Referendum in Venezuela: Kein Anlass zur Euphorie
Über sechs Millionen VenezolanerInnen sprachen sich am Sonntag gegen die geplante Verfassungsänderung aus. Bei einem Überfall wurde eine Frau getötet.
Schon seit Wochen tobt in Venezuela der Streit darüber, ob der Präsident die Kompetenz besitzt, eine solche Versammlung direkt zu initiieren, oder zuvor die Zustimmung der Bevölkerung einholen muss. Die Opposition spricht Maduro die Legitimation dafür ab. Für sie verbergen sich dahinter die totalitären Ambitionen seiner Regierung, gegen die sie seit mehr als 100 Tagen mit intensiven Straßenschlachten Sturm laufen und die bisher über 90 Todesopfer gefordert haben.
Unter dem Motto „El Pueblo decide! – Das Volk entscheidet!“ konnten alle VenezolanerInnen ab 18 Jahren bei drei Fragen ein Ja oder Nein ankreuzen. Knapp 700.000 VenezolanerInnen gaben ihr Votum im Ausland an einem der Wahltische in weltweit 532 Städten ab, darunter auch 16 Städte in Deutschland. Die Abstimmung war zunächst friedlich verlaufen.
Bei einem bewaffneten Überfall auf Oppositionsanhänger im Westen von Caracas wurden eine 61-jährige Frau getötet und drei weitere Menschen verletzt, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Unbekannte hätten von Motorrädern aus auf Bürger geschossen, die ihre Stimme abgeben wollten, hieß es. Die Opposition machte „paramilitärische Gruppen“ aus dem Umkreis Maduros für den Angriff verantwortlich. Der Überfall ereignete sich in einem Arbeiterviertel im Westen der Hauptstadt Caracas. Fernsehaufnahmen zeigten Menschen, die in Panik vor den Schüssen flohen. Viele suchten Schutz in einer nahe gelegenen Kirche.
Reine Formsache
Organisiert hatte die Consulta die im ‚Tisch der demokratischen Einheit‘ (Mesa de la Unidad Democrática – MUD) zusammengeschlossene Opposition, ein Bündnis aus konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Partien. Rechtlich stützte sie sich auf den Artikel 71 der Verfassung, der ein konsultatives Referendum vorsieht und für dessen Durchführung die Zustimmung der Nationalversammlung ausreicht. Die Zustimmung der oppositionellen Mehrheit im Parlament war reine Formsache.
Zielte die erste politische Frage der Consulta direkt auf die verfassunggebende Versammlung ab, so gingen die beiden folgenden darüber hinaus: 1. Ich lehne die Durchführung der von Präsident Nicolás Maduro vorgeschlagenen verfassunggebenden Versammlung ohne die vorherige Zustimmung des venezolanischen Volkes ab und erkenne sie nicht an. 2. Ich verlange von den Streitkräften und allen staatlichen Funktionären, dass sie die gegenwärtige Verfassung von 1999 verteidigen und die Entscheidungen der Nationalversammlung unterstützen. 3. Ich befürworte, dass die öffentlichen Behörden unter den von der gültigen Verfassung vorgegebenen Bedingungen erneuert werden und die Durchführung von freien und transparenten Wahlen, sowie auch die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, um die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen.
Nüchtern betrachtet dürfte das Ergebnis trotz der Organisationsschwierigkeiten hinter den Erwartungen zurückgeblieben sein. Gemessen an den rund 19 Millionen Wahlberechtigten lag die Beteiligung bei unter 40 Prozent. Auch in absoluten Zahlen bietet das Ergebnis keinen Anlass zur Euphorie. So gaben beispielsweise bei der letzten Präsidentschaftswahl vor drei Jahren knapp 15 Millionen Wahlberechtige ihre Stimmen ab, von denen Maduro rund 7,6 Millionen erhielt und der Oppositionskandidat Henrique Capriles 7,4 Millionen. Capriles erhielt damals mehr Stimmen als am Sonntag die Ablehnung der Constituyente.
Präsident Maduro hatte das Vorhaben stets als verfassungswidrig abgelehnt, da es nicht vom Obersten Wahlrat organisiert sei, der allein dazu legitimiert sei. Noch am Vorabend nannte er den Vorgang eine „interne Consulta der Oppositionsparteien ohne Wahlregister, ohne Lesegeräte für Fingerabdrücke und ohne Überprüfung.“
„Nur ein Warmlaufen“
Als Counterpart hatte die Regierung für den Sonntag eine Wahlsimulation für die Delegiertenwahl zur verfassunggebenden Versammlung angesetzt. Eigentlich eine übliche Maßnahme, die in der Regel vor allen wichtigen Wahlen durchgeführt wird und bei der das Funktionieren der elektronischen Wahlgeräte getestet wird. Zugleich wird die Mobilisierung der Mitglieder der Regierungspartei PSUV geprobt. Nach der Formel „Einer für Zehn“ muss jedes Mitglied zehn weitere Wahlberechtigte zur Stimmabgabe bringen.
Maduro feierte denn auch am Abend die rege Beteiligung an der Übung, „die nur ein Warmlaufen für die Wahl der Asamblea Nacional Constituyente (ANC) am 30. Juli war“. Den ganzen Tag über strahlten die staatlichen und regierungsfreundlichen Fernsehsender Bilder von Menschen aus, die vor den Wahlgeräten warteten, die ihre Personalausweise vorlegten und ihre Fingerkuppen auf die Lesegeräte drückten. Wer an der Übung teilnahm, wurde registriert.
Die Livestreams der Opposition lieferten ausschließlich Bilder und Interviews von und über die Consulta. Wer an der Consulta teilnahm, wurde zwar auch notiert, aber diese Unterlagen werden aus Sicherheitsgründen nach der Auszählung vernichtet. Was in einigen Bundesstaaten schon geschehen ist, wie die Bilder von brennenden Registern zeigten. Die Angst vor Repression sitzt gerade bei den Staatsangestellten tief.
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