon aber der weit überwiegende Teil aus EU-Ländern, die das neue Gesetz nicht betrifft.
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