Referendum über Stromgesetz: Schweiz für schnellere Energiewende
Die Stimmberechtigten haben das neue Stromgesetz abgesegnet. Befürworter sind erleichtert, Gegner warnen vor einer „Verschandelung der Natur“.
Die Grünen teilten mit, sie seien „hocherfreut“. Die Partei wertet die Zustimmung als „deutliches Bekenntnis der Stimmbevölkerung zur Energiewende, zum Klimaschutz und zur Natur“. Auf der anderen Seite prophezeit die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP), die das Gesetz bekämpft hat, die Schweiz werde keine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien bekommen, wie die Sieger behaupten: „Das Gegenteil ist der Fall: Das Stromgesetz bringt wenig und unsicheren Strom für sehr viel Geld – und eine massive Verschandelung der Natur.“
Das Gesetz gibt Mindestmengen an Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen vor und dass im Winter nicht mehr als 5 Terawattstunden Strom importiert werden sollen. Das Gesetz soll auch zu einer Senkung des Energie- und Stromverbrauchs pro Kopf führen, und es enthält Vorschriften für eine Wasserkraftreserve für große Werke, deren Betreiber dafür entschädigt werden.
Der Erlass erleichtert ebenfalls die Planung großer Solar- und Windkraftanlagen. In geeigneten Gebieten, die die Kantone mit Rücksicht auf Natur- und Landschaftsschutz sowie die Landwirtschaft bestimmen müssen, soll die Stromproduktion jedoch grundsätzlich Vorrang haben. Zudem soll der Bau kleiner Solaranlagen auf Dächern und an Fassaden vorankommen. Auch die Wasserkraft soll stärker gefördert werden, und zwar 16 im neuen Gesetz gelistete Neu- und Ausbauten von Speicherwasserkraftwerken in den Bergen. Für diese Anlagen gibt es Erleichterungen bei der Planung und gegenüber heute weniger Mitsprachemöglichkeiten der lokalen Bevölkerung. Das Gesetz wird 2025 in Kraft treten.
Protest von zwei Naturschutzgruppen
Die Zustimmung der Schweizer*innen zu diesem Kompromiss ist nicht erstaunlich, deuteten doch alle Umfragen auf eine Annahme hin. Zudem wurde das Stromgesetz von Parteien von links bis rechts, der Mehrheit des Parlaments, der Regierung und den wichtigsten Naturschutzorganisationen, getragen. Doch die SVP brachte die Befürworter*innen zum Zittern. Diese mussten sich vor einem Déjà-vu fürchten, als 2021 das CO2-Gesetz abgelehnt wurde: Auch da waren alle außer die SVP dafür. Die SVP hatte es im Abstimmungskampf gegen alle wichtigen Verbände sowie die anderen Parteien aufgenommen – und dann überraschend gesiegt.
Dieses Mal aber hatte die SVP nicht selbst das Referendum initiiert. Es waren die Umweltschutzorganisation Fondation Franz Weber und die Stiftung Freie Landschaft Schweiz, die mit dem Parlamentsbeschluss nicht zufrieden waren. Die Mehrheit der SVP-Fraktion hatte die Gesetzesvorlage im Parlament sogar befürwortet – und dann eine Kehrtwende vollzogen. Auf einem SVP-Plakat war etwa eine Landkarte der Schweiz zu sehen, zugekleistert mit Windrädern und Solarpanels: eine Bedrohung für die schöne, idyllische Schweiz, so das Narrativ der Rechtspopulisten. In der Tat fürchten die beiden Umwelt- und Landschaftsschutzorganisationen, die das Referendum initiiert haben, dass Wälder für Windkraftanlagen gerodet und unberührte Alpenlandschaften mit Solarparks oder Wasserkraftwerken zerstört werden könnten.
Allerdings braucht es in der Schweiz, mit Ausnahme der starken Stromproduktion aus der Wasserkraft, mehr Tempo bei der Energiewende. Denn obschon etwa Solarstrom in der Schweiz derzeit sehr gefragt ist und wohl schon dieses Jahr 10 Prozent des Stromverbrauchs abdecken wird, rangiert die Eidgenossenschaft im internationalen Vergleich in puncto Wind- und Solarstrom auf den hinteren Plätzen – und weit abgeschlagen hinter Deutschland. Das zeigt die jüngst publizierte Studie „Ländervergleich 2023“ der Schweizerischen Energie-Stiftung. In der Analyse wurde die Stromproduktion aus Solar- und Windkraftanlagen in den 27 Staaten der EU sowie der Schweiz verglichen.
Pro Kopf werden in der Schweiz 558 Kilowattstunden Solarstrom produziert. Damit steht sie auf Platz 11. Deutschland belegt mit 726 Kilowattstunden den 5. Platz. Und bei der Windkraft steht die Schweiz noch schlechter da: Mit 19 Kilowattstunden pro Kopf liegt sie auf Rang 25, während Deutschland Platz 6 belegt. Nur Slowenien, die Slowakei und Malta produzieren weniger Windstrom als die Schweiz. Im Vergleich der Pro-Kopf-Stromproduktion aus Solar- und Windenergie zusammengenommen, rangiert die Schweiz auf Platz 22 von 28.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen