Redesign demokratischer Repräsentation: Wählen nicht mehr für die Tonne
Wahlurnen symbolisieren den Kern der Demokratie, aber sehen aus wie Mülltonnen. Ein Projekt in Hamburg sucht neue Designs und will das Wählen weiterentwickeln.

Die meiste Zeit über setzen sie in den hintersten Ecken der Garagen und Keller der Bezirksämter Staub an – gebraucht werden sie ja nicht oft und nur kurz. Am Wahlsonntag stehen die Wahlurnen dann im Rampenlicht: In Hamburg sind es große, weiße 120-Liter-Plastiktonnen mit rotem Deckel mit Schlitz und Schloss, vorn drauf ein Zettel mit Stadtwappen und Wahllokalnummer. Auch woanders sehen die Urnen meist ähnlich aus: wie Mülltonnen. Einer der ersten Scherze, die Wähler:innen nach der Abgabe der Stimme in der Urne beim Wahlhelfenden daneben abgeben, geht deshalb so: „Dann ist meine Stimme ja jetzt im Müll, hihi.“
Wer mal Wahlhelfer:in war, weiß: Beim Stimmzettel-Einwurf ist so ein Spruch für das Wahlteam ein ungeschriebenes Gesetz. Auf Platz zwei der launigen Varianten: „Habe ich jetzt eine Waschmaschine/Urlaubsreise gewonnen? Höhö.“
Häufig sind aber auch ernste Varianten: „Nun habe ich also meiner Bürgerpflicht Genüge getan!“ Die unscheinbare Plastiktonne im Wahllokal ist schließlich ein mythischer Versammlungsort. Sie symbolisiert den Kern des demokratischen Prozesses und repräsentiert die Macht des Volkes. Sie wird zum Sammelpunkt, an dem der Wille der Bürger:innen in greifbare Form gebracht wird, ein Symbol dafür, dass jede Stimme zählt – und dass jede Stimme gehört werden sollte.
Wettbewerb „Re-Design Democracy – Wählen neu gestalten“: Verbesserungsvorschläge können bis zum 14. April eingereicht werden. Alle Details gibt es ab 17. Februar online unter www.hfbk-hamburg.de/de/projekte/redesign-democracy/
Aber die Urne steht auch für die Fragilität dieses Prozesses, für das Vertrauen, das in die Integrität der Wahl und in die Fairness des Systems gesetzt werden muss, gerade in Zeiten, in denen demokratische Institutionen unter Druck stehen. Die häufigste Misstrauensbekundung beim Stimmzetteleinwurf dazu: „Nun wissen Sie ja, was ich gewählt habe!“ Dass dann wirklich später noch jemand kommt, um beim Leeren der Tonnen und beim Auszählen der Stimmzettel zuzusehen, ist wiederum selten.
Urnen der Zukunft
Genau diese Fragilität und das Misstrauen an der Wahltonne greift das Projekt „Redesign Democratic Representation – Wählen neu gestalten“ auf. Die Frage: Drückt sich „dieser grundlegende demokratische Akt in der gestalterischen Erscheinung der Wahlurnen angemessen aus?“ Die Vermutung: „Sicherlich nicht, wenn … die Bürger*innen ihre Wahlzettel in eine umfunktionierte Mülltonne werfen.“
Die Hamburger Hochschule für bildende Künste ruft deshalb gemeinsam mit der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung anlässlich der Bundestagswahl am 23. Februar einen Wettbewerb für das Re-Design von Wahlurnen und den Prozess des Wählens aus.
Wer Vorschläge hat, wie die Urnen der Zukunft aussehen könnten oder wie sich die performative Handlung „Wählen“ weiterentwickeln ließe, kann diese bis zum 14. April einreichen – ausdrücklich von disruptiven Visionen bis hin zu konkreten Produktideen. „Ziel ist, für den Akt der Wahl einen angemessenen und zeitgemäßen Rahmen zu finden – und so Demokratie zu stärken“, schreibt die Hochschule. Eine Jury bewertet die Vorschläge, insgesamt stehen 3.000 Euro Preisgeld zur Verfügung.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!