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Reform-Ideen zu Hartz IVBier und Blumen gehören zum Leben

Der Paritätische Gesamtverband präsentiert Reformideen zu Hartz IV: Mehr Absicherung für Niedrigverdiener und höhere Regelsätze gehören dazu.

Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Gesamtverbandes, hat zu Hartz IV ein paar Ideen … Foto: dpa

Berlin taz | In die Diskussion um Reformen der Hartz-Gesetze hat sich jetzt auch der Paritätische Gesamtverband eingeschaltet. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider legte am Donnerstag ein Konzept vor, unter anderem mit Reformideen zur Bezugsdauer des Arbeitslosgeldes I und zur Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte zuvor angekündigt, sich die Bedarfe von Hartz-IV-Empfängern „genauer anzugucken“, etwa das Schulstarterpaket für Kinder und die Erstattung der Kosten von Haushaltsgeräten. Auch Grünen Co-Chef Robert Habeck forderte ein „neues Garantie-Sicherungssystem, das Armut verhindert“. „Es scheint Bewegung in die Diskussion gekommen zu sein“, sagte Schneider

Laut des Konzeptes des Paritätischen soll die maximale Bezugszeit des Arbeitslosengeldes I altersabhängig von derzeit 24 auf 36 Monate verlängert werden. Vor dem Erlass der Hartz-Gesetze konnten langjährig Erwerbstätige Arbeitslosengeld I bis zu 32 Monate lang beziehen.

Eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeld I ist für die Betroffenen wichtig, weil diese Sozialleistung ohne Bedürftigkeitsprüfung und Anrechnung von Vermögen oder Partnereinkommen gewährt wird. Außerdem werden für die Bezugszeit Rentenbeiträge entrichtet. Nach dem Arbeitslosengeld I erfolgt der Übergang in Arbeitslosengeld II, genannt Hartz IV.

Stütze aufstocken

Wer als Single trotz Vollzeitjob weniger als ein monatliches Bruttoeinkommen von 1 800 Euro hat, kommt allerdings im Falle der Erwerbslosigkeit nur auf ein Arbeitslosengeld I, das unter dem Existenzminimum, also unter den Hartz-IV-Sätzen liegt. Diese Erwerbslosen müssen ihr Arbeitslosengeld I dann mit Leistungen aus Hartz IV aufstocken, was wieder die gefürchtete Bedürftigkeitsprüfung zur Folge hat.

Für Vollzeiterwerbstätige aus dem Niedriglohnsektor wolle der Paritätische daher ein „Mindestarbeitslosengeld“ einführen, erklärte Schneider. Dieses soll etwas höher sein als die Hartz IV-Sätze und ohne Bedürftigkeitsprüfung gewährt werden.

Schneider sprach sich auch für eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes von derzeit 416 Euro auf 571 Euro aus, eine alte Forderung des Paritätischen. Der Regelsatz wird von der Bundesregierung unter Bezugnahme auf die Konsumausgaben der untersten Einkommensgruppen errechnet, wobei aber bestimmte angeblich nicht lebensnotwendige Posten, wie etwa Tabak, Bier, Schnittblumen, Campingartikel, Tierfutter ausgespart werden. Der Paritätische erweiterte in seiner Berechnung die Bezugsgruppe und lässt auch diese Ausgaben als „regelbedarfsrelevant“ zu, was den rechnerischen Regelsatz erhöht.

Die Reformideen des Paritätischen sind allerdings derzeit eine Utopie. Der Koalitionsvertrag sieht keine Hartz-IV-Reformen vor, die Union auch nicht. Lediglich SPD-Politiker melden Reformwünsche an.

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10 Kommentare

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  • Forder ist ja immer schön und populär, ein kleiner Hinweis zur Finanzierbarkeit sollte aber schon dabei sein. Letztendlich müsste dann nämlich auch der Mindestlohn erhöht werden. Die Rente wird in wenigen Jahren unterfinanziert sein - soll ich als Steuerzahler dann alle alimentieren - oder schwebe ich dann auch im Nirwarna der staatlichen Förderung.

  • "Laut des Konzeptes des Paritätischen soll die maximale Bezugszeit des Arbeitslosengeldes I altersabhängig von derzeit 24 auf 36 Monate verlängert werden."

     

    Mit Betonung auf "maximal". Die meisten Bezieher bekommen nur 12 Monate ALG I, danach müssen sie Ersparnisse aufbrauchen, Wertgegenstände verkaufen, etc. Erst danach gibt es dann das menschenverachtende ALG II.

  • Der Paritätische Gesamtverband präsentiert Reformideen zu Hartz IV.

     

    Sollen wir auf den Verband hören?

     

    Tut der Verband gegen die Ungerechtigkeit HARTZ IV viel mehr als öffentliche Vorschläge, die das Land natürlich nur zum Guten verbessern würden?

     

    Ja!

     

    Der Verband bietet zum Beispiel insbesondere für bedürftige Menschen kostenlose Rechtsberatung seit Jahren an.

     

    Ist die Beratung in der Bevölkerung überhaupt gefragt?

     

    Beispielsweise die Rechtsanwältin Frau Hannemann hat so einen starken Zuspruch, dass Menschen zu ihren Beratungen halbe bis eine Stunde früher kommen, um überhaupt noch dran zu kommen.

  • Ich war 31 Jahre unterbrechungsfrei voll erwerbstätig - als Physikerin und Software-Entwicklerin.

     

    Ich habe "nebenbei" zwei Kinder groß gezogen und meine Eltern bis in den Tod gepflegt.

     

    Ach ja, ich habe zwei Jahre Wehrdienst geleistet.

     

    Doch dann wurde ich arbeitslos, weil die damalige Regierung Großbanken förderte, in deren Geschäftsmodell ich plötzlich nicht mehr passte.

     

    Und als ich zum Arbeitsamt ging, hatte ich gerade eine Stimmband-OP überstanden.

     

    Deswegen und weil ich über 50 Jahre alt war, wurde mein Antrag auf Arbeitslosengeld I abgelehnt.

     

    Ich wurde in die EU-Rente plus aufstockender Grundsicherung gezwungen.

     

    Bis zur Klärung der Zuständigkeit war ich obdachlos und habe mich aus Mülleimer heraus ernährt.

     

    Meine Kinder wurde mir weggenommen.

     

    Meine Lebensleistung wurde restlos aufgezehrt.

     

    Jeder Versuch zu arbeiten, wird bestraft dank SGB XII und Rentengesetzen.

     

    Ich BIN ein rechtloser Untermensch.

     

    Willkommen in einer Realität, die alle in Watte gehüteten Menschen konsequent verdrängen.

    • @Dusterbraut:

      Dass Ihnen Ihre Kinder weggenommen wurden ist gegen die Gottes Gesetze und gegen das Grundgesetz. Auch in unsem Land gibt es sehr viel Ungerechtigkeit.

       

      Viele Menschen nehmen so etwas nicht einfach hin und kämpfen dagegen. Es gibt sehr viele Initiativen, Netzwerke und Beratungsstellen, die anderen Menschen helfen, die Hilfe brauchen.

      https://www.beratung-kann-helfen.de/beratung-kann-helfen/beratungstellen/arbeitslosengeld-ii#

       

      Viele Menschengruppen wie die Berliner Mietergemeinschaft, BALZ, Der Paritätische, Basta, Gebewo sind oft überfüllt, dass die Mitarbeiter sehr lange über die Arbeitszeit hinaus arbeiten. Die Menschlichkeit kennt keine Grenzen!

       

      Indem Sie Ihren Kommentar schreiben, machen Sie einen großen Beitrag für ein besseres Deutschland!

      • @Stefan Mustermann:

        Ich habe vergeblich zweimal das Familiengericht wegen meiner Kinder angerufen.

         

        Urteil: Besser es bleibt für Ihre Kinder wie es ist, bloß keine seelisch belastenden Änderungen des Ist-Zustandes.

         

        Ich wurde an Selbsthilfegruppen anderer betroffener Eltern verwiesen und bekam den Rat, zu warten bis meine Kinder an mich heran treten.

  • Das Recht auf Arbeit und / oder Erwerbseinkommen aufgegeben.

    • @Gerhard Krause:

      Für Empfänger von Grundsicherung nach SGB XII gibt es kein Recht auf Arbeit.

       

      In Hamburg gibt es im Rahmen der Wiedereingliederungshilfe theoretisch eine "Motivationsgeld" von € 1,50 pro geleisteter Stunde.

       

      Glücklichen Zeitgenossen bei wohlwollendem Sachbearbeiter gelingt so ein Monatseinkommen von etwa € 80,- bei einer 40-Stunden-Woche.

       

      Die wenigen glücklichen sitzen als Akademiker in Behindertenwerkstätten und bezahlen für die Fahrt zur Arbeit mehr als sie verdienen.

       

      Es gibt natürlich keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

       

      Man kann auch zur Arbeit erscheinen und der Chef ist nicht da oder hat nichts zu tun.

       

      Dann hat man zwar Unkosten und sonst nichts.

       

      Bezahlt wird nur geleistete Arbeit, bei mehr als 4,5 Stunden Arbeitszeit auch eine kleine Mahlzeit.

       

      Und dann kommen Politiker und werfen Faulheit oder Unwilligkeit vor.

       

      Viele Betroffene sind extrem depressiv bis hin zu Suizidversuchen.

       

      Aber DAS will alles niemand wissen.

      • @Dusterbraut:

        Genauer ist es so, nicht dass keiner DAS wissen will, sondern, dass viele Verantwortlichen es nicht wollen, dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Und die Verantwortlichen wollen auch nicht, dass jemand öffentlich nachweist, dass die Ungerechtigkeit als Ungerechtigkeit und Ungesetzlichkeit in Bezug auf das Grundgesetz, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Menschenrechtskonvention, die einfache Menschlichkeit zu qualifiziert wird.

  • Gut und schön. Der Paritätische und andere Wohlfahrtverbände, die Gewerkschaften, die Linke, manchmal vielleicht noch die Grünen, womöglich auch eine - wenn überhaupt jemals mögliche! - "erneuerte" SPD, sogar der alljährliche Armutsbericht der Bundesregierung sie alle sehen recht klar, dass Handlungsbedarf besteht, wenn nicht immer mehr Menschen, vor allem Kinder und Alte, in dauerhafter Armut enden sollen.

     

    Aber wo sind die konkreten Vorschläge zur Gegenfinanzierung dieses Bedarfs? Wo sind die Umverteilungspläne?