Rechtsstreit in Berlin: Milliardär gegen Journalist
Ein in Berlin lebender Journalist aus Vietnam sagte, ihm sei Geld geboten worden, damit er kritische Artikel über den Autohersteller Vinfast lösche.
Dem von Berlin aus publizierenden vietnamesischen Journalisten Trung Khoa Lê wurde nach eigenen Angaben zwischen Sommer 2019 und Anfang 2023 von drei Vietnamesen Geld für die Löschung kritischer Artikel über den Autokonzern Vinfast angeboten, die er in dem Exilmedium Thoibao veröffentlicht hatte. Sie erklärten, für VinFast zu handeln.
Der vietnamesische Autokonzern und sein Chef Pham Nhat Vuong wiesen das entschieden zurück; das Landgericht Berlin untersagte Lê am Dienstag, diese Verbindung zu behaupten, da sie nicht belegt sei. Bei Zuwiderhandlung drohen ihm 250.000 Euro Ordnungsgeld oder sechs Monate Haft.
Lê gilt mit seinem digitalen Exilmedium Thoibao („Die Zeit“) wegen kritischer Insiderberichte aus Vietnams Einparteiensystem als Staatsfeind. Er steht in Berlin wegen Drohungen gegen seine Person unter dem Schutz des Landeskriminalamts. Bei dem gab er nach eigenen Angaben auch die drei mutmaßlichen Bestechungsversuche zu Protokoll.
Der 53-jährige Lê hatte der Zivilkammer des Berliner Landgerichts eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, in der er die Bestechungsversuche beschreibt. In einer anderen dem Gericht vorliegenden eidesstattlichen Versicherung erklärte ein Konzernvertreter, dass er und sein Konzern mit Bestechung nichts zu tun und niemanden beauftragt hätten.
Vingroup geht weltweit gegen kritische Berichterstattung auf Vietnamesisch vor
Vượng und Vinfast Deutschland hatten am 2. Oktober eine einstweilige Verfügung bei Gericht beantragt, die es Lê verbieten sollte, Aussagen über Bestechungsversuche von Vinfast zu treffen. Das Urteil von Dienstag bezog sich darauf. Auch andere für den Konzern und seinen Gründer rufschädigende Vorwürfe zu machen sollte Lê mithilfe der einstweiligen Verfügung untersagt werden.
Diese wertete das Gericht hingegen als zulässige Meinungsäußerungen. So zum Beispiel die von Lê geäußerte Sorge, Vinfast könnte vielleicht gewaltsam gegen ihn vorgehen, und die Aussage, der Konzern sei eine „mafiaähnliche Filzokratie“, die Vietnams Bevölkerung den Mund verbieten wolle.
Den Eilantrag hatte Vinfast erst gestellt, nachdem Thoibao über eine Abmahnung des Mutterkonzerns Vingroup gegen Lê berichtet hatte. Das war im September. Lê stellte die Abmahnung gegen ihn als einen Fall von „David gegen Goliath“ dar, verweigerte die von ihm geforderte Erklärung und bat öffentlich um Spenden für seine Anwaltskosten.
Lê ist nur ein Fall von 68 auf Vietnamesisch publizierenden Journalisten und Bloggern in und außerhalb des südostasiatischen Landes, an dessen Berichten sich Vượng, Vingroup und Vinfast stören und gegen die sie deswegen bereits Abmahnungen ausgesprochen haben. Gegen Berichte in anderen Sprachen als Vietnamesisch gehen sie aber bisher nicht vor.
Es wirkt, als würde der Milliardär Vượng von der Kommunistischen Partei Vietnams protegiert
Vingroup ist Vietnams größtes privates Konglomerat und in den Bereichen Immobilien, Tourismus, Handel, Industrie, Medizin und Transport aktiv. Der Konzern hatte 2024 67.300 Mitarbeiter, 7,3 Milliarden Dollar Umsatz und laut manchen Medien 31 Milliarden Dollar Schulden. Laut Vingroup 10,7 Milliarden. Im Juli gab die Deutsche Bank Vinfast einen Kredit von 510 Millionen Dollar.
Die erst 2017 gegründete Autosparte Vinfast mit Schwerpunkt E-Mobilität ist ein nationales Prestigeprojekt, jedoch stark defizitär. Die sechs Showrooms in Deutschland wurden laut einem Medienbericht wieder geschlossen, Pläne für eine Autofabrik in Deutschland nicht weiter verfolgt. Das galt auch für eine Fabrik in den USA.
Vinfast wird von anderen Konzerntöchtern sowie von Vượng persönlich quer finanziert. Der verdiente seine erste Million in der Ukraine mit Instantnudeln, bevor er in Vietnam ins Immobiliengeschäft wechselte. Heute ist in Vietnams Großstädten das höchste Gebäude meist eines der Vingroup, ebenso sind Vinfasts Autos und Motorräder im Stadtbild nicht zu übersehen.
Es wirkt, als würde Vượng von der alleinregierenden Kommunistischen Partei protegiert. Auf wundersame Weise verschwinden kritische Berichte über seine Firmen von den Webseiten staatlicher Medien und privater Facebook-Profile. Wer sich kritisch über das Konglomerat äußert, wird oft unter Druck gesetzt, seine Posts zu löschen. Als die Financial Times im Sommer 2019 zu diesen Praktiken des Konzerns recherchierte, wollten sich viele dazu nicht namentlich zitieren lassen.
Auch soziale Medien werden in Vietnam immer stärker zensiert
Schon kurz nachdem Vingroup seine 68 Abmahnungen verschickt hatte, meldete das staatliche Medium Vietnamnet 50 gelöschte Beiträge und einige Entschuldigungen. Ein Bericht zitierte den Leiter einer Zensurbehörde, der Vingroup für zivilrechtlichen Fortschritt lobte. Kritiker würden nicht kriminalisiert. Das war früher oft üblich. Als abschreckendes Beispiel nannte er eine Getränkefirma. Als ein Mann in seiner Flasche eine Fliege fand und von der Firma Entschädigung forderte, wurde er wegen Erpressung zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Das 2008 in Berlin gegründete Nachrichtenportal Thoibao versteht sich als Gegenöffentlichkeit zu den in Vietnam zensierten Medien und hat mit 20 Mitarbeitern rund 20 Millionen Zugriffe im Monat, davon 95 Prozent aus Vietnam. Die Zugriffe auf die boulevardartige, aber trotzdem investigative Berichterstattung der Seite nehmen weiter zu, seit die Regierung von Donald Trump den US-Auslandssendern Voice of America oder Radio Free Asia die Mittel auch für die vietnamesischsprachigen Programme gestrichen hat.
Facebook, wo Thoibaos Hauptkonto 1,2 Millionen Follows hat, war bisher die Haupteinnahmequelle. Hinzu kam in kleinem Maß auch Youtube. Wegen der mangelnden Glaubwürdigkeit der offiziellen Medien ist Facebook in Vietnam die wichtigste Informationsquelle. Doch wird es immer stärker zensiert.
Für das 3. Quartal 2025 meldete die Zensurbehörde laut Asia Times die Löschung von 10.713 Facebook-Posts, 705 Youtube-Videos und 798 Tiktok-Clips. Das sei jeweils in mindestens 92 Prozent der Fälle innerhalb von 12 Stunden geschehen. Für unliebsame Beiträge in sozialen Netzwerken drohen auch Haftstrafen.
Cyberangriffe gegen Thoibao
Thoibaos Webseiten werden immer wieder gehackt oder mit sogenannten DDOS-Angriffen lahmgelgt. Vietnams Cyberpolizei mit ihren 10.000 Mitarbeitern nutzt immer wieder Tricks, um Thoibaos Social-Media-Seiten sperren zu lassen. So wurde Lê schon ohne sein Wissen als vermeintlicher Webmaster für Seiten registriert, die gegen Community-Standards verstießen. Daraufhin sperrte Facebook alles unter seinem Namen. Ihm wurden bei Youtube Copyright-Verletzungen angehängt und er wurde für tot erklärt. Bei derlei Schikanen dauert es für Lê oft Wochen ohne Einnahmen, um die sozialen Netzwerke von seiner Unschuld zu überzeugen. Laut Lê betragen Thoibaos Monatseinnahmen bei Facebook derzeit nur noch bei 500 statt 20.000 Euro.
Vingroups Klagen und Abmahnungen ergänzen jetzt die Internetzensur in Vietnam, das in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Rang 173 von 180 Ländern liegt. Laut Vingroups Anwalt könne man den Konzern doch nicht für die Zensur im Land verantwortlich machen. Thoibaos Anwalt sieht die Klagen gegen seinen Mandanten dagegen als Versuch eines „Milliardärs, die Justiz demokratischer Staaten zu missbrauchen, um Pressezensur im vietnamesisch-sprachigen Internet weltweit herzustellen.“
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