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Rechtsruck in FrankreichDie Mitte fehlt

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Viele Linke und Bürgerliche sind von Hollande und Sarkozy enttäuscht. Sie wählen aus Protest rechts – so naiv das auch scheint.

Hat Grund zur Sorge, wenn er nach rechts guckt: François Hollande. Bild: dpa

W as der britische Premier David Cameron in Großbritannien unter dem Druck von rechts versucht, um nicht von Ukip eingeholt zu werden, das kennt Frankreich schon aus der (ersten) Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy. Doch den Rechtspopulisten mit einer abgespeckten Light-Version ihrer europa- und ausländerfeindlichen Programme und ihrer reaktionären Ideologie hinterherzurennen, ist gefährlich.

Ein Beispiel: Als Sarkozy von seinem Immigrationsminister Eric Besson (einem Überläufer aus der Parti Socialiste) 2009 eine Debatte über die nationale Identität organisieren ließ, ermutigte er die Rechtsradikalen, an offiziellen Diskussionsabenden teilzunehmen und im Internet nach Herzenslust ihren Hass und Nationalismus auszuleben. Über Wochen konnte der Front National (FN) so xenophobe, nationalistischen Thesen auf Staatskosten an ein breites Publikum bringen. Mit dem Ergebnis, dass vielen diese Fremdenfeindlichkeit anschließend als banal oder plausibel erschien.

Sarkozy hatte mit dieser Aktion also nichts anderes als Wahlhilfe für die damals neue FN-Parteichefin Marine Le Pen betreiben. Die bemühte sich daraufhin, durch eine formelle Abgrenzung von Neonazis, Antisemiten und den übelsten Geschmacklosigkeiten ihres Vaters Jean-Marie Le Pen, ihre rechtsextreme Partei salonfähig zu machen. Mit Erfolg. Gleichzeitig nahm in Sarkozys Partei, der konservativen UMP, die Verwirrung zu und auch das Gefühl einer ideologischen Geistesverwandtschaft zwischen der bürgerlicher Rechten und extremen Rechten.

Mehrere Umfragen belegen, wie nicht nur das persönliche Ansehen und die Glaubwürdigkeit von Marine Le Pen in bisher bürgerlichen Kreisen seitdem ständig wächst. Mittlerweile gibt ein Drittel der UMP-Basis an, dass sich ihre politischen Wertvorstellungen mit denen des FN decken.

Sarkozys dehnbare Grundsätze

Demnach müssten 58 Prozent der UMP-Sympathisanten für punktuelle Wahlallianzen der beiden Parteien sein. Die UMP-Parteiführung verspricht dennoch hoch und heilig, dass selbst lokale Absprachen mit der extremen Rechten tabu seien. Glaubwürdig ist das nicht. Denn an der Spitze der UMP steht nun wieder Sarkozy, dessen Grundsätze und Überzeugungen bekanntlich sehr dehnbar sind und sich im Kern auf die Wichtigkeit seiner eigenen Person beschränken. Für ihn ist die UMP ein Trampolin zur Rückkehr an die Macht. Der ganze „Rest“ – die Zielsetzungen, die Ideen, der Umgang mit der FN-Hasspropaganda – ist sekundär und folglich verhandelbar.

Längst verfängt der vor allem von der Linken betriebene Versuch nicht mehr, den FN in die moralische Schmuddelecke zu stellen. Zu groß ist nach unzähligen Affären und laufenden Ermittlungen der doppelte moralische Kreditverlust der Linken und der bürgerlichen Rechten.

So naiv das in Deutschland vielleicht erscheinen mag: Immer mehr WählerInnen sagen sich in Frankreich, der FN sei die einzige Lösung, die sie noch nicht ausprobiert haben. Andere bereits zum Rechtspopulismus Konvertierte sehen in der Le-Pen-Partei weniger einen Hoffnungsträger, sondern vor allem eine Art Lautsprecher, um ihre Hoffnungslosigkeit herauszuschreien. Mit seiner nationalen Empörung über das „System PS-UMP“ verkörpert der FN diese Proteststimmung. Die Nachfrage dafür ist enorm. Eine klare Mehrheit der Leute in Frankreich ist unzufrieden mit der regierenden Linken genauso wie mit der bürgerlichen Opposition.

Kann Frankreich die Rettung vor den Extremisten in der politischen „Mitte“ finden? Müsste der französische Premierminister Manuel Valls seine kühnsten Träume in Worte fassen, würde er wahrscheinlich zugeben, dass ihm eine Mitte-links-Regierung oder eine Koalition mit dem bürgerlichen Zentrum vorschwebt. Das wäre eine parlamentarische Mehrheit aus liberalen Sozialisten und sozialen Liberalen, die den Reformkurs zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit französischen Wirtschaft nicht nur voll unterschreibt, sondern von Herzen herbeiwünscht. Valls „sozialliberale“ Linie zur Verwirklichung der Sparziele von François Hollande stößt in der eigenen Partei auf Widerstand.

In der Mitte nur Treibsand

Noch ist nicht sicher, ob die Regierung eine linke Mehrheit bekommt für die nächste, vom Arbeitgeberverband mit Vorschusslorbeeren bedachte Runde an Strukturreformen. Verhandelt werden eine Reihe von Liberalisierungen und Lockerungen im Arbeitsrecht. Davon hatte schon die Rechte gesprochen, als sie mit Chirac und Sarkozy an der Macht war. Ihr Vorhaben umzusetzen, haben sie die Bürgerlichen aber nicht getraut. Eigentlich müssten sie Valls in den Himmel loben. Nur funktioniert politische Alltag in Paris anders.

Eine breite Koalition in der Mitte schwebt vielleicht auch dem Gaullisten Alain Juppé vor. Er will sich in der UMP vom Rechtskurs seines Rivalen Sarkozy abgrenzen, um 2017 die Präsidentschaftswahlen als Kandidat der bürgerlichen Mitte und mit Hilfe der Stimmen von links gegen die Rechtsextremistin Marine Le Pen zu gewinnen. Ein politischer Traumtänzer mehr! Schon der Zentrumsdemokrat François Bayrou hatte zweimal vergeblich versucht, mit dieser Strategie der Mitte in der Politik Fuß zu fassen. Auf diesem Terrain aber gibt es nur Treibsand. Wer dort Halt sucht, riskiert Kopf und Kragen.

„Große“ Koalitionen gab es und gibt es in vielen Ländern Europas, in Frankreich bleibt eine solche Allianz politische Fiktion. Schuld an der Links/rechts-Polarisierung ist das strikte Mehrheitswahlrecht, das General de Gaulle zusammen mit der Volkswahl des Staatspräsidenten in der Verfassung seiner Fünften Republik verankern ließ. Seitdem ist die Vorstellung einer politischen Mitte eine Utopie.

Die Realität der französischen Wahlen und Debatten ist eine Scheibenwischerpolitik: Rechts, links, rechts, links. Wenn also derzeit der Schwerpunkt der Politik weit nach rechts abdriftet, müsste für alle, die sich in Frankreich damit nicht abfinden wollen, das Gebot der Stunde lauten: Zuerst auf die Bremse treten und dann volle Kraft nach links! Aber davon spürt man im Moment noch nichts.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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4 Kommentare

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  • "...das Gebot der Stunde müsste lauten: Zuerst auf die Bremse treten und dann volle Kraft nach links!"

    Und was heißt in dem Fall "links"? Doch nicht Hollande! Der macht doch nichts Anderes als Sarkozy, und darin liegt doch ein wichtiger Grund für das Anwachsen des FN: ob Sozialisten oder Konservative regieren - es läuft auf daselbe heraus.

  • Wenn mich nicht alles täuscht, bahnt sich in Frankreich eine Entwicklung an, die in ähnlicher Form in anderen EU-Staaten folgen könnte:

     

    Ein permanent wachsender Teil der Bevölkerung bekommt zunehmend die Auswirkungen des jahrzehntelangen neoliberalen Wirtschaftskurses zu spüren. Erheblich verschärft wurde dies durch die Auswirkungen der Banken- und Eurorettungsprogramme, für deren Kosten noch Generationen bluten werden.

     

    Dass in dieser Situation viele Wähler ihre Stimmen der FN geben, ist allerdings weniger ideologischen Präferenzverschiebungen geschuldet als dem völligen Versagen der Sozialistischen Partei, die diese gegen die breite Masse des Volkes gerichtete Politik inzwischen in vollem Maße mitträgt.

     

    Von der Rechten hätte man einen derartigen Kurs ja erwartet - dass die Sozialisten diesen vorantreiben, wird nur noch als Skandal empfunden. Gerade deren Anhänger sind deshalb zutiefst enttäuscht.

     

    Im Gegensatz zu Deutschland, wo sich durchaus Ähnliches abgespielt hat, werden die Franzosen diese Ausplünderung des Volkes nicht mehr lange hinnehmen. Wenn alle etablierten Parteien weiterhin daran festhalten, wird es in absehbarer Zeit "krachen", und sei es bei den nächsten Wahlen.

  • Vielleicht müssen wir uns auch einfach von diesem Konzept der politischen "Linken" und "Rechten" verabschieden und stattdessen unsere Aufmerksamkeit mehr auf verfassungsmäßige Rechte legen. Vielleicht liegt darin die Lösung.

     

    Die politisch sozusagen "rechts" Stehenden hetzen gerne gegen Ausländer, Muslime etc. Die Verfassung eines demokratischen Staates schützt jedoch die Rechte von Minderheiten. Der Grundgedanke hinter den in der Verfassung festgeschriebenen Grundrechten ist der, dass die Mehrheit in einer Gesellschaft nicht das Recht haben soll, über die Rechte der Minderheit zu bestimmen. Egal, ob diese Mehrheit nun "rechts" ist, "links" oder was auch immer.

     

    Vieles wird in einer Demokratie zwar durch Abstimmungen geregelt, aber eben nicht alles. Es gibt auch noch eine Verfassung, und neu getroffene Regelungen, die ihr widersprechen, sind ungültig, wenn sie der Verfassung widersprechen, selbst wenn die Mehrheit sich für diese Regelungen ausspricht.

  • Das Volk hat es langsam satt von Politikern regiert zu werden, die von der Wirtschaft "gekauft" sind. Das fatale ist, das die Rechten sich nach kurzer Zeit auch an den meistbietenden verkaufen werden. Es müssen Gesetze her, die das zu verhindern wissen.